Entdeckung zwischen Orient und Okzident
Elchen Shirinov in Düsseldorf
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Christopher Adolph
Zwischen Orient und Okzident / Der Pianist Elchen Shirinov und seine Band in Düsseldorf
Ist es die Volksmusik aus der Mugham-Tradition, welche fast jeden Menschen in Aserbaidschan von klein auf mit improvisierten Melodien vertraut macht? Oder einfach eine Haltung von Weltoffenheit und Toleranz, auf welche die Menschen in dem Kaukasus-Land so stolz sind? Es kann kein Zufall sein, dass die Jazz-Szene von Baku zu den lebendigsten weltweit gezählt wird.
Jetzt war mit dem Pianisten Elchin Shirinov und seiner aserbeidschanisch-britischen Band ein ganz besonders leuchtender Botschafter in Sachen weltoffener Musikalität zu erleben. Und: Dieser 32 Jahre junge Ausnahmepianist ist wohl im Moment die Entdeckung schlechthin!
Der Anlass zum Konzert im Düsseldorfer Schauspielhaus war ein durch und durch prominenter. Zum großen Kulturabend geladen hatte die aserbaidschanische Botschaft in Zusammenarbeit mit der Heydar Äliyev-Stiftung. Letztere rief die „First Lady“ Aserbaidschans ins Leben, um den facettenreichen kulturellen und vor allem auch musikalischen Reichtum dieses Landes in die Welt hinaus zu tragen. Entsprechend finden zurzeit ganz unterschiedliche Gastspiele von Musikern und Ensembles in Deutschland statt. Diese Intention bekräftigte allen voran auch der anwesende aserbaidschanische Botschafter Parviz Shabahzov.
Weit über 700 Gäste aus Düsseldorf und Umgebung hatte sich daher zum Cocktailempfang, einer Ausstellungseröffnung und schließlich dem Konzert selber eingefunden. Dabei ließ es sich auch der Botschafter persönlich nicht nehmen, voller Stolz den musikalischen Kulturexport zu würdigen. Und der beinhaltet doch so viel mehr, als dass Baku 2012 mit dem „Eurovision Song Contest“ für ein Großereignis der Unterhaltungsindustrie im Rampenlicht stand. Ausstellungen im Foyer des Düsseldorfer Theaters zeigen darüber hinaus die lange Geschichte bestehender deutsch-aserbaidschanischer Beziehungen auf. Große, historische Schwarzweißfotografien zeigen deutsche Siedlern, die Ende des letzten 19. Jahrhunderts ins Land am Kaukasus übersiedelten – und dort unter anderem Weinanbau betrieben. Aserbaidschanische zeitgenössische Maler haben zudem ihre subjektiven „Deutschland-Bilder“ aus moderner Gegenwart in zeitgenössische Ausdrucksformen gebracht.
Aber dann hieß es Bühne frei für Elchin Shirinov und seine fabelhaften Mitstreiter:Was für eine verfeinerte Anschlagskultur zaubert dieses Ausnahme-Talent aus Baku aus den Flügeltasten! Er drückt sie auf eine sehr unangestrengte Weise herunter. In ruhigen Passagen wirkt sowas extrem sensibel, fast bescheiden. Wenn er kurz darauf schon virtuoseste Temperamentsstürme entfesselt, bleibt jeder noch so fantasievolle Weg über die schwarzen und weißen Tasten glasklar nachvollziehbar. Eine solche individuelle Visitenkarte liefert er sofort zu Anfang, als seine Band in einer zarten, von getragenem Cooljazz-Feeling durchtränkte Ballade. Es ist eine Hommage an eines der großen aserbaidschanischen Jazzidole, den berühmten Vagil Mustafazadeh, der das Jazzleben Aserbaidschans maßgeblich geprägt hat. Auch die nächste Nummer stammt von diesem Künstler – und da lässt die Band mit entfesselter Wucht, schwindelig machenden ungeraden Metren und lodernden Melodien den Sturm losbrechen!
Aus diesem Spiel lebt, swingt, groovt eine leidenschaftlich berührende Weltsprache. Hier müssen sich Okzident und Orient in keinem Moment zueinander hin verbiegen, sondern berühren sich ganz selbstverständlich. Elchin Shirinovs rasante, federleichte und sich oft auch ekstatisch aufbäumende Tastenkunst hat Einflüsse von New Yorker Jazzern wie Bill Evans oder Jason Moran tief verinnerlicht. Zugleich blitzen ständig diese subtil-orientalischen Farben auf, jene latent melancholischen Tonskalen der Mugham-Musik, aus der Shirinov seine Ideen schöpft.
Bassist Sam Lasserson schwärzt die Hintergrundfarben für die leuchtenden Klanggemälde, aber seine Läufe treiben auch gerne knackig funky vorwärts - und die spontane Ideenfülle ist immens dabei! Schlagzeuger Dave Hamblett ist ein Phänomen für sich. Vor allem auf der Snaredrum lässt er es spannungsgeladen überkochen, legt auf dem Becken feinste Gischtnebel über diese intensiv swingenden Wellen aus ganz und gar unregelmäßigen Metren. Oft Note gegen Note interveniert er direkt in die rasanten Klavierimprovisationen von Elichin Shirinov. Aber auch letzterer wird auf dem Klavier nur zu gern zum brachial auftrumpfenden Perkussionisten, wenn beide in wüsten Duellen irgendwelche hypnotischen Rhytmusfiguren umspielen.
Die Symbolkraft von ineinander aufgehenden Spielkulturen geht an diesem Abend aber noch sehr viel weiter. Immer wieder kommen Landsleute von Shirinov ins Spiel, improvisieren in der östlichen Stilistik ihres Heimatlandes – und lassen sich dabei von einer mächtig in Fahrt gekommenen Ausnahme-Jazzband antreiben und befeuern!
Shirzad Fataliyev lässt seine Luftströme auf der Balaban im melismatischen Klagegesang erbeben – und viel schneidender ist sein Sound, den er später auf einer Art Ghaita spielt, einem schalmeien-ähnlichen Instrument mit eine Oboen-Mundstück. Und wieder verblüfft es, wie selbstverständlich sich solche Klänge im Weltklassejazz dieses Abends zuhause fühlen. Ganz besonders trifft dies auf die beiden Oud-Spieler zu. Shirazad Fataliyev und Mirjavad Gafarov lassen es regelrecht rocken. Selten hat man diese orientalischen Saiteninstrumente so expressiv und druckvoll gehört. So bilden die kraftvoll traktierten Saitenklänge immer wieder ganz kompakte Einheiten mit dem Bassspiel des Briten - und hoch hinaus geht es auf schwelgerische Höhenflüge im Wettstreit mit Shirinovs nie versiegendem, eloquenten und leidenschaftlichen Ideenstrom auf den Tasten.
Geschickt dosieren die Musiker eine Dramaturgie, die zwischen eher lyrisch getragenen, dann wieder frenetisch vorwärtsgehenden Stücken vermittelt. Die melodischen Ideen und weiträumigen Improvisationen gehen mal auf aserbaidschanische Volksliedmelodien, dann wieder auf Kompositionen aus dem klassischen Kontext in der Musikkultur dieses Landes zurück – da ist etwa ein Walzer aus dem Ballet „Yeddu Gözal“ (=Sieben Schönheiten) des Komponisten Gara Garayev.
So frei, so leicht, so spontan steigert sich dieser Spielfluss immer mehr. Sie schaffen es mühelos, ein sehr gemischtes Publikum – wo auch Jazz-Unkundige an diesem Abend gehören – schließlich geschlossen von den Stühlen zu reißen. Denn minutenlanger stehender Beifall krönt dieses kulturenvereinigende Engagement seitens dieser begnadeten Musiker. Zum Dank spielte Shirinov mit einem der Oud-Spieler schließlich ein ergreifend zartes Duett. Wo sich nochmal ganz poetisch die Musiksprachen vereinten, so wie es in Aserbeidschan seit Jahrhunderten vorbildhaft zu funktionieren scheint...
In Interview mit den Musikern lesen Sie in Kürze in der Rubrik Jazzreports!