Eine Szene zum Entdecken! Reykjavik Jazz 2024
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Hans Vera, Kevin Whitlock (Harpa)
Wenn man seine Band schon Groove Gang nennt, dann sollte sie auch richtig grooven. Die Truppe von Schlagzeuger Gulli Briem tut das. Der auf Island lebende US-Saxofonist Phil Doyle, der sehr geschmackvoll mit Sounds arbeitende Keyboarder Magnús Jóhann Ragnarsson und E-Bassist Róbert Pórhallson spielen zusammen mit dem Bandleader eine frische, knackige, schlagzeuglastige Fusion, mit Songs von Briem oder den guten alten Steps Ahead. Gulli Briem ist einer der bekannten Namen der isländischen Musikszene, trommelte er doch jahrelang in der Band Mezzoforte. Das von ihm Ende der 1970er Jahre mitbegründete Funk-Fusion-Quartett landete 1983 mit „Garden Party“ einen Welthit, der Island schlagartig auf die musikalische Landkarte brachte. Und welch heute bekannte Künstler sind gefolgt, wie etwa The Sugacubes, Björk, Sigur Rós, Múm oder Emíliana Torrini. Auch international tourende, schon namhafte Jazzer gibt es, wie die Pianistin Sunna Gunnlaugs oder die Band ADHD.
Aber das Reykjavík Jazz, wie sich das langjährige Festival nun in der Kurzform nennt, ist immer noch ein wunderbares Event um die isländische Jazzszene besser kennenzulernen. Um ein Trio wie Hist Og in der Besetzung Trompete, Gitarre und Schlagzeug zu hören, das vorzüglich rhythmisch intensiven, vorwärtsdenkenden, zeitgemäßen, auch mal rockig treibenden Jazz mit Improvisiertem und elektronischen Elementen zu verbinden versteht. Oder um das ES Sextett zu entdecken, das zusammen mit der sehr charmant durchs Programm führenden, sehr guten Sängerin Marína Ósk zwar einen lupenreinen Mainstream Jazz spielt, der aber zu keiner Sekunde altbacken klingt. Schon weil zumeist eigene Stücke im Repertoire sind und wenn mal ein Standard erklingt, dann eigenständig und interessant anders arrangiert.
Freigeistig und immer spannend
ACT-Künstlerin Anna Gréta sorgte zusammen mit ihrem Vater für ein berührendes Duo-Erlebnis. Die Isländerin am Konzertflügel, E-Piano und Gesang, Sigurdur Flosason an Saxofon und Bassklarinette. Folksongs, Jazzstandards, eigene Kompositionen, zart und wunderschön was immer die beiden spielten. Zurückgenommen klingt auch die Musik des Quartetts MOVE des Saxofonisten Óskar Gudjónsson, bei dem mit Pianist Eythór Gunnarsson ein weiteres Mezzoforte-Gründungsmitglied mitspielt. Einen klassischen Jazzsound lassen die vier Isländer fast pausenlos durch den Konzertsaal des beeindruckenden Konzertgebäudes und Konferenzzentrums Harpa, dem Festival-Hauptspielort, schweben. Zwei Bands später ist Gudjónsson dann wieder auf der Bühne, mit einem ganz anderen Sound, als Mitglied des an diesem Abend siebenköpfigen Iceland´s Liberation Orchestra. Zwei Bassisten, ein Schlagzeuger und vier Bläser gehören zu dem Projekt von Saxofonist Haukur Gröndal, das mit dynamischen Interaktionen und bisweilen abenteuerlichen Rhythmen einen freigeistigen, immer spannenden Jazz zelebriert.
Natürlich treten auch internationale Künstler beim Reykjavík Jazz auf. Wie das Trio des dänischen Trompeters Jakob Buchanan, der mit seinem Landsmann, dem Pianisten Simon Toldam, und dem US-Saxofonisten und Klarinettisten Chris Speed eine feine, ruhige, mitunter fast meditative Musik spielt. Zu einer echten Überraschung wurde der auftritt des Quintetts GØ von den Färöer-Inseln. Fünf junge Burschen, die herrlich unvorhersehbar und mit ansteckender Spielfreude zwischen Fusion-Jazz, Prog- oder Postrock musizieren – auch mal mit cineastischen Twang-Gitarrensounds, die aus einem Western hätten stammen können. Solo am Konzertflügel präsentierte sich die griechische Pianistin Tania Giannouli und nahm die gebannt lauschenden Zuhörer mit auf eine komponiert-improvisierte Reise durch emotional ansteigende und dann wieder sanft abfallende kleine Stories, in der sie Verweise zur Klassik und griechischen Folklore einflechtet. Auf ihrem Album „Solo“ klingt das schon toll, live ist diese Musik, bei der die Griechin auch den Mut zeigt, traumhafte Klangbilder immer wieder auch mal kurz aufzureißen, noch magischer.
Die gute Tradition wird fortgesetzt
Der neue Leiter des Reykjavík Jazz, Pétur Oddbergur Heimisson, selbst klassischer Sänger, führt das Festival in guter alter Tradition fort. Die isländische Jazzszene darf sich ausführlich zeigen und interessante internationale Künstler wie die in Süddeutschland lebende, hochgelobte mongolische Pianistin Shuteen Erdenebaatar mit ihrem Quartet oder der färöische Bassist Arnold Ludvig, der seine eigenen, hörenswerten Kompostionen in seinem Quintett mit vier Isländern spielte, bekommen Platz im Programm. Dazu gibt es Raum für den eigenen Nachwuchs, wie an einem Nachmittag in einer angesagten Bar in Downtown Reykjavík, in der die junge isländische Sängerin Erla Hlín Gudmundsdóttir mit einem kurzen, gut halbstündigen Set schon sehr zu überzegen weiß.