Die Welt zurück in Norwegen
Oslo World 2021
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Oslo World
Sie schreit. Vielleicht ein wenig zu viel an diesem Abend. Und sie ist überwältigt. Vom begeisterten Publikum, das dicht gedrängt vor der Bühne des Parkteatret im hippen Osloer Stadtteil Grünerløkka steht und sie abfeiert. So viel Liebe vom norwegischen Publikum, da möchte sie glatt in der Stadt bleiben, ruft sie von der Bühne herunter. María José Llergo ist ein neuer Star des Flamenco. Die Spanierin singt ihn in Oslo durchaus auch recht puristisch, nur von einer akustischen Gitarre begleitet. Aber dann auch modern und erweitert, von Synthesizern und elektronischen Sounds untermalt.
Zwei Abende später, in der Kulturkirche Jakob. Noch so ein angesagtes Duo spielt beim diesjährigen „Oslo World“ – Lina_Raül Refree. Die portugiesische Sängerin und der spanische Tastenmann, Produzent und Soundtüftler sind gerade das gehypte Ding in Sachen modernisiertem Fado. Klassiker aus dem Repertoire der großen, verstorbenen Fadoqueen Amália Rodrigues erfahren hier eine moderne Neubetrachtung. Keine Gitarren sind zu hören, dafür Klavier, Synthesizer, dumpfe Bassbeats aus dem Computer. Nebelschwaden auf der Bühne, das zunächst im Halbdunkel gehaltene Gesicht der Sängerin – hier wird traditioneller Fado atmosphärisch inszeniert ins 21. Jahrhundert transportiert. Lina ist eine eindringliche, gute Fadista und ihr Partner ein innovativer Klanggestalter. Diese Kombination ist verführerisch, weil so anders. Aber sie wiederholt sich nach einer Weile dann doch gerne auch wieder. Dennoch, dass Europa über dieses Trio spricht, hat durchaus seine Berechtigung. Und wie María José Llergo passt auch dieses Duo perfekt zum diesjährigen Festivalmotto „Rebels“.
Seit 2006 ist Alexandra Archetti Stølen verantwortlich für das 1994 noch unter anderem Namen ins Leben gerufene „Oslo World“. Die Festivaldirektorin ist eine echte Powerfrau. Fast jedes Konzert sagt sie persönlich an, was alleine schon schwierig ist, findet vieles doch fast zeitgleich an mehreren Spielorten in der Stadt statt. Und wie sie die einzelnen Künstler ansagt, da spürt man die Hingabe und die Liebe zu der Musik. „Oslo World“ ist ein Venue-Festival, das heißt dass etablierte Spielstätten in der Stadt genutzt werden. Vom großen Konzertsaal über das mittelgroße Theater bis hin zu kleinen Clubs und versteckt liegenden, gemütlichen Bars und Cafés.
Das Hærverk ist so ein kleiner, intimer Ort, an dem man erst einmal vorbeiläuft, bis man darauf kommt ihn in einem größeren Gebäude zu suchen und zu finden. Hier spielten einige spannende Acts. Etwa das Duo „Bedouin Burger“. Der libanesische Musiker und Produzent Zeid Hamdan und die syrische Sängerin Lynn Adib begeisterten mit ihrem mal akustisch gehaltenen, mal mit Beats und Elektronik aufgepeppten Arab Pop, der mal tanzbar, mal poetisch melancholisch ein Wellenbad der Gefühle beim Zuhören erzeugte. Auch „AySay“ aus Dänemark, mit der kurdisch-dänischen Sängerin Luna Ersahin, überzeugten mit ihrem Mix aus westlichen und orientalischen Klängen, aus akustischen und elektronischen Klängen und Beats, die sie manchmal gar wie eine groovende Rockband klingen ließen. Einige kleine Läden wie das Hærverk waren in diesem Jahr das erste Mal Spielort beim Festival. „Oslo World“ möchte damit auch Spielstätten unterstützen, die es in der Pandemie schwer hatten und die es generell zu erhalten gilt. Vor allem weil auch in Oslo ausländische Investoren vieles aufkaufen und sicher meistens nicht zur Erhaltung bestehender Strukturen.
Mit der Band „AYOM“, um sie charismatische Sängerin und Perkussionistin Jabu Morales, und ihrer transatlantischen, lusophonen Weltmusik hätte die diesjährige Festivalausgabe keinen besseren Schlusspunkt finden können. Das Sextett verkörpert mit Musikern aus Griechenland, Italien, Angola und eben Brasilien Multikulturalität im Line-Up wie auch in der Musik. Die ist fast immer tanzbar und sorgte beim völlig begeisterten Publikum für regelrechte Beifallsstürme am Ende.
„Oslo World“ ist aber mehr als nur Musik. Seminare, Workshops oder auch eine Gesprächsrunde mit einem syrischen Künstler ergänzen das üppige Programm. Das Festival hat ein jederzeit spürbares politisches Bewusstsein und stellt auch unbequeme Fragen. Seinen politischen Weitblick zeigt das Festival auch in seiner Partnerschaft und Unterstützung des 2013 im Libanon entstandenen „Beirut & Beyond International Music Festival“, das aufgrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation im Libanon derzeit allerdings eine schwierige Phase zu bewältigen hat.
Geschichte des Festivals
Das Festival begann als eine Zusammenarbeit zwischen den nordischen Ländern. Als sich die anderen Länder zurückzogen und das Festival in Oslo an Bedeutung gewann, erhielt es 2002 seinen heutigen Namen. Das Festival war früher Teil von Rikskonsertene, wurde aber im Januar 2012 zu einer unabhängigen Stiftung. Das Ziel war und ist es, Interesse und Verständnis für die Werte zu wecken, die den kulturellen Ausdrucksformen anderer innewohnen. Jedes Jahr sind Künstler aus fast allen Teilen der Welt anwesend, und viele bekannte Musiker haben Oslo aufgrund des Festivals zum ersten Mal besucht. In den letzten Jahren hat sich das Festival darauf konzentriert, Musik aus großen Städten der ganzen Welt zu präsentieren, um ein breites, musikbegeistertes und neugieriges Publikum zu erreichen.