Deep Schrott
Vier feinsinnige Berserker an Bass-Saxophonen
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Im Münsteraner Hot Jazz Club an der Waterfront, direkt am alten Hafen, ist am letzten Samstag kein Nebelhorn zu vernehmen, sondern mit Deep Schrott ein ungewöhnliches Saxophon-Quartett mit gleich vier Bass-Saxophonen. Das mit Exklusivitätsanspruch auftretende Quartett („Das einzige Bass-Saxophon-Quartett des Universums“) tourt gerade durch Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel am kommenden Donnerstag in der Kulturkirche in Köln. Dort gilt es, die besondere Akustik von großen Räumen für neue Spielideen zu erproben. In dem typischen Jazzclub-Ambiente der Münsteraner Location ist dies nicht möglich, deshalb gibt es an dem Abend vor allem Titel der beiden letzten CDs The Dark Side of Deep Schrott Vol. 1 und 2 (s. die nrwjazz-Rezension I und II) oder aus länger zurückliegendem Repertoire wie bei dem fetzigen Einstieg mit dem Fleedwood Mac-Titel Oh well. Das Durchschnittsalter des Publikums in Münster ist im Vergleich zu anderen Jazzveranstaltungen erfreulich niedriger, konzentriert lässt es sich von Beginn an in den Bann der Tieftöner versetzen. Dies liegt sicherlich an der ungewöhnlichen Instrumentierung, aber vor allem an der hervorragenden Qualität der Session. Die Arrangements der Titel stammen jeweils aus der Feder von Wollie Kaiser, Andreas Kaling , Jan Klare oder Dirk Raulf, sie sind allesamt vom feinsten gesetzt und ebenso im präzisen Spiel realisiert. Immer wieder verblüfft, wie es den vier Saxophonisten gelingt, die Lead-Stimme und die Begleitstimmen zu einem chorischen Miteinander kunstvoll zu verflechten und dabei die Jumbo-Instrumente zum scheinbar federleichten Improvisieren und variationsreichen Phrasieren zu bringen.
Die Melodie des so verschiedenen Ausgangsmaterials wie etwa bei dem Doppeltitel von der Progressive-Alternative-Metal-Gruppe Tool Lost Keys/Rosetta, Hanns Eisler, dem elegischen Ayler-Titel Our Prayer, AC/DC’s Thunderstruck oder Black Sabbath-Hits ist immer deutlich erkennbar. Die Hanns-Eisler-Suite, die viermal Das Einheitsfrontlied in verschiedener Variation in Liedern wie Panzerschlacht, Lied einer deutschen Mutter oder Und endlich stirbt die Sehnsucht doch einwebt, darf man getrost als politischen Kommentar zum AfD-Neujahrsempfang in Münster einen Tag vor dem Deep Schrott-Konzert verstehen.
Die Titel sind allesamt so arrangiert, dass ein typischer Deep Schrott-Sound entsteht. Diesem ist die Spielfreude deutlich anzuhören – verbunden mit einem immer ein wenig lustvoll-ironischen Gestus, das adaptierte Material oder die Eigenkompositionen wie Buried Alive oder Beefy heart durch den Blaswolf zu drehen. Mitreißend im wahrsten Sinne ist der rhythmische Impact, das aggressiv-rotzige Spiel der Bassberserker mit ihren auch im akustischen Sinne wuchtigen Tieftönern unabhängig davon, ob Marsch, Punk, „Schweinerock aus Australien“ (Dirk Raulf), Metal auf dem Spielplan stehen. Das Publikum fängt in Teilen sogar zu tanzen an. „Enthusiasmus ist ja in Münster zu Hause“, so Dirk Raulf, und leitet über zu der Hitparaden-Nummer Can’t Get You Out Of my Head von Kylie Minogue, die Brücke vom Konzert- zum Disco-Abend im Hot Jazz Club ist gebaut. In der Zugabe gibt es als Verbeugung vor dem diesjährigen Nobelpreisträger Bob Dylans Rainy Day Women in einer bluesig-rockigen Version.
Wie gesagt: mitreißend, der Abend. Gespannt sein darf man auf die nächsten Klangabenteuer der vier Musiker.