Die Zeitmaschine im Planetarium
Perfekte Synergie von Klang, Literatur und Bildern
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Mit dröhnenden Klängen, überbordenden Bilderwelten und einer eindringlichen Lesung wird das Publikum 100.000 Jahre in die Zukunft gebeamt – so geschehen am Pfingstwochenende im Planetarium Bochum. Die szenische Lesung, suggestive Projektion und akustisches Happening widmen sich dem legendären Science-Fiction-Roman „Die Zeitmaschine“ von H.G.Wells, dem Klassiker der fantastischen Literatur. Und wohin passt dieses Event besser als unter die Kuppel eines Planetariums?
Schauspieler Mark Waschke ist zurück in seiner alten Heimat: Der in Wattenscheid geborene Fernsehstar – vor kurzem noch von über sieben Millionen Zuschauern mit Meret Becker im ‚Tatort‘ zu bewundern – liest an zwei Abenden aus dem Wells-Roman. Dazu liefert Perkussionist Stefan Weinzierl mit umfangreicher Instrumentierung ein wahres Feuerwerk an Schlagkunst. Und Dritter im Event-Trio: Rocco Helmchen, Visual Artist mit umfangreicher Erfahrung in 360°-Projektionen in Planetarien, begleitet die Zeitreise mit faszinierenden Bilderwelten, eigens kreiert für die Projektion auf die Halbkugel.
Idee und Initiative für das multimediale Spektakel gingen von dem Perkussionisten aus, mit der Wahl des Schauspielers und des Visual Artists gelingt ihm ein Glücksgriff.
Mark Waschke rezitiert, liest, deklamiert, ja zelebriert den Meilenstein der Fantastischen Literatur packend, der Ich-Erzähler erklärt dem Publikum zunächst die Zeit als vierte Dimension, bevor er mit der Erzählung seiner zwei Zeitreisen beginnt. Diese Erlebnisse schildert er stehend, sitzend, laufend, er zieht alle Register mimischer und gestischer und stimmlicher Darstellung. Die entlegenen Zeit- und Lebensräume bis hin zur Zukunftsvision eines menschenentleerten Planeten, die Schilderung der oberirdisch in scheinbarer Idylle lebenden Eloi und den unterirdischen lemurenhaften Morlocks – all das wird in der szenischen Lesung zu einer überaus packenden, ja authentisch wirkenden Präsentation einer dystopischen Welt.
Rocco Helmchen liefert dazu kongeniale Videosequenzen. Seine kuppelfüllenden 3D-Bilder generieren suggestive Bilderwelten, die diejenigen des vorgetragenen Textes wunderbar ergänzen. Sie geben in ihrer wundersam rätselhaften Abstraktion dem Publikum eine zusätzliche Deutungs- und Erlebnisebene. Die Bilder schaffen über den Text hinaus viel Raum für Imagination und Assoziation, sie sind nicht aufdringlich, sondern dramaturgisch geschickt eingesetzt und frei von der Gefahr einer platten Wiedergabe der Textebene etwa durch virtuelle Realitäten von Steam- oder Cyberpunk. Faszinierend.
Und dazu Stefan Weinzierl mit seiner Klangproduktion. Ein umfassender Einsatz von Instrumenten aller Art, von Schlagwerk, Trommeln, Glocken, Donnerblech, Glockenspiel, … . Der Sequenzer ermöglicht minimal music-artige Sequenzen. Saiten der Bassgitarre oder ein drehendes Rad werden mit Sticks traktiert, Becken mit dem Bogen in Schwingungen versetzt, das Theremin lässt Sphärisches assoziieren, die Melodica deutet Melodisches an, elektronische Effekte kommen zum Einsatz… – kurzum: ein ganzes Arsenal an Klangerzeugung verstärkt die suggestive Gesamtwirkung der Live-Performance. Musik ist dabei kein Selbstzweck oder dominierte gar den Abend. Nein, Weinzierl setzt seine Klänge wohl dosiert, dramaturgisch an der passenden Stelle ein, die Wirkung ist damit umso eindringlicher.
Überhaupt, dem Trio gelingt eine wunderbar synergetische Performance, eine perfekte Suggestion einer Reise durch die vierte Dimension. Literatur-Präsentation, Klang- und Bilderwelten ergänzen und verstärken sich in ihrer Wirkung gegenseitig. Alle drei Ebenen haben dabei ihr eigenes Gewicht, ihre eigene ästhetische Wirkung und erfüllen in überzeugender Weise ihre jeweilige dramaturgische Funktion. Der Meilenstein der Science-Fiction-Literatur aus dem Jahre 1895 hat schon so manche Adaption erfahren, in der Planetariumskuppel erlebt man mit Stefan Weinzierl, Mark Waschke und Rocco Helmchen eine ganz besondere.