Diese Eindrücke wirken lange nach!
Uwe Bräutigams Multiphonics-Nachlese
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Das Multiphonics Festival hat seinen Schwerpunkt in Köln, aber viele Konzerte konnten man auch in Wuppertal besuchen und auch die Düsseldorfer Jazz-Schmiede war wieder ein Veranstaltungsort. Die Klarinettistin Annette Maye , künstlerische Leiterin des Festivals, hatte auch für die zurückliegende Ausgabe ein vielfältiges und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt, der Bogen spannt sich von modernem Jazz bis zu Worldmusic. nrwjazz hat dieses Jahr die Konzerte in Köln begleitet.
Trieders Holz und Qartabé
Das Eröffnungskonzert war feinster Kammerjazz von der Kölner Band Trieders Holz. Die Flötistin und Komponistin Conni Trieder, die in Halle an der Saale aufgewachsen ist, hat kleine Gedichte über Orte ihre Jugend geschrieben und Musik dazu komponiert. In ihrer Band Trieders Holz spielen Conni Trieder und Quentin Copalla Querflöte, Leonhard Huhn Bassklarinette und Athina Kontou Kontrabass. Die wundervollen kleinen Gedichte über Radfahren in Halle, das Turbine Sportfest oder Dachsteigerei bilden eine poetische Ergänzung zum lyrischen kammermusikalischen Jazz der Band. Die Stücke stammen vor allem aus dem neuen Album der Gruppe “Vertraute Orte“. Durch die Verbindung von Lyrik und Musik entstehen auch bei den ZuhörerInnen, die Halle nicht kennen, berührende Bilder von Kindheit und Jugend. Die beiden hellen Querflöten bilden einen Kontrast zu den dunklen Klängen von Bassklarinette und Kontrabass. Für Conni Trieder sind die Stücke eine Hommage an die Flöte, sie konnte sich in ihren Kompositionen austoben, wie sie sagt, und viel Neues ausprobieren. Die Musik kommt dabei leichtfüßig und sinnlich daher.
Nach der hellen lyrischen Musik von Trieders Holz, kann es kaum einen größeren Gegensatz geben als die brasilianische Avantgarde Gruppe Quartabé. Die Band beginnt ihr Konzert im völlig abgedunkelten Bühnenraum und auch während des ganzen Konzertes bleibt es relativ dunkel auf der Bühne. Die vier MusikerInnen, die aus Sao Paulo stammen, sind in graublaue Kittel gehüllt. Über dem Konzert schwebt eine seltsam unheimliche Stimmung. Maria Portugal am Schlagzeug, war letztes Jahr Musikerin in Residence auf dem Moers Festival.
Mit ihr spielen Joana Queiroz und Maria Beraldo an Klarinette und Bassklarinette und am Keyboard Chicao. Die Musik der Band speist sich aus brasilianischer Musik mit Jazz und Rock Einflüssen und ist der Sao Paulo Avantgarde verpflichtet. Die Musik der Klarinetten reicht von langen Haltetönen, über schnelle kurze abgerissene Klänge mit Einsatz von erweiterten Techniken, bis zu perkussivem rhythmischen Spiel, das v.om Schlagzeug befeuert wird Das Keyboard bringt Klangteppiche zum Schwingen und von dunklen Grollen bis zu flirrenden Höhen hinaufreichen.
Beyond the Roots feat. Simin Tander und Christoph Hillmann und Dhafer Youssef
Der zweite Festivalabend in Köln findet im Gloria Theater statt und ist stark von Worldmusic geprägt. Das erste Konzert gestaltet die Formation Beyond the Roots, in der auch Annette Maye Klarinette und Bassklarinette spielt. Als Gäste hatte die Gruppe den Berliner Schlagzeuger Christoph Hillmann und die deutsch-afghanische Sängerin Simin Tander .
In dieser Band finden sich musikalische Einflüsse aus Indien von Hindol Deb an der Sitar, aus Persien von Kioomars Musayyebi an der Santur und Bassam Hawar an der Djoze, aus Jazz und Musik der Türkei von Annette Maye an den Klarinetten und aus der europäischen Fidel und der Klassik von Albrecht Maurer . Diese kulturelle Vielfalt und die Virtuosität der MusikerInnen machen den Zauber dieser Formation aus. Alle Bandmitglieder sind zugleich auch KomponistenInnen und tragen zum Repertoire der Gruppe bei. Mit der betörenden Stimme von Simin Tander und der rhythmischen Basis von Christoph Hillmann werden die ZuhörerInnen auf eine Reise in ferne Länder von Afghanistan bis nach Samarkand auf der Seidenstraße entführt. Beyond the Roots ist ein echter Höhepunkt des Festivals.
Das zweite Konzert des Abends spielt der tunesische Oud Spieler Dhafer Youssef, der einen modernen Oriental Jazz spielt. Er stellt mit seinem Quartett Musik aus seinem neuen Album “Streets of Minarets“ vor. Dhafer Youssef setzt neben seiner Oud, vor allem seine Stimme ein und erzeugt hypnotische Klänge. Obwohl seine Mitmusiker, Noraye Gapoyan an der armenischen Flöte Duduk, David Sancho am Piano, Noé Bern am E-Bass und Adriano dos Santos Percussion, hervorragende Instrumentalisten sind, erscheint die Gruppe nicht wie eine Einheit, sondern wirkt wie eine Ansammlung von einzelnen Musikern, die ab und an zusammenfinden. Das Publikum im Gloria feiert nichtsdestotrotz Dhafer Youssef mit viel Beifall.
Samantha Wright Ivy Mind, Daniel Erdmann Therapie du Couple und Norbert Stein
Pata Kandinsky
Am dritten und am vierten Tag präsentiert das Festival im Stadtgarten jeweils drei Konzerte. Die englische Klarinettistin Samantha Wright, die seit 2017 in Hamburg lebt, eröffnet mit ihrer Band Ivy Mind den Abend. Sie spielen zum ersten Mal in Köln. Das erste Stück ist eine Ballade, gefolgt von einer Uptempo Nummer. In beiden Stücken wird sofort deutlich, dass Samantha Wright eine ganz eigene Stimme auf ihrem Instrument entwickelt hat und das sie den eleganten Stil von Rolf Kühn, der ihr Lehrer war weiterführt. So widmet sie auch ein Stück dem großen Klarinettisten, dessen Todestag mit dem Konzert zusammenfällt. Ein anderer wichtige Inspirationsquelle für Samantha ist Elvis Costello, von dem sie auch ein Stück spielt. Besonders herausragend ist auch der Gitarrist Lothar Müller, der auch Kompositionen zum Programm besteuert. Leider hat er im letzten Teil des Konzertes ein Problem mit dem Tonabnehmer seiner Gitarre und kann nicht weiterspielen.
Daniel Erdmann Therapie du Couple sind eine deutsch-französische Band, die als Auftragsband zur Jazz Ahead gegründet wurde. Die musikalische Paartherapie will mit Musik Missverständnisse im deutsch-französischen Zusammenleben ausräumen. Eine großartige Band, die neben Tenorsaxofon, Klarinette, Bass und Schlagzeug zusätzlich mit Violine und Cello besetzt ist, was das Spektrum der Klangfarben erweitert. Die Namen und Widmungen der Stücke zeugen von viel Humor. So ist das Stück „I want to hold your hand“ Helmut Kohl gewidmet und “Muskatnuss Herr Müller“ ist Louis de Funes. Die Band hat einen dichten treibenden Sound, der von Eva Klesse am Schlagzeug getragen wird. Neben Daniel Erdmanns Tenorsaxofon Soli, ragt der Geiger Théo Ceccaldi mit seinen wahnsinnig wilden exaltierten Soli heraus. Die Band ist ein echter Höhepunkt des Festivals.
Weiter geht es mit einer Großformation von Norbert Stein “Pata Kadinsky“. Das elfköpfige Ensemble spielt Kompositionen von Norbert Stein , die von der Malerei Wassily Kadynskys inspiriert sind. Die Festivalleiterin und Klarinettistin Annette Maye spielt im Ensemble auch mit. Mit Knalleffekt beginnt das Ensemble sein Konzert und geht dann in eine ruhigere Phase mit experimentellen Klängen. Annette Maye hat schon zu Beginn ein langes Solo. Das Ensemble wechselt zwischen wilden experimentellen Teilen und klassischem Bläserchorus. Rhythmische Phasen wechseln mit wilder Kakophonie. Wilde unvorhersehbare spannende Musik. Und am Ende gibt es noch “Das einfache Lied“ konventionell gespielt.
NoSaxNoClar, Naissam Jalal und Michel Godard Trio + Mohammed Najem
Das französische Saxofon-Klarinetten Duo NoSaxNoClar erschafft mit seiner kleinen Besetzung eine unglaubliche Vielfalt an Melodien, Harmonien und Rhythmen. Julien Stella an Klarinette und Bassklarinette und Bastien Weeger an Saxophon und Klarinette begeistern das Publikum mit ständig wechselnden Stimmungen. Es gibt rasant schnelle Läufe, vertrackte Rhythmen und Volkslied nahe Melodien im schnellen Wechsel. Julien Stella, der vor Jahren Meister im Beatboxing war, übertrug diese Techniken teilweise auf seine Klarinetten und spielte sie so betont rhythmisch-perkussiv. Ein äußerst spannendes Konzert.
Die beiden nächsten Konzerte werden vom WDR live übertragen. Beginnend mit Naissam Jalal, die in Frankreich als Kind syrischer Einwanderer geboren wurde.Sie spielt Querflöte, die arabische Nay Flöte und singt. Ihr Programm trägt den Titel “Healing Rituals“. Jedes Stück ist einem Aspekt der Natur gewidmet: Ritual des Flusses, the Erde, des Windes, des Waldes oder des Mondes. Leider spielt sie nur einmal kurz auf der Nay Flöte, sonst greift sie zur Querflöte oder singt im arabischen Stil, den sie in Ägypten studiert hat. Die Musik ist meist sehr getragen mit langen Melodiebögen und melancholischem Gesang. Der Improvisation, die sie in der Musik von John Coltrane entdeckt hat, gibt sie in ihrer Musik einen breiten Raum. Arabische Musik im Lichte von John Coltrane.
Den Abschluss des Abends bildete das Konzert des Michel Godard Trios feat. Mohammed Najem. Der Altmeister des tiefen Blechs Michel Godard mit seinem Trio mit Florian Weber am Piano und Bodek Janke an Schlagzeug und Tablas spielt zusammen mit dem Klarinettisten Mohammed Najem. Ein Traumensemble, die wuchtigen tiefen Töne von Michel Godards Tuba und Serpant, kontrastieren mit dem lyrischen Pianospiel von Florian Weber und der virtuosen orientalischen Klarinette von Mohammed Najem, während Bodek Janke den rhythmischen Puls angibt. Immer wieder entstehen besonders berührende Augenblicke, wenn Godard auf dem Serpant mit Najems Klarinette im Duo spielt, Janke an den Tablas spielt und Weber schnelle Klavierläufe spielt oder wenn Najem ein traumschönes Solo spielt. Ein Konzert mit vielen eindrücklichen Momenten.
Paul Heller invites: Fay Claassen+David Linx feat. Magnus Lindgren
Zum Festival Abschluss in Köln gibt es ein Straight Ahead Gipfeltreffen in der neuen Ausgabe von Paul Heller invites. Die großartige Jazz Vokalistin Fay Claassen und der ebenbürtige Vokalist David Linx, die gerade ein herausragendes Album mit der WDR Big Band veröffentlicht haben, treffen auf einen frisch gekürten Grammy Preisträger, den schwedischen Multiinstrumentalisten Magnus Lindgren, dessen Hauptinstrument die Flöte ist. Das Multiphonics Festival arbeitet schon seit Jahren mit Paul Heller , dem Tenorsaxofonisten der WDR Big Band zusammen. Letztes Jahr lud Heller die amerikanische Saxofon- und Klarinettenlegende Paquito d`Rivera zu viel bejubelten Konzerten ein. Und auch dieses Jahr ist ihm wieder ein Publikumserfolg der besonderen Art gelungen.
Fünf Tage Multiphonics Festival in Köln, reichen von kammermusikalischem Jazz, über Oriental Jazz und World Music bis zu Avantgarde und Straight Ahead. Annette Maye ist es wieder gelungen die Klarinette in der ganzen Bandbreite ihrer musikalischen Möglichkeiten zu präsentieren. Schon seit dem letzten Festival dürfen es neben der Klarinette auch andere Holzbläser sein, wie die armenische Duduk oder die arabische Nay Flöte. Und nicht nur die große Bandbreite an Klarinettenmusik zeichnet das Festival aus, sondern die große musikalische Bandbreite überhaupt. Die Klarinette und die anderen Holzbläser sind feste Bestandteile der verschiedenen Ensemble und teilen sich ihren Platz mit den anderen Instrumenten. So waren nicht nur herausragenden HolzbläserInnen zu erleben, sondern auch großartige Pianisten, BassistenInnen, Keyboarder, Cellisten, Violonisten und SängerInnen. Ein Festival voll Poesie, Energie und Schönheit.