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Einfach unfassbar!

Renaud Garcia-Fons in Herne

Herne, 02.12.2013
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Ingo Marmulla

Samstagabend, Musikschule Gräffstraße. Ich bin schon recht früh vor Ort. Das Konzert mit dem „Paganini des Kontrabasses“ beginnt erst in einer Stunde. Aber es kann nicht schaden, rechtzeitig da zu sein: Das Konzert ist ausverkauft! Renaud Garcia-Fons in Herne! Wieder so ein unglaublicher Auftrittsort für einen international agierenden Star. Und gleichzeitig eine besondere Gelegenheit, solch einen Ausnahmemusiker in einem überschaubaren, fast intimen Rahmen kennen zu lernen. Ich bin natürlich auch schon so früh da, um dem Meister möglichst nahe zu kommen. Und nach der Begrüßung einiger mir bekannter Musikschulkollegen weist mir Bernd Zinsius, ebenfalls Kontrabassist und Organisator der Reihe „Bass on Top“, einen idealen Sitzplatz zu. Mit Bernd gehe ich auch in die obere Etage, um Garcia-Fons zu fragen, ob ich während des Konzertes fotografieren kann. Schon beim Eintreten in den abgedunkelten Raum erblicke ich das ruhige und friedfertige Gesicht eines Mannes, der mir freundlich die Hand gibt und natürlich kein Problem mit meinem Fotoapparat hat... Wir gehen zurück in die Musikschulaula und warten gespannt auf den Beginn des Konzertes.

Garcia-Fons betritt den Raum und schreitet zur Bühne, wo sich sein Kontrabass mit dem entsprechenden Equipment befindet. ...Nun entlädt sich zum ersten Mal die allgemeine Erwartungshaltung und die Spannung in einem euphorischen Applaus. Eigentlich weiß jeder, dass dieser Abend ein besonderes Kontrabass-Erlenbnis werden muss.

Garcia-Fons richtet seinen Kontrabass auf und stimmt nach. Es wird ein akustisches Konzert unter Mithilfe einer Loopstation, eines Delaygerätes, sowie einer kleinen PA. Alles elektronische Mittel, aber nur, um den akustischen Sound zu unterstützen. Eine kurze Ansage informiert uns über den Ablauf des Solo-Konzertes. Uns erwartet eine musikalische Reise durch eine mediterrane Kulturlandschaft mit den umliegenden Kontinenten Europa, Asien und Afrika. Am Eingang lag schon die entspechende Referenz-DVD/CD aus: The Marcevol Concert (Enja)

„Die ehemalige Prioratskirche von Marcevol (französisch: Prieuré de Marcevol) liegt in der eindrucksvollen Berglandschaft des französischen Pyrenäenvorlandes im Département Pyrénées-Orientales“ - so finden wir den Ort bei Wikipedia erklärt. Unsere Reise beginnt genau hier, im mittelalterlichen Kloster in den Pyrenäen. Hier hat Garcia-Fons auch seine CD live eingespielt. Heute hören wir die Musik real in Herne, wenn auch mit einer teilweise abgeänderten Route.

Ein kurzer Vorhalt zu einer lyrischen Meldie lädt uns ein zu einem Zeitsprung ins Mittelalter. Man ist ergriffen von den Klängen, die an vergangene Zeiten erinnern. Und dennoch gibt es Raum für virtuose Läufe und Arpeggien unseres Protagonisten. Wenn diese Musik Geschichten erzählen will, dann hört man vielleicht die Mönche Gregorianik zelebrieren, man hört die kulturelle Basis des Abendlandes, auch diese als eine Welt der Vielfalt. ...Schon wechselt Garcia-Fons zu seiner speziellen Bogentechnik: Er lässt den Bogen rhythmisch tanzen und gibt uns eine Impression südländischer Renaissance. Das ist schon einmalig, was man da erleben darf. Eine Bogentechnik, die neben Intervallklängen eine gezielte Pizzicato-Tonfolge erzeugen kann. Das hat es so in dieser Form noch nicht gegeben. Wir werden am Folgetag bei der „Masterclass“ sehen, dass gerade bei Bassisten diese Technik besonderes Interesse erzeugt ... Nun beginnt ein neuer Teil seiner Komposition. Triolencluster in harmonischer Folge deuten auf aktuelle harmonische Konzepte hin und stellen den Bezug zur Gegenwart her. Das Stück mündet schließlich in ein virtuoses Präludium mit gespreiztem Fingersatz über das gesamte Griffbrett des Kontrabasses und endet in einem ergreifenden Rückgriff auf die Eingangsmelodik und in einem Feuerwerk auf allen Saiten mit einem furiosem Schlussakkord. Stürmischer Applaus ... Schon nach wenigen Minuten ist die technische Brillianz dieses Virtuosen ersichtlich, auch von der emotionalen Tiefe des melodischen Gefüges ist man ergriffen. Einfach unfassbar!

Müßig, wollte man jedes der Stücke beschreiben, das nun folgt. Es würde nicht gelingen. Wir erreichen auf akustischem Weg Santiago de Compostela (Hacía Compostela) und gelangen weiter nach Andalusien (Bajo Flamenco). Hier kommen wir mit Klängen der Barockmusik und des Flamenco in Berührung. Und wieder gelingt es Garcia-Fons das Publikum klanglich mitzunehmen. Er unterlegt seine Melodien und Improvisationen mit Loops, gemeint sind Melodien und Klänge, die gesampelt, elektronisch im Kreis gespielt werden und so einen rhythmischen und harmonischen Teppich für das weitere musikalische Geschehen liefern. Alle Klänge scheinen vom Kontrabass zu stammen, teilweise auch getrommelt, auf der Decke des Instrumentes. Man mag diese Performance als kommerziell kritisieren, aber sie ist wohltuend und bereichert klanglich die Performance.

Erwähnt sei das Stück „Palermo Notturno“, mit einer Melodie, die mich sehr an die Kompositionen Astor Piazzollas erinnert. Nach einem mittelschnellen rhythmischen
A-Moll-Motiv beginnt ein dezentes Rhythmus-Pattern, über das ein lyrisches Streicher-Thema auf der fünften Saite seines Kontrabasses gesetzt wird, was deutliche Anleihen bei Piazzolla zu nehmen scheint.

Und dann „Kalimbass“, ein Stück, das uns nach Nordafrika führt. Dort gibt es ein Zungen-Instrument mit Namen Kalimba. Wir erfahren, dass Papier zwischen den Saiten einen ähnlichen Klang erzeugen kann. „Leider hatt das Papier die Neigung, aus der Position zu gleiten ... Das ist so, wie im richtigen Leben. Alles ist in Bewegung! Nichts bleibt gleich!“ Ja, der Mann auf der Bühne kann sein Publikum unterhalten, auch das gehört zu seinem Auftritt. Erwähnt sei auch noch ein Slow.Blues im 12/8 Takte, der sich so nicht auf der DVD finden lässt und in „Rockwandering“ endet. Hier erlebt man einen Musiker, der auch in Bluesgefilden bewandert ist und mit seinem Bogenstrich ein Gitarrenfeedback neu erfinden kann.

...Erstaunlich, wie ein Musiker sein Publikum so in den Bann ziehen kann... Über die obligate Zugabe muss man nichts mehr sagen, dieses Konzert hat jeden begeistert. Mich eingeschlossen! Das war also ein Kontrabass?!! In diesem Moment ist mir klar, dass ich am Folgetag (anders, als geplant...) die „Masterclass“ besuchen und besprechen werde. Wann bietet sich schon mal die Gelegenheit, sich so intensiv mit diesem Instrument auseinander setzen zu können: mit dem Kontrabass? In diesem Sinne auch noch mal ein Dankeschön an die Musikschule Herne und den Organisator Bernd Zinsius.

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