Bild für Beitrag: Eine imaginäre Reise | Fred Frith bei der Ruhrtriennale 2014
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Eine imaginäre Reise

Fred Frith bei der Ruhrtriennale 2014

Essen, 03.09.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Ruhrtriennale, Heinrich Brinkmöller-Becker

„Bedeutung herzustellen sei nicht sein Problem“, antwortete Fred Frith im fröhlichen Gespräch, als ihm nach seinem Auftritt in der Zeche Carl Schulkinder ihre neugierigen Fragen stellten. Ein Konzert wie dieses hier in der Maschinenhalle der Zeche Carl sei ein kreativer Prozess. Und man auf diesem später dort ankäme, wo man schon am Anfang schon hin wollte, sei doch alles verloren.

Kinder sind von Natur aus neugierig –und im Idealfall sind sie noch nicht restlos der schablonenhaften Wahrnehmungswelt vieler Erwachsener erlegen. Da liegen noch Chancen für Sensibilisierung und für die Ausbildung von gesundem Widerstand gegen die Sogwirkungen des Mainstreams. Diesem pädagogischen Aspekt trägt die von Heiner Goebbels nun im dritten Jahr kuratierte Ruhrtriennale Rechnung, wenn sie das ganz junge Konzertpublikum (die Hörer von Morgen?) zu den experimentellen Veranstaltungen der Triennale ausdrücklich einlädt.

Wir kennen Fred Frith nun schon über Jahrzehnte. Vielseitig und von Grenzen sprengender Fantasie gesättigt sind seine Projekte. Seine solistischen Improvisationskonzerte sind nur eine Facette davon: Barfüßig schreitet er in der Maschinenhalle zum Konzertpodium, grüßt auf deutsch mit einem lapidaren „Guten Abend“. Man muss sich nicht übertrieben beim Publikum anbiedern, wenn man redliche Arbeit zu leisten gedenkt.

Geräusche füllen den Raum. Es schabt, sirrt und wischt, wie er mit einer Bürste über die Saiten geht. Verzerrgeräusche, Rückkopplungen, Überlagerungen durchschneiden die Stille. Er weiß, sein Instrument zu berühren, kennt jede Wirkung dieser Berührungen und erforscht ständig neue. Was alles passiert, wenn Metall auf Metall trifft, lotet er ausgiebig mit Blechdosen, Ketten, elastischen Stäben und allerhand mehr aus. Das ist zunächst oft abstrakt und perkussiv, aber er lässt zunehmend die Sprödigkeit hinter sich. Wie ein Prozess des Suchens, um aus einem ungeordneten Urzustand konkretes Leben zu schöpfen. Aus Geräuschen werden Töne – ganz plastisch und nachvollziehbar entblößt dieses Spiel den Verlauf akustischer Schwingungsvorgängezwischen „Geräusch“ (= ungeordnet) und „Ton“ in einer klardefinierten Höhe (=geordneter Verlauf der Schwingungskurve).

Dass Fred Frith in jedem Moment weiß, was er hier will und mit einem Höchstmaß an Reife umsetzt, zeigt sich in den Bildern, welche dieser imaginäre Hörkosmos zunehmend evoziert.Das lässt die Sinnlichkeit in diesem Tun wachsen. Manche Figuren, Motive und Muster muten pentatonisch asiatisch an. Und wenn er mal die Gitarre vom Schoss aufnimmt, lässt er in psychedelischen Soli die Energien einer harschen Noiseband aufbranden. Oder es pocht wie in einer Maschinenhalle – in der das ganze ja auch stattfindet. Eigenwillige perkussive Geräuscheffekte wirken so abgehackt, weil sie vom Loopgerät aufgenommen wurden und rückwärts abgespielt werden. Eine Bluesfigur nimmt Gestalt an, zu der Fred Frith sogar kurzzeitig mal singt. Nach endlosen Wegen, Abwegen und Umwegen verebbt dieses fließende Kaleidoskop aus Klang, Fantasie und Schwingung. Ein einzelner metallisch pochender Ton führt schließlich wieder aus dieser labyrinthischen Welt hinaus – so als würde eine alte Standuhr die Uhrzeit läuten.

Der langanhaltende Beifall verleitet Fred Frith jedoch nicht dazu, eine Zugabe zu spielen. Er begründet diese Entscheidung mit einer kleinen Ansprache: Sei es doch so, als hätten hier Reisende einen Bus bestiegen, um einen langen Weg durchs Ungewisse und durch weite fremde Landschaften zu unternehmen. Gerade jetzt erst angekommen, könne man doch nicht sofort schon wieder losfahren…

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