Ein Jazzpolizist mit großer Fantasie
Blue Note Jazz Ensemble beim Take 5 Festiival
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Jazz in NRW erleben heißt, die Region zu entdecken. Das Festival „Take 5“ ließ das Haus Opherdicke einen Abend lang zum Epizentrum des Jazz werden - eben so, wie sich dieses Festival darauf versteht, hochmotivierte Protagonisten aus einer Region an attraktiven, manchmal auch überraschenden Orten der „Hellweg-Region“ zusammen zu bringen. Die Mitglieder des Blue Note Jazz Ensembles teilten hier eine musikalische Erfahrung und gaben sie ans Publikum weiter.
An diesem Herbstabend führten dunkle, etwas abseitige Wege hinein ins kleine, malerische Holzwickede - das, umgeben von vielen kleinen Fachwerkhäusern sogar ein malerisches Schloss hat. Was für ein Kleinod!
Uli Baers Ansage der Musiker für diesen Abend ist schon für sich ein kleiner Vortrag über die Jazzgeschichte und -gegenwart in NRW. Schlagzeuger Benny Mokross dürfte in diesem noch nicht geschriebenen Geschichtsbuch stehen, weil er als allererster an der Folkwang Universität der Künste Jazz studierte. Geschichten hat er seitdem zuhauf erlebt, die er in seinem Buch „Hier dürfen Sie aber nicht parken“ mit viel Lust erzählt. (Eine ausführliche Buchrezension steht unter ..... Zusammen mit Uli Baer, dem Bassisten der Band und Initiator des „Take 5“ Festivals hat er in Teenager-Zeiten schon in einer Bigband zusammengespielt. Heute betreibt er in Hemer, am Rande des Sauerlandes ein Tonstudio. Saxofonist Patrick Porsch ist auch ein Musiker der Region: Er kuratiert einen quicklebendigen Klangkörper mit frischem Bandkonzet, die „Hellway to High Bigband“. Beim Konzert auf Schloss Opherdicke erfreut es umso mehr, wie sich auf einer Jazz-Bühne die Generationen berühren: Posaunist Paul Lüpfert, heute aktuell an der Folkwang studierend, sollte an diesem Abend als begabter Newcomer beweisen, dass die Fackel des Jazz auch zukünftig lodert.
Kreativer Jazzpolizist
Die Hauptperson an diesem Abend soll jedoch Dmitrij Telmanov sein, ein Trompeter, der aus Odessa stammt und in Unna heimisch wurde. Neuerdings hat er einen neuen Job als Bigband-Leader beim Landespolizeiorchester NRW. Dass es „Jazzpolizisten“ mit so viel Feuer und Fantasie gibt, sollte als weiteres Fazit dieses Abends hängen bleiben. Über den großen Teich kam ein special Guest geflogen: Einer der wohl profiliertesten Pianoplayer des internationalen Jazz ist Vadim Neselovskyi - wie Dmitrij Telmanov aus Odessa stammend, war er lange in Dortmund beheimatet, lebt und wirkt aber schon seit vielen Jahren in Boston. Dass er sich an den dortigen Quellen des Jazz aufs Beste bedient hat, um daraus Neues, Großes wachsen zu lassen, demonstriert er bei jedem Take 5 Festival aufs Neue.
Wie klingt er nun auf der Bühne, dieser soziale Kosmos? Dmitrij Telmanov hat viele neue Stücke komponiert. Sie zeigen, wie man Bausteine souverän zusammenfügt und dies alles mit viel intuitivem Verständnis zu spiele weiß. Weitgespannte Melodiebögen ziehen hinein in die präzise Interaktion im Sextet. Ähnlich wie hier muss es bei den "Jazz Messengers" zur Sache gegangen sein, auf die das Motto des aktuellen Projekt „In memorial of Art Blakey“ anspielt. Auch solistisch wird alles gegeben: Ganz vorne dran waltet Dmitrij Telmanov auf Trompete und Flügelhorn, oft in polyphoner Reibung mit Patrick Porschs Saxofon. Und der junge Posaunist Paul Lüpfert überbietet sich sowieso ständig selbst, als wenn es kein Morgen gebe. Am klangprächtigen Bösendorfer-Flügel genießt derweil Vadim Neselovskyi die hellwache Spontaneität einer Adhoc-Begegnung mit wenig Vorlaufzeit. Die neuen Stücke hat er auf dem Tablet vor sich - aber Neselovskis lupenreine, ideengesättige Tastenkunst leuchtet aus dem tiefsten Inneren.
Klassische Satzbaukunst und frei fließendes Temperament
Temperamentvoll groovende Stücke wechseln mit ruhig-fließenden Balladen in gechilltem Cooljazz-Gestus. Neselovsky kostet hierfür die Möglichkeiten auf den Tasten aus. Telmanovs Trompetenspiel wird gerne auch mal lautmalerisch, etwa, wenn Impressionen vom ersten Urlaub in Südfrankreich die kompositorische Idee inspirierten. Aufblitzende Licks in hohen Registern wirken wie Sonnenstrahlen, die bei der Fahrt Richtung Provence die Windschutzscheibe fluten und auch ein latin-artiger Groove sich nicht bremsen lässt. Auch geht es in mächtigen Funk-Nummern zur Sache, bei der die komponierten Linien immer ihre Eleganz behalten.
Wodka wird zu Hardbop
Highlight im zweiten Set des Abends ist ein Stück, welches Telmanov nach einer Wodkasorte, die sich „Russian Standard“ nennt, betitelt hat: Ein schneidend scharfes Hardbop-Motiv feuert die Trompete in die Umlaufbahn ab. Weitere Bläser plus Rhythmusgruppe klinken sich hitzig ein - bevor mit ein entspanntes Seitenthema mal eben lässig dazwischen funkt. Bevor Neselovski sich wieder vollgriffig und perkussiv ins Eingangsthema hineinstürzt und energisch improvisierend die Flucht nach vorn antritt. Das IST Jazz, könnte man in diesem Moment ausrufen! Und sich schon jetzt aufs nächste Jahr freuen: Dann wird die CD zu haben sein, welche die Band einen Tag später im Studio von Benny Mokross aufnahm- und welche die hier geteilte Erfahrung dokumentiert.