east plugged festival 2021
Raum-Wirkungen in der Friedenskirche
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Zbigniew Lewandowski
„Diese CD besser nicht auf der Rückfahrt in den Auto-CD-Player einlegen“, hatte Thomas Becker noch gewarnt. Denn der Inhalt des liebevoll gestalteten Jewelcase war diesmal nicht silbern und klangvoll, sondern dafür köstlich-lecker - feinste Schokolade! Nur eines von vielen kleinen, charmanten Details, mit denen die Macher des east-plugged Festivals auch das Drumherum ihrer Veranstaltung eben im besten Sinne „liebevoll“ im Blick haben...
Eine nächterne moderne Kirche mitten in einem Ratinger Wohngebiet. Kein Ort, wo man normalerweise internationale Jazzfestivals verorten würde. Die Überraschung ist also umso größer, dass hier ein perfekter Zusammenklang entsteht aus Zeitpunkt, Örtlichkeit, Menschen und Stimmung. Also ist auch die jüngste Ausgabe des east-Plugged-festivals wieder ein Erlebnis.
Das Präsentieren hochkarätiger Bands auf einer Bühne ist auch bei der privaten USB-Stiftung seit Jahren eingespielte Routine. Es geht aber um mehr. Nämlich um um das Erzeugen eines besonderen Zustandes. Nicole Johänntgen, gefragte Sopran- und Tenorsaxofonistin kommt für ihren Soloauftritt in der Friedenskirche „aus dem Hintergrund heraus“. Sie durchmisst erstmal den ganzen, akustisch prächtigen und vollbesetzten Saal.Und übt sich spielerisch in radikaler Reduktion dabei. Aber eben in der Kunst, aus der Reduktion heraus ein "Mehr" zu erzeugen. Ein einziger Ton durchströmt den Raum. Wie ein Atemzug. Immer wiederholt, in langsamem ruhigen Puls, sich ausbreitend, sich allmählich zu etwas Neuem, Umfassenderen entwickelnd. Erstmal nur ein Zweitonmotiv. In ruhig atmendem Puls. Feine Veränderungen, auch was die Stärke des Luftstroms anbelangt. Zunehmen auch mit perkussivem Sforzato, welches den Luftstrom gerade in die Grenzregion zum Flagolett treibt. Immer noch irgendwo mitten im Raum, zwischen den 200 Zuschauerinnen und Zuschauern füllen.
Schließlich wird eine lyrische Melodie draus, durchsetzt mit improvisierten Intermezzi, welche mehr werden. Aber atmende Puls, die meditativen Wiederholungen, fast wie ein Refrain, bleiben. Reduktion heißt eben nicht, weniger zuzulassen, sondern stattdessen das Element Zeit neu zu definieren. Ob man hier nun an John Cage oder Morton Feldman denkt, mag jedem überlassen sein.
Ersehnte Ruhezustände
Dieses solistische Spiel zieht auf Anhieb in ersehnte Ruhezustände nach der üblichen Anreise-Hektik hinein. Gedanken und Emotionen. Alles ordnet sich, weil diese Musik-Meditation souverän in Zustande ungeahnter Gelassenheit hinein zieht. Nicole Johänntgen hat dieses raum- und zeitsprengende Stück schon an vielen Orten aufgeführt, etwa auch auf dem schwedischen Ystad-Festival. Es bleibt ein Unikat, weil es in jedem Moment so viel von der Umgebung, der gerade vorherrschenden Stimmung absorbiert. Mit einem Instrument die Menschen in andere Zustände führen, markiert im Idealfall genau das Gegenteil von musikalischer Geschwätzigkeit, die ja sonst auch gerade im Jazz nicht immer selten ist. Dies hat Nicole Johännten eindrücklich demonstriert. Und so wurde auch eine solistische Blues-Nummer zum klangfarbenreichen Paradestück, um das Publikum weiterhin auf direktestem Weg zu packen.
Soviel zum ersten Teil dieses unvergleichlichen Abends, der zu diesem Zeitpunkt in der Friedenskirche längst zu einem behaglichen Wohnzimmer geworden war. Simon Oslender gehört der zweite Teil. Er zeigt sich in einem Soloset als versierter Pianist und tief empfindender Jazzer, als gediegener Klangästhet auf dem Piano und dem Synthesizer.Zunächst gestaltet er ein stimmungsvolles Soloset. Richtig spannend wird es in Teil drei: In bester „Blind Date Manier“ werden Nicole Johänntgen und Simon Oslender nun "aufeinander losgelassen". Einen guten gemeinsamen Nenner finden, darauf aufbauen und mittelbar aus dem Gefühl heraus kommunizieren. Nicole Johänntgen und Simon Oslender fällt hierzu nichts geringeres als ein intensiver, dynamischer Dialog aus leuchtenden Klangfarben ein.
Musikalisch stand der zweite Tag im Zeichen von drei herausragenden Schweizer Musikern. Mit seinem weichen, akzentuierten Anschlägen gelang es dem Pianisten Thierry Lang, aus dem Flügel eine ganz besondere Brillanz zu generieren. Heiri Känzig ist einer der wenigen Bassisten, die schon solo überzeugen können; im Trio bettete er die klangliche Bandbreite dieses Instruments in ein Gesamtkunstwerk ein, ebenso wie Mathieu Michel mit seinem teils subtilen, teils Fanfaren artigen Spiel am Flügelhorn.
Den Schlusstag des Festivals bestritt die schwedische Band Tonbruket: Dan Berglund [Bass], Johan Lindström (E-Gitarre und pedal steel guitar, ), Martin Hederos (akustische und elektronische Tasteninstrumente, Geige) und Gard Nilssen [Schlagzeug] ließen die Ziegelwände der Friedenskirche „vibrieren“ und die „Soundfabrik“ ließ keine Wünsche offen.