EarFest 2016
WO – MAN – Das andere Geschlecht
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Das EarFest 2 mit Musik, Poesie, Performance und Bildender Kunst fand wieder im Duisburger Innenhafen am Philosophenweg 17a statt, dem ehemaligen Haus Trinks. Seit 2015 ist das Komponistenpaar Kunsu Shim und Gerhard Stäbler mit ihrem Earport wieder zurück an ihrer alten Wirkungsstätte in Duisburg. Der Alt-Oberbürgermeister Josef Krings sprach 2015 bei der Eröffnung davon, dass nun der Neubeginn dieser Kulturstätte, seinen Laufe nehmen könne.
Das EarFest 2016 vom 1.-4. Dezember hat seinen Schwerpunkt auf Künstlerinnen gelegt. Ihnen war, unter dem Titel: WO – MAN – Das andere Geschlecht, der Konzertabend am Sonntag gewidmet. Der Titel ist angelehnt an den Klassiker der Frauenliteratur von Simone de Beauvoir.
Kunsu Shim und Gerhard Stäbler haben Künstlerinnen ausgewählt, von denen sie inspiriert worden sind. Die Liste der Frauen ist lang und international, sie reicht von Komponistinnen wie Dorone Paris, Mieko Shiomi, Nomi Epstein oder Galina Ustwolskaja über Dichterinnen wie Sappho, Emily Dickinson oder Haein Ku bis zur Performance Künstlerin Yoko Ono.
Das Ensemble Crush aus Duisburg, das sich zeitgenössischer und experimenteller Musik und Performance widmet, spielte in unterschiedlichen Formationen, vom Duo Bassklarinette und Klavier, über Trio Violine, Cello und Klavier bis zum Ensemble Klarinette, Violine, Cello, Akkordeon, Klavier. Die sechs Ensemblemitglieder, die aus fünf Ländern stammen, brachten mit ihren Instrumenten die Ideen und Impulse der Komponistinnen hervorragend dem Publikum nahe.
Kyusang Jeong, Klarinette; Karin Nakayama, Geige; Andrei Simion, Cello; Slavi Grigorov, Akkordeon; Marin Petrov, Klavier, Lukas Tobiassen, Komposition.
Kunsu Shim und Gerhard Stäbler, sowie Mitglieder des Ensemble Crush begleiteten die Musik mit Performance und lockerten sie mit Gedichten auf. Auch das Publikum wird bei der Performance Anyone can do it von der holländischen Künstlerin Mayka Nas mit einbezogen. Zwei Frauen und zwei Männer bewegen sich auf Anweisung per Computer.
Den Ausklang bildet Alwynne Pritchards Vitality Forms 2 für Ensemble, Stimme und Facial Performers, bei dem die Hausherren und Lucas Tobiassen vom Ensemble Crush herrliche Fratzen schnitten.
Das chinesische Sprichwort: Frauen tragen die Hälfte des Himmels wurde an diesem Abend erlebbar.
Dem “WO – MAN Abend“ waren die zwei Themenabende Musik und Psyche und Einzige Stimme der Vernunft vorausgegangen.
Am Donnerstag gab es ein Gesprächskonzert „Musik und Psyche“ mit der Sopranistin Alexandra von der Weth, Dr. Christoph Seibert (Max Planck Institut Frankfurt) und Kunsu Shim.
Die Musik war von George Crumb, Bernd Preinfalk, Giacinto Scelsi, Robert Schuhmann, sowie von den Hausherren und wurde von Alexandra von der Weth, Gesang, Anja Schröder am Cello und Roland Tichet am Klavier ausgeführt.
Der Samstag stand im Wechselspiel von Klavier und Violine. Eröffnet wurde der Abend mit einer europäischen Erstaufführung des Werkes With Ego Amplitudes des Komponisten Nicolaus A. Huber, der auch anwesend war. Huber war Folkwang Professor und Schüler von Stockhausen und vor allem von Luigi Nonno. Er gehört zu den bedeutensten Gegenwartskomponisten. Über sein Werk für Violine und Klavier sagt er: „Obwohl es sich bei diesem Duo um eine relativ offene Klanglichkeit handelt, glaube ich, dass es mir gelungen ist, Wahrscheinlichkeitswellen der harmonischen Aufenthalte wahrnehmbar zu machen. D.h. Hören ohne zu analysieren und ohne dauernd zu messen. Ohne Botenteilchen bedeutet ohne harmonische Schritte, aber mit der Fähigkeit zur Wechselwirkung.“
Den Abschluss bildete das Stück Dikhthas (1979) von Iannis Xenakis. Beide Stücke wurden von Jacek Klimkiewicz an der Violine und Catharine Vickers am Klavier mit großem Einfühlungsvermögen ausgeführt. Dazwischen gab es die Performance Globus – Pflege 2 von Aldo Ricci, Ivan Gederet und Malte Schwiddessen, die sich an selbstverfassten Texten orientierte und diese nachbewegten. Alle drei Ausführenden sind Absolventen der Düsseldorfer Kunstakademie.
Begleitend zu diesen Aufführungen gab es die Ausstellung des Künstlers Martin Goppelsröder Licht und Finsternis – Hommage an Guiseppe Ungaretti. Die meisten der schwarz-weißen Bilder sind Federzeichnungen, die aus tausenden von Linien bestehen und bei längerem Anschauen immer neue Tiefenstrukturen und Zusammenhänge erkennen lassen. Dies korrespondiert mit der Erfahrung beim Hören der Musikstücke und dem Erleben der Performance.
Das EarFest 2016 gab dem Publikum neue Impulse und inspirierte zum Nachdenken über Strukturen, sowohl in Musik und Darstellung als auch in gesellschaftlichen Prozessen und Entwicklungen.
Earport in Duisburg hat sich wieder als wichtige Adresse für audiovisuelle Performance und Gegenwartsmusik etabliert, ein Erfahrungsraum zum Hinhören und Hinsehen.
https://www.gerhard-staebler.de/
ensemble-crush.com/de/
http://www.beckmesser.de/komponisten/hubernicolaus/portrait.html