Eine Insel atmet den Jazz
Funchal Jazz Festival 2018
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Renato Nunes
Spirituell gibt sie sich. Jazzmeia Horn zündet erst einmal ein Räucherstäbchen an bevor sie den wunderschönen Saal im Rathaus von Funchal betritt als Stargast bei der Pressekonferenz zum diesjährigen „Funchal Jazz Festival“. Der Rauch wabert durch den Raum. Auf der Bühne allerdings fühlt sich die Amerikanerin irgendwann mitten in ihrem Konzert einen Tag später aber irritiert vom Trockeneisnebel und singt erst weiter als dieser abgestellt wird. Und wie sie singt. Gleich rein in die Vollen, so startet sie mit ihrem vorzüglichen Quartett im Rücken und neben sich ihren Auftritt. Mit selbstbewusstem Scat-Gesang, der die ganze Zeit über immer wieder von ihr eingebaut wird. Der neue, schon mit Preisen geschmückte Star am Jazzvokal-Himmel lässt keinen Zweifel an ihrer Attitüde: Hier bin ich, die Tradition im Blut und das afroamerikanische Erbe aufgesogen. Trotzdem, man wird das Gefühl nicht los, das alles so oder ähnlich schon gehört zu haben. Auch wenn sie manchen Jazzstandard ganz eigen interpretiert. Etwa die Ballade „The Peacocks“ im Duo nur mit ihrem brillanten Pianisten Victor Gould.
Viel packender war da der Auftritt des „Vijay Iyer Sextet“ am nächsten Abend. Ziemlich genau eine Stunde lang spielte der US-Pianist mit indischen Wurzeln ein aufregendes, pausenloses Set. Zwischen Durchnotiertem und freien, improvisierten Momenten drängt diese Band mit Bassist Ben Street, dem jungen, quirligen Drummer Jeremy Dutton und einer dreiköpfigen Bläser-Line mit den Saxofonisten Mark Shim und Steve Lehman und dem Trompeter Graham Haynes mit einer Intensität nach vorne. Urwüchsig und kraftvoll klingt das alles, frisch und rhythmisch spannend. Eine Musik mit unterschiedlichen Texturen und einigen elektronischen Verfremdungen zwischendurch, die man glücklicherweise am 6. November im Rahmen einer Jazznacht des Münchner Jazzlabels ECM auch in unserer Region, im Dortmunder Konzerthaus, wird hören können.
Mit dem Schlagzeuger Billy Hart lud Festivaldirektor Paulo Barbosa eine echte Jazzlegende erneut nach Madeira ein. War der 77-Jährige Amerikaner erst im letzten Sommer mit dem Allstar-Projekt „Saxophone Summit“ auf der Blumeninsel, brachte er dieses Jahr sein eigenes Quartett mit dem Saxofonisten Joshua Redman mit. Es dauerte ein wenig, vor allem nach diesem Energiefluss von Vijay Iyer zuvor, bis man sich an den mehr „gediegeneren“, soliden Mainstream Jazz von Hart gewöhnt hatte. Doch am Ende packte auch der Mann an den Trommeln mit seinen Mitstreitern das Publikum mit seinen ideenreichen rhythmischen Wendungen und seinem reifen, souveränen Spiel.
Der einzige portugiesische Vertreter des dreitägigen Festivals im wunderschönen Parque de Santa Catarina mitten in Madeiras Hauptstadt Funchal war dieses Jahr der Altsaxofonist Ricardo Toscano, der das Festival eröffnen durfte und für die allabendlichen Jam Sessiosn zu später Stunde im SCAT Musicclub verantwortlich war. Toscano ist mehr als talentiert, so wie sein seit ein paar Jahren nun schon zusammen spielendes Quartett mit Pianist João Pedro Coelho, Bassist Romeu Tristão und Schlagzeuger João Pereira. Diese immer noch jungen Burschen vom portugiesischen Festland lieben die Musik eines John Coltrane oder Herbie Hancock. Und stehen dazu und spielen sie. Aber frisch und mit eigener Note. Und dazu großartige eigene Kompositionen des Bandleaders, die sich in die Klangästhetik der großen Vorbilder einfügen.
Und was für einen Festivalausklang hat Paulo Barbosa wieder hinbekommen - mit „Jason Moran & The Bandwagon“! Dieses seit vielen Jahren schon zusammenspielende Trio des Pianisten Jason Moran mit dem Bassisten Tatus Mateen und Drummer Nasheet Waits atmet in seiner Musik viel Jazzgeschichte um diese im nächsten Augenblick überraschend aufzubrechen und neu zu beleuchten. Das alles klingt ganz eigen und individuell und passiert in einem traumwandlerischen Zusammenspiel.
Beseelt verließen die vielen Zuhörer den Park und gingen entweder glücklich nach Hause oder noch zur abschließenden, letzten Jam Session, bei der sich auch Jason Moran und seine Jungs noch blicken ließen. Ein Jahr dauert es nun wieder bis Funchal und Madeira wieder zum Fixpunkt für großen Jazz werden. Festivaldirektor Paulo Barbosa hat sicher schon Ideen für die nächste Ausgabe im Kopf.