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Energetisches Kontinuum

Eindrücke vom Internationalen Jazzfestival Münster 2025

Münster, 08.01.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper

Das Internationale Jazzfestival Münster ist ein zeitloses Kontinuum. Seit Ende der 1990er-Jahre hat sich das Stadttheater als Spielstätte bewährt, was zum Vorbild für viele andere Festivals wurde. Symbolhaft für den Lauf der Zeit wirkt jenes Foucaultsche Pendel von Gerhard Richter, das auch während der ausgiebigen Improvisationen des französischen Bassklarinetisten Louis Sclavis in der Dominikanerkirche seine konstante Bahn zog. Die „Dramaturgie der Kontraste“, wie sie Fritz Schmücker als kuratorische Vorgabe setzt, funktionierte in diesem Jahr vorbildlich. Als gemeinsamer Nenner offenbarte jedes Konzert immer wieder neu viel Entwicklungsdynamik. Wenn die Musikerinnen und Musiker die ersten Töne spielten, konnte man noch lange nicht erahnen, in welche faszinierenden, überraschenden Ausnahmezustände man schließlich hineingezogen wurde.

Struktur, Klang und Emotion

So manche der immer wieder aufs Neue ungehörten Varianten von Jazz liefen dabei auf das Gegenteil jener sportlichen Disziplin hinaus, möglichst viele Töne kunstvoll in den Raum zu werfen: Zu einem einzigen Ton vereinten sich am letzten Abend der Klarinettenspieler Yom zusammen mit den Brüdern Theo Ceccaldi (Violine) und Valentin Ceccaldi (Cello), um daraus unter Aufbietung aller spielerischen und expressiven Möglichkeiten ein großes energetisches Ganzes zu formen – angefüllt mit musikalischer Struktur, Klang, Emotion und circa 1.000 hypnotisierten Menschen im großen Haus der Städtischen Bühnen.

Die Studiobühne im Kleinen Haus ist derweil ein hervorragender Rahmen, damit sich Jazz als Freiheitsmusik mit dem nötigen Druck Gehör verschafft. Idealtypisch geschah dies, als der Saxofonist Xhosa Cole zusammen mit Schlagzeuger Tim Giles in mitreißenden Improvisationen den Moment anzündete – eine kraftvolle Demonstration jener Potenziale der britischen Jazzszene, die vor allem im Londoner Jazzclub Vortex ihr Zentrum hat. Was es alles heute in unsteter Zeit zu artikulieren gibt, vereinte sich in Worten und engagierter Musik durch die Leipziger Band Pauline Reáge – basierend auf Texten der Sängerin Anne Munka und unter Beteiligung unter anderem von Olga Reznichenko. Die Band rockte ihr Auditorium in befreiendem Wir-Gefühl.

Im VIP-Bereich eines jeden Internationalen Festivals sind jedes Mal die meisten tonangebenden Veranstalter versammelt, und genau diese Begegnungen bieten so vielen europäischen Kooperationen einen guten Nährboden. Auch das Brainteaser Orchestra, eine junge niederländische Großformation, die aus dem Amsterdamer Bimhuis hervorging, stand für den positiven Effekt eines herrschaftsfreien Miteinanders der europäischen Jazzinitiativen. Während sich im Fotograben gerade beim ersten Konzert das übliche hektische Gewusel entfaltet, antwortete das Ensemble unter der Leitung von Tijn Wybenga umso gelassener. Nach dem anfänglichen Eingrooven entstanden zunehmend subtilere Dialoge, vor allem zwischen den Solostimmen. Und vor allem: Die große Besetzung agierte mit ihren manchmal kammermusikalischen, oft sinfonischen Vernetzungen souverän genug, um sich vom prominenten Special Guest Theo Ceccaldi nicht die Show stehlen zu lassen.

Ungezogene Kinder

Viel mehr als eine „regionale“ Band, sondern einer der lebendigsten, originellsten und humorvollsten Beiträge war die Band Kind unter Leitung des Münsteraner Saxofonisten Jan Klare. Der Name ist Programm: Hier wird die Welt der Musik ungestüm und fantasievoll erschlossen, ohne Ausweichen, ohne Beiläufigkeit, ideenreich, verspielt, manchmal unbequem, aber auch mit vielen humorvoll eingestreuten Stilzitaten, die eben vom kreativen Weitblick vor allem ihres Bandleaders Jan Klare zeugen. Alles getragen vom außergewöhnlichen Drive der Schlagzeugerin Bruno Cabral und gesegnet mit einer Rhetorik, die auch die Hörenden unweigerlich an die Stuhlkante zog. Shannon Barnett an der Posaune und Jan Klare an Saxophon und Fagott lieferten unerschöpfliche Klangeruptionen, ergänzt durch Shabnam Parvaresh (Klarinette), David Helm (Bass) und Emily Wittbrodt (Cello). Diese Band klingt sehr nach Moers-Festival. Umso belebender wirkt es, dass dieses ungezogene Kind nun auch die glanzvolle Bühne in Münster aufmischte.

So manche lyrisch beseelte, intime Begegnung füllte den großen, vollbesetzten Raum und lehrte das Staunen neu. Harfe und Saxofon musizierten zusammen im britisch-ukrainischen Duo Alina Bzhezinskaya und Tony Kofi. Ihre liebevolle Interpretation von Stücken Alice Coltranes und Pharoah Sanders’ war erst der Anfang auf einem Weg in empfindsame Klangwelten hinein. Kofis beeindruckender, tief beseelter Umgang mit dem Saxofon traf auf Bzhezinskayas erzählerisches, dynamisch pulsierendes Harfenspiel, um sich tief in die Seelen der Zuhörer einzugraben.

Zuhören ist besser als Parolen

Das dänische Trio Jasper Høiby's Three Elements brauchte kurzfristig eine "Vertretung", weil die eigene Pianistin, die Koreanerin Chaerim Im, erkrankt war, und hatte sogar zuvor noch ihren eigenen Auftritt im Kleinen Haus geschafft. Zum Glück war Pianist Daniel Garcia zugegen, der zuvor in einem großen Sextett brilliert hatte, was mit einem Solo des niederländischen Gitarristen Reinier Baas einen fulminanten Showdown erfahren hatte. Nun aber gelang es Garcia, von der Flamenco-Brillanz seiner eigenen Band auf die leichtfüßigen, filigranen Grooves des dänischen Trios umzuschwenken. Bassist und Bandleader Høiby hatte den Menschen in Palästina ein Stück gewidmet und diesem ein etwas längeres, politisches Referat vorangestellt, das sich aber dann doch etwas ins Ideologische zu versteigen drohte und dadurch die moralischen Erregungskurven im Publikum steil ansteigen ließ. Fritz Schmücker gelang es jedoch, zu beschwichtigen und an die verbindende Kraft der Musik zu appellieren. Aufgeheizte Meinungskriege und Parolen bringen wenig, wo ein "weicherer" Diskurs die Kunst des Zuhörens zur Grundlage nehmen sollte. Die vielen Jazzkonzerte machten bei diesem Jazzfestival eindrucksvoll vor, wie so etwas geht.

Die europäische Jazzszene von heute hat sich weitgehend von jeder Hegemonie durch amerikanische Historie emanzipiert. Umso erfrischender wirkt es da, wenn zeitlose Großtaten von einst in neuem Klanggewand interpretiert und aktualisiert werden, was eben genau das Gegenteil von Musealisierung ist. Im Amerika der 1950er Jahre polarisierte Thelonious Monk mit Fortschrittsgeist und verkörperte Gegenkultur in einer Zeit, in der Jazz in einem Theatertempel fürs Bildungsnürgertum wohl undenkbar gewesen wäre. Heute geht so etwas, und wieder war auf die rauhe, energetische Färbung des Londoner Jazz Verlass, als der Saxofonist Xhosa Cole eine dynamische Neuinterpretation des Monk’schen Erbes zelebrierte und der Pianist Pat Thomas das schwere Gewicht seines fetten Anschlags dem Steinway spüren ließ. Fazit: Monks Töne, Intergalle und Motive halten auch dem wildesten, freiesten Klangstrom aus dem Geist von heute stand – sie mussten sich niemals verstecken.

Die Legenden von einst sind heute noch Gegenwart

Ist das wirklich schon über 25 Jahre her, dass das Jazzfestival an diesem Ort debütierte und seitdem aus den Ritualen zum Jahreswechsel bzw. Auftakt nie mehr wegzudenken ist? Als der Italiener Gianluigi Trovesi seine anmutigen Tonfolgen anstimmte, wurde die Gründerzeit mit dem Heute kurzgeschlossen. Nach einer gewissen Anlaufzeit entfalteten Trovesis Arpeggien, Improvisationen und Kantilenen auch wieder ihre ganze Eleganz, während sich Bassist Paolo Damiani und Schlagzeuger Ettore Fioravanti zu weiteren "Singstimmen" in diesem Spiel entwickelten. Auch Louis Sclavis, eine noch breiter aufgestellte Symbolfigur für die Emanzipation des europäischen Jazz und damit auch für das Gepräge des Münsteraner Festivals, war wieder da und gab sich mit seiner aktuellen Band India die Ehre, nachdem er mittags auch im Klangraum der Dominikanerkirche frei improvisiert hatte. Vor vielen Jahrzehnten, damals noch in der Halle Münsterland, hatte Sclavis mit Joachim Kühn zusammen das Coltrane-Stück India gespielt. Jetzt zeigte Sclavis’ aktuelle Band unter diesem Etikett ein souveränes Understatement, bei dem zwar die Polymetrik und Modalität der indischen Musik Pate standen, aber letztlich Fantasie, Persönlichkeit, Erfahrung und Kommunikation von sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten die Haupttriebfeder bildeten.

Das Pendel in der Dominikanerkirche schwingt unaufhörlich wegen seines Gewichts und der fast 30 Meter langen Aufhängungsschnur. Es ist dennoch kein Perpetuum Mobile, sondern muss circa einmal im Monat durch einen städtischen Mitarbeiter angestupst werden. Der Jazz, der diesen Jahresauftakt einmal wieder klangvoll werden ließ, braucht keinen Anschub von außen – er erneuert sich beständig selbst.





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