Elektronik Avantgarde in Köln
Michael Ranta, Carl Stone und To Live And Shave in LA
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
An zwei Tagen hintereinander war in Köln elektronische Avantgardemusik zu hören, von taoistischer Meditation, über tranceartiger Rhythmik zu noisigem Experimental.
Im Loft führte Michael Ranta (geb. 1942) am 31.8. seinen elektronischen Zyklus Yuen Shen auf. Der Komponist und Perkussionist Ranta, der aus Minnesota stammt, hat viele Jahre mit Karl-Heinz Stockhausen zusammengearbeitet.
Er saß in sich versunken am Mischpult und regelte den Sound. Die Musik wurde über acht Lautsprecherkanäle in den Raum übertragen. Die Bestuhlung im Loft war um das Mischpult in der Mitte des Raumes angeordnet. So befanden sich die Zuhörer inmitten einer komplexen akustischen Welt. Für Ranta der viele Jahre in Japan und Taiwan gelebt hat ist der Titel Yuen Shan mehrschichtig: yuen bedeutet rund, oder auch perfekt und shan ist der Berg, kann aber auch Frieden bedeuten. Das Musikstück ist eine Reise von der Entstehung der Erde bis zu ihrer Auflösung, beeinflusst von fernöstlicher Philosophie. Es besteht aus vier Teilen, die einerseits von den vier Prinzipien des Taoismus, das Grundprinzip Tao und Himmel, Mensch und Erde, geprägt sind, aber gleichzeitig die vier Stadien des menschlichen Lebens der Hindu-Tradition widerspiegeln: 1. Geburt, Kindheit, Lernen, 2. Erfahrung, Familienleben, 3. Alter, Weisheit, 4. Rückzug, Entsagung, Tod.
Michael Ranta hat an diesem Musikstück, das 78 min dauert über 30 Jahre gearbeitet. Einzelne Teile hat der Komponist schon in früheren Jahren veröffentlicht und dann später modifiziert in Yuen Shan eingefügt. Perkussion und Schlagzeug hat Ranta selbst in die elektronische Musik eingespielt.
Yuen Shan ist ein Versuch die Geschichte der Menschheit in Klang umzusetzen. Obwohl der Titel asiatische Musik erwarten lässt, ist die Musik eher europäisch geprägt und orientiert sich eher an der französischen Musik Musique Concrete, als an chinesischer oder indischer Musik.
Yuen Shan ist eine musikalische Meditation.
Carl Stone dagegen, 1953 in Los Angeles geboren, hat in seiner Musik viele Elemente japanischer Musik verarbeitet. Stone führte seine Musik am 1.9. im Stadtgarten auf. Stone hat viel mit japanischen Künstlern zusammengearbeitet und Musik für das Noh Theater geschrieben. So setzt er auch im Stadtgarten japanischen Gesang ein, den er elektronisch verfremdet. Die Musik die Stone in Köln präsentiert baut sich langsam auf und geht dann in einen sich ständig wiederholenden Rhythmus über. Eine Ausnahme bildete ein kürzeres Stück in dem verfremdete Streicher und Gesang in einem Loop liefen. Die einzelnen Stücke gingen ineinander über und kreierten einen tranceartigen Gesamteindruck. Carl Stone stand an seinen Reglern und bewegte sich zur Musik. Die Musik von Stone ist nicht direkt als Tanzmusik konzipiert, aber sie ist körperlich und hat, trotz vieler Brüche, lange sich aufbauende rhythmische Passagen, die zu Körperbewegung animieren. Im Gegensatz zur Musik von Michael Ranta, die einen meditativen Charakter hat und zu einer Reise nach innen einlädt ist die Musik von Stone expressiv. In dem Loft saßen die ZuhörerInnen mit geschlossenen Augen, während im unbestuhlten Stadtgarten das Publikum sich durchaus im Rhythmus bewegte. Davon abgesehen war die Musik von Stone sehr laut und Ohrstöpsel waren nötig.
Nach Carl Stone betrat To Live And Shave In L. A. (TLASILA) die Bühne, ein Kollektiv für experiementelle Musik, das 1993 von Tom Smith gegründet wurde. Die Band verbindet elektronische Musik, mit live Performence von Schlagzeug, Gesang und anderen Instrumenten. Auch hier war Gehörschutz unbedingt notwendig. Die Musik bewegt sich zwischen Soundcollagen im Stil der Musique Concrete, noisigen Avantrock Anteilen und expressivem Gesang. Eine Genrebezeichnung ist schier unmöglich und gäbe wenig konkrete Hinweise auf die Musik. Experimentelle Musik im weitesten Sinne. Auch bei TLASILA gibt es immer wieder vom Schlagzeug getragene längere rhythmische Passagen, die dann gebrochen werden und in wilde Soundcollagen übergehen, aus denen sich dann wieder ein Rhythmus herausschälen kann.
Dreimal Elektronik Avantgarde in Köln, ganz unterschiedlich, aber immer unvorhersehbar und vielschichtig. Ein Bereich in der Musik, in dem immer wieder neue und spannende Dinge entstehen.