"Die menschlichste Musik"
Joëlle Léandre im Kunstmuseum
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Ein Highlight der improvisierten Musik konnte man in dem für diese Gattung eher ungewöhnlich gut besuchten Kunstmuseum Bochum erleben: Die Französin Joëlle Léandre am Kontrabass gab sich die Ehre, im Rahmen des Netzwerkes ‚Soundtrips NRW’ in sechs Städten mit unterschiedlichen Besetzungen zu musizieren.
Am 1.3.13 war sie in Bochum mit Gunda Gottschalk an der Violine und mit Martin Blume am Schlagzeug zu hören. Zu erleben war die vielseitige Grande Dame der improvisierten und der Neuen Musik am Kontrabass zunächst mit zwei Solo-Stücken. Bereits hier konnten die Zuhörer eine gut gelaunte und hoch energetische Musikerin erleben, die die Klangdimensionen der vier Saiten und ihres voluminösen Instruments facettenreich nutzte. Ihre Stimme als „fünfte Saite“ kommentierte ihr Spiel und erweiterte die Klangwirkung. Das anschließende Spiel des Trios demonstrierte höchst hörenswert das, was improvisierte Musik im Wesentlichen bedeutet: allmähliches Finden zu einer Kommunikation durch Ansätze von Rhythmik, Läufen und Klängen, die nicht einer nach bekannten Mustern verlaufenden perfekten Musik oder einem Schönklang verpflichtet sind.
Der offene und spontane Prozess steht im Vordergrund, das Traktieren der beiden Saiteninstrumente als Klangkörper und als Perkussionsinstrument. Joëlle Léandre und Gunda Gottschalk setzen beide ihre Stimme ein. Zu hören sind Laute, sprachloses Stammeln bis hin zu erkennbarer Sprache, die die Idee und das Anliegen der improvisierten Musik benennt: „résistance“ und „se décrocher“, Widerstand und sich freimachen, Widerstand gegen das Konventionelle, Perfekte, sich freimachen von Zwängen und vorgegebenen Mustern – in der Musik, in der Kunst und im Leben. Dies gelingt dem Trio auf höchstem Niveau.
Die klassische Ausbildung und der Umgang mit Neuer Musik der drei Musiker sind deutlich in vielen Passagen ihrer Musiksprache hörbar. Dem Klischee, improvisierte Musik sei „schräg“, nur schwer rezipierbar und überstrapazierte das Hörorgan, wird das Trio nicht gerecht. Im Gegenteil, sein filigranes Zusammenspiel zieht den Zuhörer – wie von einigen Besuchern bestätigt - in einen geradezu meditativen Bann.
Zur gelungenen Gesamtwirkung trägt sicherlich auch die Persönlichkeit von Joëlle Léandre bei. Die 62-Jährige zeigt eine unglaubliche Energie, ihr Witz und Humor in ihrem Spiel und in ihrer Kommunikation mit den Mit-Spielern, aber auch in Sprache, Mimik und Gestik springen auf das Publikum über. Wie sie im Interview betont, habe sie sich ganz bewusst für die improvisierte Musik entschieden, weil diese für sie die „menschlichste Musik“ sei. Das Konzert lässt gut nachvollziehen, was sie damit meint.
Erleben kann man solche Hörabenteuer in NRW häufiger. Das Netzwerk ‚Soundtrips NRW’ gibt Musikern dank der Unterstützung durch das Kultursekretariat NRW in jeweils wechselnden Besetzungen an mittlerweile neun Standorten Gelegenheit dazu. Die Konzertreihen unterstützen die Vernetzung der Musiker der freien Szene untereinander im Land und mit internationalen Größen. Die Kleinode von improvisierter Musik sind für uns Publikum eine absolute Bereicherung. Mehr davon!