Eine neue Plattform für den niederländischen Jazz
Bestandsaufnahme bei den Orange Jazz Days
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Alicia Karsonopoero & Luuk Claessens
Die Niederlande haben eine lebendige Jazzszene. Utrecht ist eine lebendige Stadt. Beides vereinen die Orange Jazz Days, ein neues Showcase-Festival für Jazz aus Holland, das nun erstmals für zweieinhalb Tage über mehrere Bühnen der imposanten, riesigen Veranstaltungsstätte Tivoli Vredenburg im Herzen der Stadt ging. Holländischen Jazz zu zeigen, der die Vergangenheit beleuchtet, die Gegenwart und die Zukunft – nichts weniger haben sich die Festivalmacher auf die Fahnen geschrieben. Und so bunt und vielseitig das Programm, so bunt auch das Publikum. Erfreulich viele junge Leute fanden den Weg ins Tivoli. Vielleicht auch kein so großes Wunder bei Bands wie den Utrechter Instrumental-HipHoppern von .multibeat, die mit ihren lässigen Sounds und Kopfnickerbeats viel Spaß machten. Auch WAAN setzt auf elektronische Grooves. Im Verbund mit Jazz-Funk und atmosphärischen Melodien. Das eigentliche Duo spielt live mit Schlagzeuger und Bassist als Quartett, das in Utrecht in dunklem Licht getaucht agiert. Es gibt eine Lichtshow und über der Bühne leuchtet der Bandname aus Neonröhren. Den coolen Fender Rhodes-Sounds von Emil van Rijthoven setzt Bart Wirtz seine intensiven Saxofonlinien entgegen. Eine absolut zeitgemäße, hippe Klangwelt und eine Musik für eine breite Fanschar.
Ein Programm mit vielen Großformationen
Das weiblich dominierte Nu Art Orchestra unter der Leitung der Saxofonistin Marike van Dijk, Residenz-Ensemble des Tivoli für die nächsten Jahre und gespickt mit vielen starken Künstlerinnen wie der Saxofonistin Tineka Postma oder den Trompeterinnen Ellister van der Molen und Suzan Veneman, spielte ebenfalls eigenes Material, das durch die ideenreichen Arrangements einen eigenen Twist bekam. Überhaupt gab es etliche Großformationen im Programm. Freunde von Bigbands durften sich über Jazz Orchestra of the Concertgebouw, das ICP Orchestra oder das Paradox Jazz Orchestra freuen. Und auch PARRA.DICE füllte die Bühne gut aus. Neun junge Damen und nicht binäre Bandmitglieder luden am Ende des Auftaktabends zur Jazz-Funk-Latin-Party ein, mit erfrischenden Klängen, sehr sympathischer Bühnenpräsenz und viel Energie.
Für einen Festivalhöhepunkt sorgten zuvor Zack Lober´s NO FILL3R. Die holländische Band des kanadischen Bassisten Zack Lober mit Trompeterin Suzan Veneman, Saxofonist Jasper Blom und Schlagzeugerin Sun-Mi Hong spielt eine mit feinen Widerhaken durchsetzte, durchaus zugängliche Musik. Fantastisch die beiden Bläserstimmen, quicklebendig und einfallsreich die Schlagzeugbeats, die wie die Musik alle vier Beteiligten immer wunderbar zwischen Kompositionsstruktur und freier Spontaneität pendelt. Und wie Lober in seinem einzigen ausgiebigen Solo auf dem Kontrabass ganz alleine auf der Bühne stehend den Klassiker „Bésame Mucho“ interpretiert – viel schöner lässt sich das berühmte Thema sicher kaum auf einem Tieftöner verarbeiten.
Ein beeindruckener Veranstaltungskomplex
Um zu den unterschiedlichen Sälen zu gelangen, die maximal eine Stunde dauernden Konzerte überschneiden sich, kommt man in der sechsten Etage des beeindruckenden Veranstaltungskomplexes automatisch immer wieder auf der Ebene Park 6 vorbei. Ein netter Ort des Treffens, mit Bar und einer kleinen Bühne. Dort spielte am späten Samstagabend Ben van den Dungen mit einer Band. Der inzwischen fast 65-jährige betrieb ab Mitte der 1980er Jahre fast 20 Jahre lang ein europaweit erfolgreiches Neobop-Quintett zusammen mit dem Trompeter Jarmo Hoogendijk. Und spielt noch immer großartig Saxofon. Van den Dungen in Utrecht zu erleben war ein wenig die Klammer um dieses Festival. Denn neben etablierten Künstlern wie ihn gab es ja neue Stimmen und genreübergreifende Projekte zu erleben. Das alles übrigens bei sehr regem Publikumsinteresse. Premiere geglückt.


