Der Live Remix als Festival-Idee
Punkt 2014
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Petter Sandell, ÅsmundMjåland, Jørund_f_Pedersen
Das Festival-Konzept ist der Live Remix. Doch bei der zehnten Ausgabe von „Punkt“ gab es am Eröffnungstag überhaupt keinen einzigen Remix zu hören. Und doch war der Geist dieses einzigartigen Festivals auch so bei den Konzerten des Tages zu spüren. Etwa beim Bläser-Duo „Streifenjunko“, das mit den „Sheriffs Of Nothingness“ auf ein Streicher-Duo traf. Vier musikalische Freigeister aus Norwegen kreierten da zusammen auf ihren Instrumenten ungewöhnliche und fragmentarische Klänge und kommunizierten auf dieser Basis sehr lebendig und energisch miteinander. Ganz anders war das Projekt „Lush Laments for Lazy Mammal“ von Håkon Stene aufgebaut. Denn der Vibrafonist setzte in den Stücken der beiden zeitgenössischen britischen Komponisten Gavin Bryars und Laurence Crane nicht auf die Kraft der Improvisation, sondern auf meditative, minimalistische Soundwelten. Die asketischen Vorlagen verwandelten Stene und seine Band mit nuancierten, leichtfüßigen, mitunter beinahe hypnotischen Tönen in vielleicht manchmal ein wenig statisch wirkende Stücke Musik, die den Puls beim Zuhören spürbar herunterschraubten.
Mit Spannung erwartet wurde natürlich der Auftritt des Stargastes der diesjährigen Festivalausgabe. Die Amerikanerin Laurie Anderson hatte eine Carte Blanche bekommen und dazu noch Arve Henriksen an ihre Seite. Im größten Kino-Saal Kristiansands begaben sich die beiden Ausnahmemusiker vor gefüllten Sitzreihen dann auf ihre visuell unterstützte Soundreise. Aber es war vor allem Arve Henriksen mit seinem so einzigartigen Trompetenspiel und seinem Gesang, der berührte. Laurie Anderson hielt sich spürbar zurück, sang fast gar nicht und wurde so zu selten zur interessanten Stoytellerin, die sie sein kann.
Im Zentrum stand neben Stargast Laurie Anderson zweifelsohne auch das Release-Konzert von Erik Honorés Solodebütalbum „Heliographs“(Hubro/Codaex). Honoré, neben Jan Bang Künstlerischer Leiter und Mitbegründer von „Punkt“, hat mit seinem ersten Album unter eigenem Namen ein typisches „Punkt“-Werk vorgelegt, eingespielt und auch live bei der Premiere vorgetragen von einigen langjährigen Wegbegleitern des Festivals, echte Charakterköpfe der modernen Jazzszene Norwegens: Sample-Künstler Jan Bang, Gitarrist Eivind Aarset, Perkussionist Ingar Zach und Trompeter Arve Henriksen. Dazu stieß noch der niederländische Geiger Jeffrey Bruinsma vom Streichquartett „Zapp 4“. Und auf dem Tonträger leiht zudem Sidsel Endresen drei Stücken ihre unverwechselbare Stimme. Die Musik von „Heliographs“setzt sich zusammen aus gesampelten Sounds, tiefen Synthi-Bässen und anschwellenden Drones, anfereichert von den Protagonisten auf der abgedunkelten Bühne mit magischen Momenten auf ihren Instrumenten. So erwuchs langsam eine faszinierende Musik, die den Zuhörer unweigerlich Stück für Stück in einen sehr atmosphärischen, dunklen Klangkosmos hineinzog.
Wo der Soloauftritt des Gitarristen Christian Fennesz mit seiner Laptop-basierten, lauten elektronischen Musik doch von wenigen Höhepunkten geprägt war, zeigten Jan Bang, Erik Honoré und die auch tags darauf bei ihrem eigenen Konzert brillierenden „Zapp 4“ direkt im Anschluss, wie spannend man so ein Konzert live remixen kann. Fantastisch, wie die vier Streicher Melodielinien des Österreichers aufgriffen und für virtuose Improvisationen nutzen in einem Soundgerüst der beiden Klangtüftler an ihrer Seite, die geschickt Extrakte von Fennesz´ Konzert freigelegt hatten.
Neben den Konzerten sind tagsüber abgehaltene Seminare ein fester Bestandteil von Punkt. Da unterhielt etwa Michael Engelbrecht als Electronic Griot unterhaltsam und intelligent in einer packenden Performance aus Lesung und Musikbeispielen. Der Deutschlandfunk-Radiomann erweckte Lust, sich tiefer und philosophischer mit elektronischer Musik auseinanderzusetzen. Der Journalist Henning Bolte brachte in einem Gespräch mit Jan Bang Licht in die Geschichte und Arbeitsweise des Norwegers. Und der norwegische Tastenmann Morten Qvenild erklärte auf sehr anschauliche und humorvolle Weise das Konzept seines HyPer(sonal) Pianos, eines mittels Elektronik klanglich erweiterten Klaviers.
Was vor zehn Jahren mit 20 Zuhörern in der ersten Sitzreihe begann, hat sich zu einem einzigartigen, weil auch zwischenmenschlich so herzlichen Event entwickelt. Wohin wird die Zukunft von „Punkt“ führen? Für die nächsten drei Jahre ist jedenfalls schon mal das komplette Kino in Kristiansand für das erste September-Wochenende gebucht. Mehr audiovisuelle Konzepte ließen sich dort umsetzen, mit einem möglichen Fokus auf den Film. Jan Bang und Erik Honoré werden sicher neue Ideen kreieren, um ihr Festival lebendig zu halten.