Der Jazz zurück in Marl
Standing Ovations für das Wasserfuhr Quartett in der Scharoun-Aula
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Alles lief rund beim Gastspiel des Wasserfuhr-Quartetts, welche für das leibliche Wohl sogar selbstgebrautes Bier mit nach Marl gebracht hatten. Am Ende ihres langen Konzerts im Rahmen von FineArtJazz wurden sie mit langen, stehenden Ovationen gefeiert.
„Wir sind hier mit offenen Armen empfangen worden“, freute sich Bernd Zimmermann, künstlerischer Leiter der Reihe FineArtJazz über die große Unterstützung beim ersten in Marl veranstalteten Jazzkonzert - immerhin das bereits 191. seiner Art, welches FineArtJazz im nördlichen Ruhrgebiet veranstaltet. Damit ist auch die Scharoun-Aula aus einem jahrzehntelangen „Dornröschenschlaf“ in Sachen Live-Jazz erweckt worden.
Für die Scharoun-Aula als Standort für die mittlerweile international beachtete Konzertreihe sprechen viele Faktoren: Da ist ein Stammpublikum, welches gerne auch in Nachbarstädte fährt, wenn dort „besondere Konzerte an außergewöhnlichen Orten“ stattfinden. Ein solcher ist die Scharoun-Aula, einer der mit Abstand besten Konzertsäle weit und breit, allemal.
„Wir sind hier heute die Versuchskaninchen“ witzelte Julian Wasserfuhr bei seiner Anmoderation. Mit Bedacht war speziell diese Band für das Debut ausgesucht worden: Die zwei Brüder Julian und Roman Wasserfuhr gehören zu den kultiviertesten, spielfreudigsten deutschen Jazzbands - was letztlich auch auf zahlreichen Veröffentlichungen beim Act-Label unter Beweis gestellt wurde. Und der hochkarätige, zeitgenössische Combo-Jazz der beiden Brüder aus dem Bergischen Land plus Oliver Rehmann am Schlagzeug und Bassist Markus Schieferdecker lieferte alles, um die Jazzfans in bestem Sinne „abzuholen“ bzw. so manchen im Publikum vielleicht erst zu einem solchen zu machen.
Feingliedrig und sanft
So etwas realisieren die vier in der Scharoun-Aula vor allem durch ihre Art, feingliedrig und mit dieser typischen Sanftheit über Songstrukturen zu improvisieren - auf dass jede Nummer zu etwas Großem und vor allem Berührenden wird. Julian Wasserfuhr , dieser Lyriker, Erzähler und empfindsame Spieler auf Trompete und Flügelhorn ist dabei zu einer Einheit verschweißt mit seinem Bruder Roman Wasserfuhr , diesem kultivierten Tastenlyriker mit ausgesprägtem Sinn für die harmonische Symbiose. Auch Schlagzeuger Oliver Rehmann und vor allem Bassist Markus Schieferdecker sind viel zu eigenständige Gestalter, als dass man die beiden einfach unter „Rhythmusgruppe“ abhaken könnte. Was die vier vor allem für das Debut in der Scharoun-Aula prädestiniert: Auch wenn sie zu virtuosen Höhenflügen abheben, erhalten sie sich einen durch und durch „akustisch“ geerdeten Spielansatz!
Eigene Kreationen, zu denen es immer eine Geschichte zu erzählen gibt, gingen einher mit Klassikern. Eine der Highlight-Nummern der Wasserfuhrs ist Stings „Englishman in New York“, das in der neuen jazzigen Lesart eine ganz neue, kultivierte Klasse entfaltet. Und das alles breitete sich in diesem legendär konzipierten Saal aus, wo an jedem Punkt dieser Halle auch ein exquisites Hörerlebnis möglich war.
Es geht um das Gesamterlebnis
Den Machern von FineArtJazz und ebenso dem Team der Scharoun-Aula liegt das „Gesamterlebnis“ am Herzen. Unter Melanie Drükes technischer Leitung „interpretierte“ ein reichhaltiges Farbenspiel auf einer großen Projektionswand die Klangfarben der Musik. Der Jazzhimmel, in den an diesem Abend alle Jazzfans erhoben wurden (und vermutlich auch einige, die es gerade durch dieses Konzert erst geworden waren), leuchtete farbenprächtig.
Zahlreiche Marlerinnen und Marler waren gekommen, nachdem nochmal ein paar Aufrufe durch die Lokalpresse gegangen waren. Sehr erfreulich, eben weil die zeitlichen Bedingungen für den Neustart einer Konzertreihe in Marl direkt nach den Osterferien und zeitgleich mit der Preisverleihungs-Gala das Adolf-Grimme-Fernsehpreises im Marler Theater nicht eben günstig waren.
Aber es gibt eben noch eine andere Welt als den TV-Promi-Zirkus – live gespielten, ehrlich empfundenen Jazz, mit dem das Wasserfuhr-Quartett alle Anwesenden in der Scharoun-Aula in stehenden Ovationen vereinte.
Jazz soll in Marl Chefsache sein
Erfreulich, dass die Jazzpflege in Marl und damit die Kooperation mit FineArtJazz auf Anhieb schon institutionell verankert worden ist. Günter Braunstein, der gerade als langjähriger Musikschulleiter in den Ruhestand getreten ist, wurde offiziell von der Stadt Marl dazu beauftragt. Und es geht weiter an diesem besonderen Ort: Am 10. September gibt es mit einem Weltklasse-Trio echten „Power-Jazz“ in der Scharoun-Aula. Marl ist Kooperationspartner des internationalen „New Colours Festival“, dessen zweite Ausgabe im September ansteht.