Bild für Beitrag: Das Widerlegen von Klischees | Sing Sang mit Sung Sound im Artheater
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Das Widerlegen von Klischees

Sing Sang mit Sung Sound im Artheater

Köln, 02.03.2014
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Sung Sound

Am Karnevalswochenende in Köln ein Jazzkonzert zu veranstalten und dann auch noch mit einem komplett neuen Projekt; das nenne ich gewagt! Alleine der Weg ins Artheater wird zu einem Abenteuer, muss man sich doch durch die Massen an feierwütigen, alkoholisierten Karnevalisten kämpfen. Aber es gibt auch noch Menschen, die diesem ja fast Zwang widerstehen und sich für modernen Big Band Jazz entscheiden.

Im Programm werden sieben Sängerinnen plus eine komplette Big Band angekündigt. Eine Ansage, die mir erst einmal etwas Respekt eingeflößt hat. Und dann soll es sich auch noch um Kompositionen und Arrangements des einzelnen Sängerinnen handeln. Es gibt ja das chauvinistische Klischee, Sängerinnen könnten nichts außer singen. Fragt man sie, in welcher Tonart ein Stück steht, singen sie einem einen Ton vor. Und dann sollen sie für eine ganze Big Band schreiben? Ich möchte mich an dieser Stelle ganz eindeutig von diesen Klischees abgrenzen, aber sie halten sich, oft hinter vorgehaltener Hand, doch hartnäckig. Aber diese Klischees wurden an diesem Abend recht eindrucksvoll widerlegt. Die Kompositionen und Arrangements aller sieben Sängerinnen sind vielschichtig und komplex.

Jede Sängerin präsentiert an diesem Abend ein bis zwei Eigenkompositionen oder Bearbeitungen von Gedichten. Dabei wird die Vielseitigkeit von Gesang im Big Band-Kontext sehr deutlich. Kennt man von den großen Sängerinnen der Jazzgeschichte eher das Schema von Thema mit schöner Melodie und Text, gesungen von der Diva im glamourösen Abendkleid , hat sich die Rolle des Gesang im modernen Big Band-Zusammenhang sehr vergrößert. Da wird der "Gesang" als führende Stimme im Satz eingesetzt, als ausdrucksstarker Erzähler und als Solist. Natürlich bleibt das klassische vortragen eines Themas mit Text weiterhin ein wichtiger Bestandteil.

Die einzelnen Stücke unterscheiden sich dabei genauso wie ihre Sängerinnen. Da gibt es die teilweise pathetisch klingenden Kompositionen von Laura Winkler, die mit ihrer Stimme wechselnd die Rolle der vortragenden Sängerin und die der führenden Stimme im Satz einnimmt. Die in Osnabrück lebende Friedeline Stutte überzeugt mit ihrem eigentlich für ihr Sextett "Ist" geschriebenen Stück mit einer ausdrucksstarker Erzählerstimme, die ich mir auch gut in einem Hörbuch vorstellen könnte. Zooey Agro bringt sowohl eine Gedichtsvertonung über die Geister von Ex-Geliebten als auch die Zugabe ins Konzert ein. Ihre Bearbeitungen wechseln dabei zwischen freien und fast rockigen Passagen und genauso variabel präsentiert sich ihre Stimme. Die in Köln lebende, aus der Ukraine stammende Sängerin Tamara Lukasheva brilliert mit ihren folkloristischen Kompositionen und stellt dabei einmal mehr unter Beweis, welche großartige Solistin sie ist. Sandra Lötzsch hat als einzige Sängerin ein Stück extra für dieses Projekt geschrieben und arrangiert. In dem Stück, das über tagträume handelt, erzählt und singt sie sich in Rage, was gut von der Big Band unterstützt wird. Bei der Gedichtsvertonung von Lara Lüppe wird zum ersten mal eine, wenn auch simple, Melodie zu dem existierenden Gedicht komponiert.

Ins Leben gerufen wurde das Projekt Sung Sound von der aus Hannover stammenden Sängerin Thea Soti. Sie hat es trotz aller Widrigkeiten geschafft, dieses Projekt vom Reißbrett auf die Bühne und auf Tour zu bekommen. Ihre beiden Stücke zeigen, welch vielseitige Sängerin sie ist. Auf der einen Seite die freie Komposition, bei der sie mit der Zeile "Can you hear me?" spielt und sie so oft in so vielen verschiedenen Versionen wiedergibt, dass sie sich dem Zuhörer förmlich einbrennt und das Stück trotz wenig Text eine starke Bedeutung hinterlässt. Auf der anderen Seite präsentiert Soti, die gebürtig aus Ungarn stammt, eine Bearbeitung eines Bartock-Stückes. Sie sticht dabei mit ihrer einzigartigen Scat-Sprache heraus.

Die sieben Sängerinnen werden dabei den ganzen Abend begleitet von der UdK-Big Band (Universität der Künste) aus Berlin. Die Big Band liefert dabei eine sehr solide Leistung ab. Die Rhythmusgruppe wirkte mir teilweise etwas sehr brav. Mit etwas mehr Energie hätte man manche Stücke intensiver gestalten können, aber die Kompositionen zwängen sie dabei auch in ein sehr enges Korsett. Das ein oder andere Solo passte meiner Meinung nach stilistisch nicht ganz zum Stück. Das liegt mit Sicherheit daran, dass durch die sieben Grund verschiedenen Sängerinnen und daraus resultierenden verschiedenen Stilistiken es unheimlich schwer fällt, zu jedem Stück den passenden solistischen Tenor zu finden.

Was aber bei mir einen etwas unbefriedigten Eindruck hinterließ, war die Tatsache, dass immer nur eine der sieben Sängerinnen auf der Bühne stand. Ich hatte im Vorfeld ein wenig Angst davor, den ganzen Abend mit fünfstimmigen Gesangssätzen bombardiert zu werden, aber am Ende fand ich es doch sehr schade, dass nicht wenigstens die Zugabe mit mehreren Sängerinnen und ein wenig Mehrstimmigkeit im Gesang aufwarten konnte. Dabei hat das Projekt meiner Meinung nach ein wenig seines Potentials verschenkt, denn wenn man schon so viele Sängerinnen hat, sollte man sie auch in vollem Maße nutzen. Ich weiß, dass es der Tatsache bedingt, dass die Sängerinnen aus ganz Deutschland verteilt kommen und es schwer ist, Proben mit allen terminlich zu koordinieren, aber das hätte dem Projekt meiner Meinung nach viel gebracht.

Aber insgesamt war es ein sehr gelungener Abend mit sehr vielen interessanten Sängerinnen und interessanten Kompositionen. Das fanden auch die Zuschauer im dann doch gut gefüllten Artheater abseits des karnevalistischen Kölns. Das Projekt ist ein paar Tage auf Tour und kann zum Beispiel am 02.03. in Osnabrück oder am 08.03. in Berlin gesehen werden.

 

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