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Der Laden brummt

winterjazz köln 2014

Köln, 06.01.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Gerhard Richter, Bernd Zimmermann

Man konnte hier nicht alles hören, aber das war auch nicht gewollt. Winterjazz 2014 ist wie ein Kaleidoskop mit raschen Farbwechseln. Wenn Angelika Niescier dieses Festival programmiert, will sie, dass der Laden brummt und dass jeder ganz pluralistisch seine eigenen Eindrücke sammeln kann – im Kölner Stadtgarten plus diverser Nebenlocations. Und der Reifegrad der vielen dargebotenen Konzerte belegte bei dieser dritten Festivalausgabe, dass Winterjazz alles andere als ein Nachwuchsfestival ist und kontinuierlich immer erwachsener wird.

Voll ist es überall auf diesem Festival. Die Menschen quetschen sich in den Konzertsaal des Stadtgartens und viele sitzen vor der Bühne auf dem Boden. Das mutet so ganz wie das Gegenteil von dem an, wie viele Jazzveranstaltungen heutzutage sind: Wo nämlich ein zahlenmäßig reduziertes Minderheitenpublikum den Zuschauerraum sehr aufgeräumt wirken lässt. Hier passiert etwas, das „angesagt“ ist - dies suggeriert das Bild in den vier Locations beim Kölner Winterjazz-Festival. Und klar – man ist hier in einer Metropole und nicht in der Provinz. Und das Publikum, dass auch altersmäßig erfrischend gut durchmischt ist, hört aufmerksam zu. Kein Herumgelaufe und -gelaber während die Musik spielt. Von etlichen viel etablierteren Jazzveranstaltungen ist man ja viel leidgeprüfter.
Sowas kommt etwa dem Jürgen Friedrich Trio zugute. Die drei Kölner verschreiben sich einer lyrischen Klangwelt, die sie wohl früheren ECM-Aufnahmen abgelauscht haben und Pianist Jürgen Friedrich trägt dazu dunkle schwere Farben auf. David Helm zeichnet auf seinem Bass viel spröde Lyrik und Schlagzeuger Fabian Arends lässt es gehört im Beckenwald rauschen. Für einen „Opener“ zum Festivalauftakt wirkte all dies etwas zu introvertiert.

Die Reise geht weiter – auf die andere Straßenseite ins Zimmermanns: TAO heißt eine progressiv aufspielende Formation um den Saxofonisten Philipp Gropper. Die lässt mit ihrer harschen Postrock-Freejazz-Noise-Melange die Luft brennen in dieser etwas kuriosen Location, die oben Imbissbude und unten Kellerbar ist. Rhythmen stolpern brachial vorwärts, atemlose Saxofon-Licks überschlagen sich, und die sphärischen Klanggewitter aus der Bassgitarre von Petter Eidh und von Philip Zoubeks Synthesizern durchfräsen den Raum. So funktioniert die „urbane Seite“ von zeitgenössischem Jazz wie ihn Angelika Niescier für diesen Ort vorgesehen hat.

Schnell wieder zurück in den Stadtgarten, um dort nicht zu viel zu verpassen! Tief durchatmen darf man, wenn der Pianist Sebastian Sternal mit dem Saxofonisten Claudius Valk improvisiert - auf die denkbar melodiöseste, mit einem Maximum an Einfühlungsvermögen in „ewige“ Jazzstilistiken gesättigte Weise. Da ist diese leuchtende Eleganz in Sternals Pianophrasen und ein wahrhaft geschichtenerzählerisches Potenzial, mit dem Valk auf seinem Sax die Themen der Kompositionen weiterspinnt. Kompositionen? „Wir improvisieren das Ganze mehr oder weniger frei. Die Melodien entwickeln sich, wir bauen gegenseitig darauf auf“ verweist Valk auf den verblüffenden Gleichklang, der zwischen diesen beiden empfindsamen Musikern lebt.

Auch die Festival-Kuratorin selbst ist unter den Ausführenden des Abends. Dass die Saxofonisten Angelika Niescier längst eine international gefragte Größe im europäischen Jazz ist, zeigt sich einmal mehr in diesem Auftritt, der auf einen Kompositionsauftrag für das Alto Adige Festival zurück geht. Und so sind ihre Mitstreiter ganz herausragende Figuren aus dem italienischen Jazz - als da wären der Akkordeonist Simone Zanchini sowie Stefano Senni am Bass.

Und da erblüht so viel ansteckende Leichtigkeit, die auf Anhieb jede Winter-Lethargie fortbläst! In kammermusikalischen Song-Formaten reiben sich diese Charaktere aneinander. Voller Bewegung und Feinsinn, von fliegender Leichtigkeit getragen, aber auch mit kraftvoll zupackender Geste – egal ob Stefano Senni die Saiten beackert oder Simone Zanchini auf den Akkordeontasten ganz subtile Energiefelder unter Spannung setzt. Und Niescier Spiel ist so geschmeidig mittendrin in all dieser überbordenen Musikalität.

Da wollte man nicht vorher schon rausgehen, sondern alles bis zum letzten Ton auskosten. Dadurch war dann fast schon das Duokonzert nebenan vorbei, wo die Cellistin Elisabeth Fügemann und der Saxofonist Leonhard Huhn gerade die letzten sensiblen Töne verklingen ließen. Schade - aber man muss ständig loslassen können bei dieser Programmstruktur.

Wir verlassen das Hauptgebäude, begeben uns ins Irish Pub direkt nebenan. Auch hier ist es rappelvoll und mit einer gewissen Akrobatik ist ein Bier ergattert und ein Platz mit guter Sicht auf die kleine Bühne erkämpft. Das „Audio Experiment“ ist angetreten, einmal die übliche Situation eines Kneipenkonzertes schrill zu durchkreuzen. Will sagen: Da jazzen nicht ein paar Musiker gepflegt im Hintergrund herum, sondern es geht grellbunt nach vorne. Sowas war natürlich zu erwarten, wenn der Name Simon Rummel auf dem Programm steht. Von links nach rechts: Alisa Berger sitzt auf dem Boden und textet eine fröhlich subversive Geschichte über den Sohn, der Gott sein will ins Mikro. Kenn Hartwig lässt den Bogen sphärisch die Basssaiten schrappen, was ganz und gar surreal wirkt zu den gesprochen Worten. Gwen Kyrg sitzt auf dem Boden und agiert am merkwürdigsten von allen mit bizarren Urlauten, Grimassen und Gesten, vereinzelten Gesangsfragmenten. Ganz rechts Simon Rummel, der über die Klaviertasten gebeugt und in gedämpfter Dynamik eigenwillige Phrasen von verquerer monkscher Färbung ins Klavier haut. Das wirkt an diesem Ort so, als würden die Dadaisten wiederkommen, um die Konventionen umzustoßen – was der Jazz auch dringend braucht.
Eine ganze Szene ist beim winterjazz wie eine große Familie versammelt.

Zum Festival gehört auch das Gespräch und der Austausch dazwischen. Dafür müsste der zeitliche Ablauf mehr Luft lassen, was auch Simon Rummel im Gespräch nach seinem Konzert fordert. Übrigens zählt der in Trier geborene Künstler, Pianist, Performer und Komponist seinen letztjährigen Soloauftritt bei Winterjazz zu einem seiner glücklichsten Momente seiner Konzertkarriere - verrät er.

Ob ähnliches gerade in diesem Moment der Pianist Hans Lüdemann empfindet, der gerade zusammen mit Jonas Burgwinkel und Joscha Oetz ein gebannt lauschendes Publikum um sich vereint? Lyrisch und dynamisch treiben Lüdemanns Pianophrasen voran – Jonas Burgwinkel gibt diesem Fluss seine zuverlässige Strömungsgeschwindigkeit, Bassist Joscha Oetz bietet einen zuverlässigen Boden. Und das Publikum an diesem Ort ist eine die perfekte Landschaft, in die sich alles so plausibel einfügt.

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