ELBJAZZ 2017
Hamburgs höherer Hörnerv
TEXT: Sven Breidenbach | FOTO: Sven Breidenbach
Den Auftakt für mich ist die Fähre zu den Landungsbrücken, von da ab geht es zu Fuß durch den alten Elbtunnel. Die zahlreichen Barkassenverbindungen sind diesmal sehr eingeschränkt. Auf dem Gelände besuche ich das erste Konzert in der Maschinenbauhalle. Anna-Lena Schnabel. Ein enorm imposanter Eindruck vom Bühnenbild. Die Halle ist knapp vor der Maximalgrenze. Leider komme ich musikalisch nicht in den Tritt. Ein paar Bilder und dann geht es zur Hauptbühne. Agnes Obel spielt mit Ihrer Band. Eine beeindruckende Stimme, ein Cello, Keyboard, Schlagzeug und eine enorme Klangvielfalt die dargeboten wird. Spätestens bei Ihrem Song „Riverside“ ist es um mich geschehen, zart zirpende Celloklänge, spitzfindig sirrender Klangball, wach rauschend und rhytmisiert das Schlagzeug. Wirklich und vor allem bei dieser Kulisse ein wirklicher Einstieg in Festival. Der erste Tag wird durch das „Abendkonzert“ von Christoph Spangenberg in der Elphi komplett abgerundet.
Beim Bustransfer vom Blohm & Voss -Gelände zur Hafencity entsteht bei mir kurz Hektik. Diese wird mir beim Eintreffen an der Elbphilharmonie vom großartigen Personal wieder flott genommen. Mit dem letzten Gong husche ich noch hindurch und kann noch gerade rechtzeitig meinen Platz einnehmen. Eine enorme Kulisse, es liegt eine gehörige Portion Spannung im Saal. Fast wirken die Sitzreihen und Balkone wie Felshöhlen, erhebend dabei zu sein.
Ein Klavierkonzert, mehr kann ich mir nicht wünschen. Christoph Spangenberg stellt mehr als richtiger Weise fest: „Für mich ist es eine Ehre, an diesem neu entstandenen und bereits legendären Ort auftreten zu dürfen. Darüber hinaus begeistert mich der Mut des ELBJAZZ bei der Besetzung der Konzerte. Darin werden sowohl genreübergreifende als auch gesellschaftliche Brücken geschlagen, die in der heutigen Zeit nur allzu wertvoll sind. Atemberaubend, dieser direkte, unmittelbare akustische Meisterklang. Ich kann das vibrieren der Saiten, die hämmernden Hämmer, die Mechanik und fast den Tastenandruck hören. Das Repertoire von Spangenberg ist clever und mit spitzbübigem Charme ausgelegt. Unter der Überschrift Geisterstunde, gibt es u.a. Stücke von Nirvana und Curt Cobain. Der Künstler mag mir verzeihen, dass ich bei einem Stück kurz eingenickt war, der Tag war lang. Beim Rausgehen habe ich einen enorm gewaltigen Blick über Hamburg der belohnt diesen langen Tag unzweifelhaft meisterartig.
Den Samstag möchte ich gemeinsam mit einer befreundeten Journalistin aus den Niederlanden den Kinder-Instrumenten Workshop besuchen. Leider wußte ich nicht, dass auch hierzu eine Akkreditierung oder Anmeldung erforderlich gewesen wäre. Doch mit spontaner Unterstützung durch ELBJAZZ kommen wir via Backstage noch in die Kaistudios. Wir kommen kurz in einen Workshop wo ca. 10 Kinder Blechblasinstrumente dabei haben. Aus Respekt vor dem Unterricht und den Kindern beschliessen wir den Workshop wieder zu verlassen. Dennoch ist der kurze Moment sehr eindrucksvoll. Kinder gespannt mit hellglänzenden Augen, der Lehrer professionell und ermutigend. Was für ein toller Gedanke, auch an die Jüngsten zu denken mit einem eigenen Programm. Nebenbei gab es auch ein Kindertheaterworkshop. Hier ermutige ich andere Festivalmacher sich ein Beispiel zu nehmen und möchte an ELBJAZZ richten, bitte macht so weiter und behaltet diesen Gedanken auch im kommenden Jahr bei.
Die beiden bemerkenswerten Konzerte für mich sind dann am Samstag Myles Sanko und Hildegard lernt fliegen. Myles Sanko tritt mit seiner Band auf, erobert im Nu die Herzen und Ohren der Zuschauer am Helgen. Vor allem in einem Moment, wo er darauf besteht, „nimm Deinen Nachbarn in den Arm, keiner ist alleine hier“. Dieser Moment bewegt die Zuschauer, ein Strahlen ist in allen Gesichtern zu sehen und auch eine Weile später stehen sie noch eng beieinander. Ja und auch er hat sichtlich Freude daran. Und dann legt er noch einen drauf und ermuntert „Do it“, „You Do it“. Träume nicht deinen Traum, lebe ihn, so lauten seine Worte. Er hat in einer kurzen Weile solch eine gute Stimmung in den Hafen gezaubert. Richtig klasse. Vor allem freut mich, dass ich kurz im Anschluss an das Konzert noch ein Interview mit ihm führen kann.
Die absolute Überraschung ist für mich Hildegard lernt fliegen. Schon beim Soundcheck fasziniert mich diese Truppe rund um Frontmann Andreas Schaerrer. Schweizer, und dann noch aus Bern. Das kann ja was werden. Aber Pusteblumenkuchen. Matthias Wenger, Marco Müller, Andreas Schopp, Benedikt Reisig und Andreas Schaerrer haben Clowneske, domtierende Wirkung. Mit sich und untereinander, aber vor allem auch im Zusammenspiel mit dem Publikum. So eine exakte Spielfreude, ja da haben Sie ein Schweizer Uhrwerk zum Vorbild, in Nuancen werden Pointen gesetzt, die schwer zu errechnen oder gar zu erahnen wären. Ähnlich wie der berühmte Schweizer Le Corbusier hat ihr Vortragen etwas von Architektur, Planung und ja auch etwas Stadtentwicklung (zumindest in diesem Moment in Hamburg). Die Mimik und Gestik könnten schon fast Jazzpantomime sein, aber dann kommen ja noch die Geräusche, Laute, Gesänge und Beatboxdinge hinzu. Der Spass und die Explosivität dieser Truppe ist ansteckend. Und die kommen aus Bern!
Diese beiden Bands wären für mich im kommenden Jahr gern auf der Hauptbühne zu sehen. Ich glaube, dass auch diese beiden in Hamburg einen höheren Hörnerv getroffen haben. Ebenso glaube ich machen diese beiden Künstler Lust auf mehr!
Und dass zum Schluß noch Gregory Porter kommt, dürfte nun (da er zum dritten Mal da war) ab dem kommenden Jahr eine Tradition bleiben. Danke ELBJAZZ, einige Änderungen waren zu merken, aber es erschien kompakter und experimenteller.