Der Community Gedanke lebt weiter
moers festival 2013
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Kurt Rade
John Zorn hatte ein würdiges Festival im Festival entstehen lassen, sich selber solistisch zurückgenommen, um den Mitgliedern seiner inzwischen weltweiten Community allen Entfaltungsraum zu geben. Hatte mit einem Spektrum zwischen uralter und futuristischer, zwischen schroffer und eingängiger, zwischen abstrakgen und sinnlichen Sphären dem Publikum alles gegeben. Um es damit dem zweiten Festivaltag erst mal schwer zu machen, all dem künstlerisch das Wasser zu reichen.
Zum Glück setzt das Programm auf wohldosierte Kontrasteffekte, legt stimmige rote Fäden, damit nicht alles zerfällt, sondern sich möglichst viel konträres zu ergänzen weiß. Das funktioniert bei diesem letzten Zelt-Festival so gut, dass man sich kaum Konzerte zu „schwänzen“ traut – etwa, um mal ne Runde auf den Grill zu legen. Wie gut, dass der Samstag von „The Dorf“ eröffnet wird. Denn diese wohl relevanteste Groß-Combo aus der hiesigen Szene knüpft stimmig an jenen Community-Gedanken an, der in Zorn verschiedenen Besetzungen so lebendig war. Begeisterte Musiker unterschiedlicher Coleur, allesamt bestens vertraute Gesichte und ausgeprägte Charakterköpfe, die auf ihren Instrumenten Fantastisches leisten – das macht dieses von Jan Klare begründete Ruhrgebiets-Dorf aus. Und Klare hat mit der Truppe viele neue Stücke erarbeitet, alle geben Vollgas, heben ab auf rauschhaften Wellen in einem Ozean aus Jazz, Rock und so vielem mehr. Fröhlich, impulsiv, musikantisch – selber Spaß am eigenen und noch mehr am gemeinsamen Spiel haben und solche Wellen hinein ins Publikum branden lassen, lautet die Devise. Beim Moers-Festival 2013 punkten mal wieder die bekannten Größen, die ihr bestes geben, sich erfrischend selbst erneuern.
Die unbekannteren Neuentdeckungen sind in diesem Jahr eher stiller Natur, fast an der Grenze zum Mauerblümchendasein. „Je Suis“ aus Schweden (!) arbeiten sich an kammermusikalischen neuen Jazz sehr redlich ab, zeigen, das sie so allerhand können und zu kombinieren verstehen und mit schönen Klangfarben auszumalen wissen. Alle sind gute Instrumentalisten, die sich auf gewitzte Arrangements verstehen. Nicht mehr und nicht weniger. Aber nicht genug, um wirkliche Leuchtkraft innerhalb der diesjährigen Farbpalette zu entfalten.
Sehr ruhige Töne verströmt auch die Sängerin Jenny Hval. Unspektakulär sein ist hier Programm - in einer spröden, lyrisch verinnerlichten Dramaturgie, in der die stillen, zerbrechlichen Facetten von melancholischem Pop ausgeleuchtet werden. Das ganze hätte auf einer kleinen Clubbühne sicher noch besser funktioniert.
Mächtig geht ein altes Heimspiel nach vorne: Blixt nennt sich das aktuelle Trio von Bill Laswell – mit dem Gitarristen Raoul Björkenheim und dem Schlagzeuger Morgan Agren im Boot. Zunächst scheint sich das ewig Gültige selbst feiern und bestätigen zu wollen. Laswells funkig knackigen Bassfiguren haftet mittlerweile durchaus was stereotypes an und Björkenheims Solo-Espkapaden scheinen phasenweise beängstigend auf einen sportlichen Egotrip hinaus zu laufen. Aber die drei schaffen dann doch mehr, viel mehr. Innerhalb einer würdigen Bestätigung der ewigen Rocktrio-Ästhethik lebt doch so viel hellwache Interaktion. Björkenheims nordische Lyrisem gehen durch und durch – selbst in schnellsten Läufen lässt er Klanglandschaften entstehen, voller Fantasie, Feinsinn und Vision! Dann geht der Blick nach Brasilien. Lenine aus Sao Paulo ist ebenfalls ein alter Bekannter in Moers. Er ist ein intensiver Sänger, der in seinen Songs Themen anpackt, der so ganz den Biss neuer brasilianischer Musik verkörpert, dessen Songs große Hallen und Stadien rockt – und der in Moers kammermusikalisch agiert. Mit Streichern, vielen Bläsern und einem Vibrandoneon. Aber ein solches Instrumentarium will der beredten Musik des Brasilianers einiges von ihrer Berge versetzenden Power und Tiefe weg neutralisieren. Der elektrische Auftritt vor etlichen Jahren, der damals alle von den Stühlen riss, war irgendwie doch viel mitreißender!
Moers ist auch ein ganz besonderer Ort, wenn es um die spontane Kommunikation mit anderen Menschen geht. Wieviel endlose Spontangespräche hat man schon mit bis dahin Fremden über das gerade gehörte geführt. Ein Fazit überwiegt auf jeden Fall nach diesem Samstag und ist mit dem selbst erlebten absolut deckungsgleich: Das, was diesen Tag endlich wieder auf perfekte künstlerische Augenhöhe mit dem vorangegangenen „Zorn“-Tag bringt ist der Auftritt eines Duos: Sidsel Endresen, die norwegische Vokalistin agiert mit ihrem Landsmann, dem radikalen Saiten-Zauberer Stian Westerhuis in magischem Gleichklang.
Wie sehr geht hier die Rechnung auf! Wie sehr schaffen es hier zwei Künstler, mit scheinbar abseitigster Kunst so unfassbar plausibel zu wirken und ihr Publikum restlos in eine unbekannte Klangwelt hineinzuziehen. Endresens dunkle, von rätselhafter Magie aufgeladene Stimme trifft auf akustische Ereignisse, die man sich nicht vorzustellen wagte. Eine Art Schamanengesang auf der einen Seite, der manchmal wie eine unbekannte Sprache aus fernen Welten oder dadaististische Lautpoesie anmutet. Auf der anderen Seite ein Ozean aus elektrischen Verzerrungen, Rückkopplungen, Störfrequenzen, Tiefbasstönen. Material, welches Westerhuis ausforscht, dekonstruiert und poetisch neu vernetzt. Eine ganz große Begegnung!
Dann hätte man sich wieder mal gewünscht, dass die Stühle rausgenommen würden, oder dass zumindest Platz zum Tanzen vor der Bühne erlaubt sei – was von den freundlichen Wachtposten des Security-Dienstes mit kategorischer Strenge verhindert wird. Auch an diesem Festival, das einst aus dem denkbar emanzipatorischsten Geist heraus geboren wurde, verselbständigt sich die Disziplinargewalt. Schade!
Dafnis Prioto ist auf jeden fall ein Teufels-Drummer, der vor allem die Snaredrum heißlaufen lässt, dass diese schon kurz vorm Aufglühen scheint. Sein Feuerwerk aus Gegenrhythmen, Synkopen, Breakbeats animiert lustvoll dazu heraus, den unruhigen Groove körperlich zu erfassen. Keyboards liefern ein eigenwilliges Geflecht aus Hammondorgel und manchmal regelrecht housigen Sounds – darüber liegen die eigenwilligen Vocals des schwarzen US-Sängers Kokayi. Schräg, topaktuell und ganz hellhörig bezüglich aller angesagten Styles aus dem Underground.