Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen
Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen
Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen
Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen

Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival

ein Versprechen

Mülheim a.d.R., 13.07.2016
TEXT: Peter E. Rytz | FOTO: Peter E. Rytz

Das Montreux Jazz Festival ist nach 50 Jahre zur Legende geworden. Von Claude Nobs (1936 – 2013) als Festival für avantgardistischen Jazz gegründet, hat es sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr für Rock und Pop geöffnet. Jazz im engeren Sinn ist zwar als programmatische Konstante geblieben. Parallel dazu setzt das Festival seit Jahren auf unterschiedliche Sound-Mix-Angebote von Pop Charts und Pop-Ikonen. Im Auditorium Stravinski und im LAB finden diese Musikenthusiasten, die sich nicht unbedingt als Jazz-Fans verstehen müssen, ihre Musik.

Zuzüglich des kostenfreien Angebots Music im Park und der kilometerlangen Verkaufsmeile auf der Promenade am Genfer Seelockt das Montreux Jazz Festival ein feierfreudiges Publikum an. Für viele ist der selbstverfertigte Event mit spontanen Happenings und hand made music neben dem offiziellen Festivalprogramm vielleicht noch wichtiger. So what!

Lässt man die ersten Tage der definitiven Jazz-Konzerte Revue passieren, sind sie geprägt von den Heroen des Jazz, die entweder, wie Charles Lloyd schon beim 1. Festival 1967 dabei waren, oder mit ihren mehrmaligen Auftritten in Montreux Jazz-Geschichte geschrieben haben. Nostalgie und Verehrung gehen dabei Hand in Hand.

Die Konzerte der Ü 70-Generation von Charles Lloyd, John Scofield, Herbie Hancock oder dem 90jährigen Randy Weston gestalteten sich zu einer Hommage an das Jubiläumsfestival. Mit ihren Konzerten in Montreux, wenn sie nicht das Sprungbrett ihrer Karrieren überhaupt waren, setzten sie sich jedenfalls nachhaltig in Szene. Und bestimmen sie bis zu einem gewissen Grad noch heute.

So unterschiedlich die Performance ihrer Konzerte auch war, gemeinsam ist ihnen eine unbedingte, fast unantastbare bis unkritische Verehrung durch das Publikum. Darin liegt allerdings auch ein Problem. Die Musik, mit der sich die Musiker einen Platz im Jazz-Pantheon erspielt haben, ist der selbst geschaffene Maßstab, an der sich jedes neue Konzert messen lassen sollte. Dass dazu dem einen oder anderen manchmal die Kraft für ein durchgängig überzeugendes Spiel zu fehlen schien, ist mit Respekt als Tribut an das Alter zu tolerieren.

Das Eröffnungskonzert mit dem Charles Lloyd New Quartet im Casino Barriére, wo alles angefangen hat, steht exzeptionell für eine außerordentlich rhythmisch phrasierende Intonation und eine gestaltete Interpretation, die Charles Lloyd ausreichend Pausen einräumt. Lloyd gelingt wie immer, wenn er auf der Bühne steht, ein unnachahmlicher Sound. Seine Tonfolgen von Flöte und Saxophon generieren einen magisch meditativen Klangzauber, dem man sich nach wie vor nicht entziehen kann.

Gleichzeitig hat er mit Jason Moran (p), Reuben Rodgers (b), Eric Harland (dr) schon seit einigen Jahren Musiker der nachfolgenden Generation um sich geschart, die den von ihm vorgegebenen Sound im Trio eindrucksvoll ausdifferenzieren. Es hat den Eindruck, als wenn das Trio Moran, Rodgers und Harland schon mal beweist, wie der Lloyd-Sound auch dann seine Magie entfalten kann, wenn sein Protagonist nicht mehr auf der Bühne stehen wird. Es ist ein großes Konzert der Gefühle, inklusive nostalgischer Beimischungen.

Ganz anders das Konzert von Herbie Hancock mit seinem Quartett im Auditorium Stravinski. Hancock der am häufigsten eingeladene Musiker ist Montreux-Kult pur. Seit mehr als 40 Jahren ist er einer der einflussreichsten Jazz-Pianisten. Legendär sein Duo-Konzert mit Chick Corea beim 16. Montreux Jazz Festival 1983.

Immer wieder hat er sich verändert. Vom typischen Blue-Note-Sound an der Seite von Miles Davis bis zum Fusion Jazz sowie R&B ist er immer wieder neue Wege gegangen. Sein diesjähriger Auftritt ist gewissermaßen ein Blick in die aktuelle Hancock-Musikwerkstatt. Gerade noch in den Vorbereitungen, eine neue CD zu produzieren, ist sein Auftritt eine Mischung aus Entertainment und einem Elder Understatement, das musikalisch leider nur wenig überzeugen konnte.

Technisch selbstverliebt verspieltes Piano-Keyboard-Tuning, grundiert von übersteuerten Rüchkopplungseffekten von James Genus am Bass und einem überschaubaren Beat-Drum-Repertoire von Trevor Lawrence, erhöht zwar die Herzfrequenz des Publikums, weniger allerdings die Hoffnung auf eine überzeugende musikalische Idee. Würde sich Terrace Martin mehr auf sein Saxophon verlassen und nicht mit Keyboard versuchen, den Sound-Blast noch zu erhöhen, hätte dieses Konzert vielleicht noch gerettet werden. So bleibt der Eindruck eines Quartetts, dass ich gegenseitig übertönend mit brachialen Riffs zu deckt. So gesehen, nimmt es nicht Wunder, dass nach zwei Sets einige Zuhörer das Kompriomissangebot der televisionären Übertragung im Foyer in Anspruch nehmen.

Ähnlich verlieren sich John Scofield (git), Brad Mehldau (p, key), Mark Guiliana (dr) in diffusen, elektronisch übersteuerten Soundbasteleien. Häufig bleibt es bei der Attitüde, anhand der arrangierten Kompositionen einen besonderen Klang zu formen. Wenn man endlich glaubt, Scofield findet zu seinem unnachahmlichen Gitarrenspiel, schiebt er nach kurzer Zeit seine Gitarre auf den Rücken und bedient einen fest installierten Bass. Dieses Bild ist wie eine Metapher für ein sich selbst blockierendes Konzert.

Mehldau dreht vor allem die Regler seines Keyboards, collagiert Tonsequenzen, die sich selbst genügen. Wenn er sich dann, selten genug, dem Piano zuwendet, kann es sich gegen Guilianas Trommelfeuerwerk kaum durchsetzen. Alle drei Musiker haben schon oft bewiesen, welche exzellenten Musiker sie sind. Davon ist an diesem Abend wenig Überzeugendes zu hören.

Über welche mitunter staunenswerte Vitalität und Kreativität Jazzmusiker auch noch im hohen Alter verfügen, offenbart das Konzert im Montreux Jazz Club Randy Weston. Da sitzt mit Weston jemand am Klavier, der Blues-Inkarnation mit einem ungewöhnlichen Charisma verbindet, das unmittelbar spürbar ist. Ein feinsinnig abgestimmtes Spiel verzaubert mit lyrisch erdigen Grooves ohne inszenierte Bedeutungshuberei die Zuhörer. African funky im besten Sinne. Unterhaltsam und aufklärerisch zugleich, argumentiert Weston vehement für den Wert afrikanischer Musik und Kultur für die Weltkultur insgesamt. When you trace African people, you discover music. It all began in Africa.

Dass dieser afrikanische Spirit, der vom Klavier aus in den Raum schwingt, in einen Klang von harmonikaler Schönheit hörbar wird, sind wunderbare Musiker an seiner Seite. Neil Clarke schlägt, streichelt und wischt perkussiv sein Drum-Set mit nobilitiertem Drive. Sitzend, in seltener, geradezu körperlicher Verschmelzung mit dem Bass lässt Alex Blake überwiegend im unteren Teil des Griffbretts Tonfolgen traumverloren perlen. Clarke und Blake begleiten ihr instrumentales Spiel zudem mit emphatischen Gesangsfolgen.

Zusammen mit den Saxophonen und Flöte von T. K. Blue und Billy Harper komplettieren sie nicht nur den Weston-Sound-Flow; sie mischen ihm nuancierte Musikfarben bei.

Dass der Unterschied in der musikalischen Überzeugungskraft des Randy Weston Quintets zu dem zuvor spielenden Aruán Ortiz Trio so unüberhörbar ist, mag Westons musikalisch und menschlich kolossaler Persönlichkeit geschuldet sein. Während bei Weston und seinen Mannen die Musik wie von selbst fließt, sucht Ortiz mit Anklängen an minimal music ein eklektizistisch komponiertes Klangbild. Brad Jones (b) und Gerald Cleaver (dr) spielen teilweise extrem Noten fixiert. Das führt zu einem sterilen Klangbild, dass in scheinbar endlosen Loops seine Struktur verliert. Ab und an gelingen Jones eigensinnige Bassläufe, die andeuten, wohin es gehen könnte. Insgesamt aber zu wenig, um ein Konzert unter Spannung zu halten.

Das 50. Montreux Jazz Festival ist mit dem Blick der ersten Tage ein Jazz-Versprechen, das sich jenseits der Heroen-Hommage noch beweisen muss.

Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen
Bild für Beitrag: Die ersten Tage des 50. Montreux Jazz Festival |ein Versprechen
Suche