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Einfach andere Dimensionen

32. Südtirol Jazzfestival Alto Adige 2014

Bozen, 16.07.2014
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Bernd Zimmermann

2200 Meter über Normal Null. Die Langkofel-Wand (Saslonch) ragt 1000 Meter senkrecht in die Höhe. Davor - in dieser atemberaubenden Landschaft - drei Musiker. Lucas Niggli, Andreas Schaerrer und Kalle Kalima. 300 Meter höher in der Wand - drei weitere. Matthias Schriefl, Cédric Favresse und Florian Trübsbach. Alle schauen gebannt auf einen winzig kleinen Punkt in diesem gigantischen Felsen. Ein Kletterer der Weltspitze versucht die Erstbegehung eines dramatisch dreinschauenden Wandüberhangs. Plötzlich stürzt er. 30, 40 Meter, bis ihn das Seil hält. Er versucht es ein zweites und ein drittes Mal. Die Musiker schicken all ihre Energie zu ihm hinauf. Niggli versucht ihn regelrecht nach oben zu trommeln, Schaerrer schickt stimmgewaltig Energie. Seine Töne wirken wie die eines Geräuschemachers beim Film. Kalle Kalima untermalt finnisch-stoisch das Geschehen mit dramatisch-voluminösen Akkorden. Musiker und Kletterer wirken symbiotisch. Dann der schwierigste Teil der Route. Abrupt halten die Musiker inne - Stille. Ein Keuchen und Ächzen ist zu hören - ganz nah. Die Entäußerungen des Kletterers. Sie werden per Funk hinunter zum Publikum am Wandfuß übertragen. Das schaut gebannt nach oben. Ein letzter, kraftvoller Zug und ein weiteres Stück alpiner Fels ist bezwungen. Die Brüder Nicolas und Olivier Favresse haben erneut Klettergeschichte geschrieben.

"Saslonch Suite" heißt dieses außergewöhnliche, vom künstlerischen Leiter des Südtirol-Festivals Klaus Widmann, erdachte Projekt. Improvisierte Musik trifft auf die Sportarten der Berge, die ebenfalls ohne die Fähigkeit zur Improvisation nicht durchzuführen wären. Widmann, selbst passionierter Bergsteiger und Kletterer, trug schon lange den Wunsch in sich, seine beiden Passionen miteinander zu verbinden. Mit der Saslonch-Suite hat auch er in diesem Jahr ein neues Kapitel im Jazz und im alpinen Bergsport geschrieben.

Dabei stand die Durchführung des Projekts mehrfach auf der Kippe. Erst der Fund einer Granate aus dem 1. Weltkrieg und dann eine schlechte Wetterprognose. Am Ende war das bedrohliche Wetter aber gerade das, was zwar einen Teil der Pläne zunichte machte, letztendlich diesem überragenden Gesamtkunstwerk möglicherweise sogar den letzten dramaturgischen Schliff gab.

Das Südtirol-Festival ist in seiner Art sicherlich das außergewöhnlichste Jazzfestival weltweit. Die Dimensionen bei diesem Festival sind gewaltig. Nicht nur, dass sich die Spielstätten mittlerweile über das gesamte Land Südtirol erstrecken und in diesem Jahr sogar Konzerte in Innsbruck und in der benachbarten Provinz Trient stattfanden, auch die Wege zu den Spielstätten sind oft für den verwöhnten, meist nur "um-die-nächste-Ecke" gehenden Jazzclub-Besucher gewöhnungsbedürftig. Da gibt es schon mal 45-minütige Wanderungen zu den abgelegenen Spielorten oder atemberaubende Fahrten mit Seilbahnen und Sesselliften in schwindelnder Höhe. Aber das macht dieses Festival aus. Jazz an den außergewöhnlichsten Orten.

So wie das Konzert der französischen Formation "Les Faux Frères". Die, die sonst regelmäßig die Tour de France rocken, gaben ein Konzert an den Erdpyramiden in Klobenstein hoch über Bozen. Oder "Leila Martial "BAA BOX"" auf der Feltuner Hütte (2046 m) in Ritten. Es waren in diesem Jahr vor allem die Franzosen, die viele Konzerte bestritten. Vor allem das "Collectif Coax", das mit wechselnden Formationen sehr präsent waren. Herausragend die Konzerte des Duos "Five 38" mit Fanny Lasfargues (Bass) und Rafaelle Rinaudo (E-Harfe) im romantischen Garten des Hotel Laurin, mitten in der Altstadt Bozens oder der Formation "Pipeline" im Semirurali Park mit seiner schönen Bergkulisse.

Klaus Widmann liebt die Gegensätze, das Kreieren von Unerwartetem. Mit zum Teil brachialen Sounds stemmt sich die Musik gegen die malerische Landschaft, um dann wieder mit eingängigen Grooves das Publikum mit der Kulisse zu versöhnen.

Genauso auch das Konzert im Rittersaal des Schloss Tirol nahe Meran. Hier stellten die beiden Schweizer "Lucas Niggli und Andreas Schaerrer" ihre rhytmischen Soundcollagen neben die Kapitelle und Drachen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Und es funktioniert. Das sonst so oberflächliche italienische Publikum lauscht gebannt und ist fasziniert von den so unerwarteten Eindrücken.

Aber es ist nicht immer Avantgarde die hier auf touristische Attraktionen trifft. Widmann will auch das "einfache Volk" für sein Festival gewinnen. Und so gibt es auch eine Vielzahl von Konzerten auf öffentlichen Plätzen, "Umsonst und Draußen", bei denen es durchaus wohl-klingenden hochkarätigen Jazz zu hören gibt, wie beim Didier Levallet Quintet auf dem Bozener Walterplatz oder Konzerte mit tanzbarem oder rockigem Jazz, die das junge Publikum ansprechen soll.

Am Vorabend des letzten Tages präsentierten sich so "Now vs. Now" mit Baba Israel. Jason Lindner ist seit den neunziger Jahren ein Fixpunkt im New Yorker Jazz. In seinem 2009 zusammengestellten Electro-Groove-Trio Now Vs Now macht er einen pulsierenden und rhythmisch ausgefeilten Jazz, der durch das Mittun des im HipHop beheimateten Baba Israel die Wiese hinter dem zeitgenössischen Museion musikalisch in Flammen aufgehen ließ. Oder "Let Spin" aus Großbritannien, die mit der gebürtigen Südtirolerin Ruth Boller am Bass das Batzenhäusl (ältestes Gasthaus Bozens und Hauptquartier des Jazzfestivals) grandios rockte.

Was wäre ein solches, in allen Belangen experimentelles Festival, ohne die ein oder andere avantgardistische Entgleisung. Wenn zum Beispiel ein Julien Desprez eine Stunde lang seine E-Gitarre im Foyer des Museion völlig übersteuert sich allein überlässt oder das französische Tentet Radiation 10 das Publikum sichtbar langweilte.

Dieses Festival ist in der riesigen europäischen Festival-Landschaft dennoch, oder gerade deshalb, eines der herausragensten und beeindruckensten Festivals. Hier gibt es nicht nur das Land mit neuen Sounds von einer anderen Seite zu entdecken, sondern auch viele unbekannte und vor allem junge Musiker und Formationen. Kein Jazz von der Stange, bei der man bereits beim Lesen des Programmhefts weiß was es zu hören gibt und wie man es finden wird. Das Jazzfestival Südtirol ist ein Festival, dem man möglichst frei von Erwartungen, ohne Vorbehalte und mit Freude am Entdecken begegnen muss. Und wenn einmal für einen so gar nichts dabei ist, bleiben ja immer noch die herrlichen Berge, die lieblichen Städtchen, der wunderbare Südtiroler Wein, die regionalen Leckereien und vielen vielen Sehenswürdigkeiten. Also dann: Wir sehen uns 2015? Das nächste Festival findet von Freitag, 26. Juni 2015 bis Sonntag, 5. Juli 2015 statt.

Hier findest Du einen, leider bereits mit ein bischen Werbung versehenen Bericht über die "Saslonch-Suite". Und weil das so einmalig war, wurde das ganze von einer professionellen Crew gefilmt und soll im Herbst als DVD erscheinen.

Und hier gibt es ein paar Konzertausschnitte aus diesem Jahr.

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