Energie ist wichtig
Tampere Jazz Happening 2024
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Maarit Kytöharju
Die Bandbesetzung ist jazzklassisch: Saxofon, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug. Und der Bandleader steht auch mit einem Bein fest verwurzelt in der Tradition des Jazz, des Blues oder Gospels. Aber auf der anderen Seite ist US-Saxofonist und Bassklarinettist David Murray immer auch freien Spielformen gegenüber offen gewesen. Und daraus bezieht auch sein aktuelles Quartett mit drei wesentlichen jüngeren Jazzcats, darunter die spanische Pianistin Marta Sánchez, seinen Reiz. Es ist die perfekte Kombination von beiden Welten. Elegant wird geswingt oder auch mal ordentlich gegroovt, bis sich Murray aufmacht in die hohen Register und seine Kanne quietschen und röhren lässt, improvisiert, dass es eine Freude ist. So bekommt seine Musik Ecken und Kanten, die seine Band nicht so liefert. Und am Schluss überrascht auch noch der finnische Rapper Paleface, der ansonsten als Moderator auf der Hauptbühne humorvoll durch die Festivaltage führt, mit einer spontan während des Konzertes (!) mit Murray abgesprochenen Rap-Einlage bei der letzten Nummer. David Murray, inzwischen schon 69 Jahre alt, zeigt sich in Tampere nach jahrzehntelanger Karriere taufrisch und noch immer ziemlich hip.
Hip ist auch schon was das Duo des finnischen Akkordeon-Wizzards Kimmo Pohjonen und des schwedischen Baritonsaxofonisten Mats Gustafsson so anzubieten haben. Die beiden spielten in Tampere erst zum zweiten Mal überhaupt zusammen. Ihre überwiegend auf Improvisationen basierender Auftritt aber fordert den Zuhörer mit wilden Ausbrüchen und all den elektronischen Bearbeitungen des Akkordeonsounds. Jedenfalls eine Musik, die wach machte. Und Energie ist wichtig beim viertägigen Tampere Jazz Happening, vor allem am Freitag und Samstag, wo die Konzerte teilweise schon am frühen Nachmittag beginnen und das letzte erst um ein Uhr morgens startet.
Dieses Jahr stand in Tampere Portugal als Gastland im Fokus mit gleich vier Bands., darunter das mit gleich vier Saxofonisten bestückte, fulminante Sextett Axes von Saxofonist João Mortágua. Oder das fantastische Quintett von Demian Cabaud mit seinem vom mexikanischen Dichter und Schriftsteller Octavio Paz inspirierten Projekt „Árbol adentro“. Der argentinische, aber schon lange in Portugal lebende Bassist und die beiden Saxofonisten João Pedro Brandão und José Pedro Coelho, Drummer Marcos Cavaleiro und der immer wieder eigenwillig, aber superinteressant in die Tasten greifende Pianist João Grilo spielen eine Musik mit vielen Facetten und Schattierungen. Gefühl, Individualität und kollektives Bewusstsein, Schnittpunkte etwa zu argentinischer Folklore, aber immer wieder auch die Kraft und vor allem die Freiheit des Jazz – daraus gestalteten Cabaud und Band betörende Musik.
Duke Ellington soll das gleiche Stück niemals genau gleich gespielt haben. Sagt Pat Thomas über den großen amerikanischen Komponisten und Pianisten, dessen Musik er solo schon häufiger rekonstruiert hat. Zum zweiten Mal erst tat der britische Pianist das in Tampere zusammen mit den beiden Norwegern Per Zanussi (Kontrabass) und Ståle Liavik Solberg (Schlagzeug). „Daydream – The Music Of Duke Ellington“ heißt das gemeinsame Projekt. Spannend wie das Trio Ellington-Musik neu arrangiert hat und neu beleuchtet. Vor allem Pat Thomas bricht die Themen spannend auf um sich improvisatorisch mit eigenen Ideen darin zu bewegen.
Einfach nur gute Unterhaltung hatte dagegen Donald Harrison mit seinem Quartett im Sinn und servierte erst einmal seinen süffigen Nouveau Swing, eine Mischung aus swingendem Jazz, R&B, Soul und New Orleans Jazz. Das gleichnamige Album hat der Altsaxofonist aus der Crescent City schon Ende der 1990er Jahre herausgebracht. Doch dann folgte abrupt eine Geschichtsstunde des Jazz mit Rückblicken zu Sidney Bechet, Charlie Parker und John Coltrane. Dann noch ein kurzer musikalischer Trip nach Puerto Rico und ein immer beliebigeres Konzert wurde Realität. Immerhin, alles klasse gespielt und perfekt gesetzt als Ausklang eines langen Konzertabendes.
25 Konzerte gab es an den vier Festival-Tagen. Und fast immer wurde man fürs Kommen mit interessanter Musik belohnt. Etwa beim finnisch-belgisch-niederländischen, lediglich vierköpfigen Orchestra Nazionale della Luna um Pianist Kari Ikonen und Saxofonist Manuel Hermia und einem Quartett-Jazz, der Hörgewohnheiten auch dank Moog-Synthesizer und überraschenden Einfällen und plötzlichen Stimmungswechseln immer wieder kontrakariert. Oder vom norwegischen Powertrio Bushman´s Revenge, das in der Besetzung Schlagzeug, E-Bass und E-Gitarre auch nach über 20-Jähriger Bandgeschichte noch immer mit seiner Mischung aus knalligem Progrock und Jazzfreiheit mitreißt und die Ohren ordentlich freibläst.
Das Ethnic Heritage Ensemble um Schlagwerker Kahil El´Zabar bot vielleicht einen Hauch zu viel Spiritualität im Vergleich zu wenig wirklich packender Musik. Dafür nahm Poetry-Künstlerin aja monet mit ihren starken sozialkritischen und politischen Gedichten und Aussagen kein Blatt vor den Mund, immer begleitet von den lässigen Jazzklängen ihrer erstklassigen Band. Junge finnische Bands gab es auch fast jeden Abend im Restaurant Telakka zu hören. Und genau dort endete das diesjährige Festival auch mit dem portugiesischen Free-Impro-Trio Bode Wilson und einem pausenlos gespielten, intensiven Set, das den Hörer von Minute zu Minute mehr in den Bann zog.
Den bedeutenden Yrjö-Award des finnischen Jazzverbandes erhielt dieses Jahr im Rahmen des Festivals übrigens der Bassist Antti Lötjönen.