Elliott Sharp - Port Bou
Eine Walter Benjamin Oper
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Es läuft Gypsy Swing, Jazz aus den Vierziger Jahren. Auf der Bühne stehen ein Sessel und ein Mikroständer. Neben der Bühne liegt ein Akkordeon und auf der anderen Seite steht ein Flügel. Im Hintergrund eine große Leinwand. Das Publikum sucht sich seine Plätze. Das Licht geht aus. Verwaschene schnelle Filmsequenzen von Soldaten, Marschkolonnen, Deportation, Bomber, Schlachtenlärm, Marschrhythmus und undeutliche Gesänge von Naziliedern werden eingeblendet. Ein Mann setzt sich im Dunklen in den Sessel. Die Filmeinspielungen kommen zur Ruhe und nur ein Fenster wird auf die Leinwand projiziert.
Die Pianistin Jenny Lin und der Akkordeonspieler William Schimmel beginnen zu spielen. Der Mann erhebt sich aus dem Sessel und geht an ein Pult mit Mikrophon und beginnt einen Sprechgesang im Bass – Reduktion als Stilmittel.
Der amerikanische Komponist, Multiinstrumentalist und Klangkünstler Elliott Sharp hat mit der minimalistischen Kammeroper Port Bou die letzten Minuten des Philosophen und Kulturkritikers Walter Benjamin in Musik und Drama übersetzt. Sharp sieht sich in seiner Rolle als Komponist und Autor „als Antenne für imaginäre Ausstrahlung seiner Qualen.“
Der jüdische Philosoph Walter Benjamin hat sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis in Port Bou das Leben genommen. Sharps Stück handelt die ganze Zeit im Hotelzimmer, in dem Benjamin starb. Das Fenster steht für das Zimmer.
Nicholas Isherwood, der mit allen großen zeitgenössischen Komponisten zusammengearbeitet hat und auf allen bekannten Bühnen gesungen hat, ist ein Glücksfall als Besetzung. Mit seiner tiefen ausdrucksvollen Stimme, seiner Mimik und Gestik vermittelt er die imaginierten Stimmungen und Gefühle des jüdischen Intellektuellen kurz vor seinem Tod. Das Leben ist für Walter Benjamin nicht mehr lebenswert, die Bestialität des Hitlerregimes, seine Verfolgung durch die Nazis im besetzten Frankreich und der gescheiterte Versuch über die spanische Grenze zu kommen, gehen über seine Kräfte und seinen Lebenswillen hinaus. Sein letzter Zufluchtsort ist das Hotelzimmer – in Elliott Sharps Libretto “A Room“, Titel des 2. Aktes. Er ist dort weil er Jude ist, er kann nirgendwo mehr hin. “I can`t return the words to the source but even if I could, they would still be Jew-words and verboten. Verboten everywhere but this room.” Isherwood trägt diese Verzweiflung, die im “Verboten” endet, in genialer Weise vor. Jenny Lin und William Schimmel begleiten ihn dabei, setzen mit der Musik Akzente und verdichten den Text. Überhaupt ist Port Bou ein Meisterwerk an Verdichtung. Das Werk hat acht Akte und dauert nicht ganz eine Stunde. Die Akte sind eigentlich Szenen, bzw. kleine Skizzen, biografische Skizzen. Besonders deutlich wird die Reduktion und Verdichtung im dritten Akt mit dem Titel Sh. Hier wird das Ringen von Benjamin mit seinem Judentum zu einem akustischen Ringen um die Worte des Gebets Schma Jisrael. Viele tiefe kehlige Laute: Sh sh shhhhiiiiii …Shmuh shmuh shmuh - aber es formt sich kein Gebet sondern das unflätige Wort: Scheisse! Er findet auch vor seinem Tod nicht zu einem Gebet. Er bleibt der säkularisierte Jude, der Kritiker, der Philosoph. Elliott Sharp drückt dies ohne Worte aus, Sprachlosigkeit und Zorn. Und Sharp darf so drastisch enden, ist er doch selbst ein jüdischer Intellektueller, der mit dem Judentum ringt.
Benjamin war ein Mann des Wortes, der Sprache. „En arche en ho Logos“ (Am Anfang war das Wort), dieser Satz durchzieht die letzten Akte. Hier hat Sharp den Bezug auf Gott herausgelassen, um Benjamin gerecht zu werden. Der kurze 5. Akt mit dem Titel Ajsa soll an die Beziehung Benjamins zur lettischen Schauspielerin Ajsa Lacis ausdrücken. Eigentlich werden von Nicolas Isherwood nur ein paar erotisch aufgeladene Ah ah ah ah ah ah ah ah ah gesungen. Aber Sharp hat hier mit viel elektronischer Finesse gearbeitet. Er hat den Gesang Isherwoods während der Probe aufgenommen, vielfältig bearbeitet und die verfremdete Stimme einer Sopranistin eingefügt, um den weiblich Part abzubilden. Mit diesen Einspielungen singt Isherwood nun in einer Art Duett.
Der letzte Akt trägt den Titel Translation und besteht nur aus wenigen Worten, mehr oder weniger Verneinungen und endet mit dem jiddischen Wort gornisht. Mehr ist nicht zu sagen, das Licht geht aus, nur das Fenster ist noch auf der Leinwand zu sehen. Im Hintergrund rauscht das Meer.
Elliott Sharp hat ein Libretto mit wenigen Worten geschrieben, das meiste drückt er mit Klängen aus. Musik als Ausdrucksmittel, wo Sprache an ihre Grenze kommt. Die Kammeroper Port Bou erscheint wie ein musikalisches Gedicht, mit knappen Skizzen werden die letzten Minuten Walter Benjamins gezeichnet.
Jenny Lin am Piano mit ihren erweiterten Techniken, William Schimmel mit einfühlsamen Akkordeonspiel, der großartige Gesang (trotz einer Erkältung) von Nicholas Isherwood, die fantastischen Videoinstallationen von Janene Higgins und die elektronischen Einspielungen von Elliott Sharp sind kongenial aufeinander abgestimmt, kein Bereich dominiert den anderen, ein Zusammenspiel wie aus einem Guss. Elliott Sharp lässt das Publikum spüren, wie ein großer jüdischer Intellektueller seine letzten Minuten erlebt haben könnte.
Unbedingt hörens- und sehenswert. Ein großartiges Projekt der In Situ Art Society Bonn.
Die Aufführung fand im Dialograum Kreuzung an St. Helena in Bonn statt.
Weitere Aufführungen:
Fr 14.12.18 20 Uhr Münster, Theater im Pumpenhaus
Sa 15.12.18 20 Uhr Dusiburg, Gemeindehaus Ruhrort
So 16.12.18 20 Uhr Bonn, Dialograum Kreuzung an St. Helena
Eintritt € 18 | ermäßigt € 12
Port Bou von Elliot Sharp ist eine Produktion der IN SITU Art Society (Bonn)
Infos und Karten:www.in-situ-art-society.de/portbou