Persönlichkeit und Charakter zählen
Das Kristupo Festivalis (Christopher Summer Festival) feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Seit 20 Jahren ist Jurgita Murauskienė beim größten Sommer-Musikevent in Vilnius dabei, seit 18 Jahren leitet sie das genreübergreifende Festival, das in diesem Sommer in zweieinhalb Monaten knapp 30 Veranstaltungen durchführt. Da gibt es kostenlose Konzerte im Park, ein spanisch-österreichisches Flamenco-Gitarrenduo, eine sechsköpfige kubanische Vokal-Combo oder wunderbar interpretierte Musik von Philip Glass mit der litauischen Pianistin Ieva Dūdaitė und dem St. Christopher Kammerorchester zu hören. Auch eine Orgel-Konzertreihe in einer Kirche gehört zum Programm.
Bei der Auswahl der Künstler ist der Festivalleiterin nicht so wichtig, wie berühmt diese sind, sondern was sie von einer Bühne aus transportieren. Persönlichkeit und Charakter, aber auch neue Sounds in ihrem jeweiligen Genre müssen sie bei Jurgita Murauskienė mitbringen. Ein Richard Galliano passt da ganz hervorragend, hat der Akkordeonist mit seiner New Musette doch seinen ganz eigenen Stil geschaffen. Mit seinem fantastischen New York Tango Trio, bestehend aus Kontrabassist Diego Imbert und Gitarrist Adrien Moignard, verzaubert der sympathische Franzose in seinem Open-Air-Konzert im Innenhof einer Bibliothek in der Altstadt von Vilnius das Publikum, das gebannt die so beseelten Klänge seines Knopfakkordeons genießt. Ob Piaf, Piazzolla oder Eigenkompositionen wie das so herzerwärmende, sanft schwingende „Chat Pître“ – Galliano spielt das alles mit einer Zartheit und Klarheit, die tief berührt. Er spielt eine singende, klagende, wehmütige, sehnsüchtige Musik voller süßer Melancholie, bei der New Musette, Tango und Jazz zu Liedern verschmelzen, denen man ewig zuhören könnte.
Fado, der sich der Welt öffnet
Kann man so viel Gefühl wie beim Auftritt von Gallianos Trio noch toppen? Cristina Branco jedenfalls bietet tags darauf an gleicher Stelle ein ebenfalls unter die Haut gehendes Konzert. Die kleine Portugiesin mit der großen Stimme hat den Fado im Laufe ihrer Karriere geöffnet, hin zu Tango oder auch südamerikanischen Klängen. Schon mit der Besetzung ihres Trios zeigt die Anfangfünfzigerin, dass sie beim Fado über den Tellerrand hinausblickt. Denn ein Klavier ist in der klassischen Fado-Besetzung nicht vorgesehen. Luís Figueiredo aber setzt wunderbare Akzente auf den schwarz-weißen Tasten. Auch Kontrabassist Bernardo Moreira und Bernardo Couto an der portugiesischen Gitarre – alle drei spielen übrigens im eigenen, hörenswerten Trio SUL zusammen – bereichern die Welt des Fado mit ihrem Verständnis ihrer langjährigen Betätigungen auch in anderen musikalischen Feldern wie etwa dem Jazz. Viel Sehnsucht, Hingabe, Poesie und Klänge, die wie im Song „Este Silêncio“, der erst ganz intim und verletzlich beginnt, dann von allen drei Musikern mit Klopfen und Reiben ungewöhnlich perkussiv gestaltet wird – Cristina Branco interpretiert in Vilnius den portugiesischen Fado mit erfrischend eigener Note.