Das Lied der Frauen vom Fluss
La Fura dels Baus die Free Jazzer des Musiktheaters
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Paul Leclaire
Das Publikum betritt die Halle im Staatenhaus Köln und ist in Nebel gehüllt. Die Sitzreihen befinden sich längst der Halle und lösen die Guckkastenbühne auf. Auf einigen Sitzen liegen seltsame Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch und winden sich in Seetang. Fischer in Ölzeug gehen umher und sprühen Wasser. Das Orchester spielt zeitgenössische Musik, die die geheimnisvolle Situation unterstreicht.
Die katalanische Theatergruppe La Fura dels Baus um den Künstler Carlus Padrissa sind in Opernszene so etwas wie die Free Jazzer in der Jazzszene.
Die La Fura dels Baus sind berühmt für ihre Inszenierungen, in denen sie traditionelle Formen durchbrechen und neue Wege in der Musik suchen.
Das Stück Das Lied der Frauen vom Fluss ( Cantos de Sirena) ist eine Adaption des Faust Stoffes, mit vielen grundsätzlichen Veränderungen. Wir erleben einen unkonventionellen Umgang mit dem Stoff (Libretto), der Musik, wie auch dem Bühnenbild und den Kostümen. All diesen Bereichen wird Respekt gezollt, ohne in Ehrfurcht gefangen zu sein.
Libretto:
In Marc Rosichs Libretto ist Faust ein ausgebrannter Künstler, der des Lebens müde ist und sich dann für einen Egotrip entscheidet. Mephisto wird ihm nicht als Person gegenübergestellt. Stattdessen geht Faust mit der dunklen Seite seiner Persönlichkeit, seinem inneren Mephisto, einen Pakt ein.
Korrekterweise müssen wir von “Fausta“ sprechen, denn Faust verwandelt sich zu Beginn seinen Paktes in eine 25 jährige Frau. Fausta flieht in die virtuelle Welt. Die Grenzen zwischen der Innen- und der Außenwelt werden aufgelöst. Mit der Reise der Fausta geht das Libretto äußerst kreativ um, so werden Elemente des Odysseus Mythos integriert. Die Reise geht bis an die Grenzen des Universums. Die Titel gebenden Sirenen erscheinen dabei in immer neuen Gestalten. Am Ende erkennt Fausta die Leblosigkeit der Technik und des virtuellen Raumes. Selbst der Liebesakt wird zur virtuellen Scheinrealität.
Musik:
Ebenso, wie das Libretto verschiedene Mythen miteinander verbindet, werden Arien aus Renaissance und Barock, bis hin zur Romantik mit dem Handlungsstrang verwoben. Das Lied der Frauen vom Fluss beginnt mit Monteverdi, und spannt musikalisch einen Bogen über Vivaldi, Händel, bis zur Arie der Olympia aus Hoffmanns Erzählungen. Howard Arman hat alle Arien, bis auf zwei Stücke, umarrangiert. So bilden sie, obwohl aus unterschiedlichen Epochen, ein geschlossenes Stück Musik. Dazu hat er Übergänge komponiert, die als Brücken dienen. Er pflegt einen Umgang mit dem musikalischen Material, wie wir ihn aus dem Jazz kennen.
Ein weiteres Element sind mechanische Musikmaschinen, deren Musik in die akustische Musik des Orchesters einfließt. Die Musikmaschinen sind riesige futuristisch anmutende Gebilde, die Teil des fantastischen Bühnenbildes sind. Alte Musik von Renaissance bis zur Romantik trifft auf neue zeitgenössische akustische Musik und auf elektronische und maschinelle Musik.
Genregrenzen werden aufgehoben und etwas Neues hat Raum. Howard Arman sieht sich dabei als Teil der Tradition, die er weiterführt, und nicht als Bilderstürmer.
Bühnenbild und Kostüme:
Die Bildzeitung nannte Das Lied der Frauen vom Fluss eine Science Fiction Oper. Obwohl dies eine typischen Verkürzungen des Boulevards ist,. besitzt die Inszenierung tatsächlich eine Anmutung von Science Fiction. Die seltsamen Kostüme der Sirenen sind eine Mischung aus Raumanzug und Nixenkostüm, dann wiederum haben die Wesen geweihartige Auswüchse auf dem Kopf.
Die Figuren erscheinen teilweise in großen Wasserbehältern auf der Bühne. Riesige Maschinen und Gestelle werden auf der Bühne bewegt. Die Unterschiede der Wasser- und der Luftwelt werden aufgehoben. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dem Publikum werden während des Stückes allerlei "magische" Substanzen gereicht, von besonderen Moosen, über speziell behandeltem Salz, getrockneten Beeren, bis zu Mais in Schokolade. So werden alle Sinne angesprochen und das Publikum wird miteinbezogen.
„Das Unbeschreibliche, hier wird es getan.“ La Fura dels Baus ist es gelungen mit dem Musiktheater Das Lied der Frauen vom Fluss gewohnte Formen der Inszenierung aufzulösen und mit neuen Mitteln dem Publikum Inhalte alter Mythen zu vermitteln, die heute aktuell sind. Alte Musik verschiedener Epochen wird behutsam verändert und in einen neuen Kontext gestellt und mit neuer Musik, einschließlich Maschinenmusik, verbunden. So erlebt das Publikum die Musik ungewohnt und neu. Die Arien entfalten eine neue Kraft und glänzen in völlig neuem Licht.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die Gesangsrollen großartig besetzt waren. Herausragend Adriana Bastidas Gamboa als Fausta.
Das Lied der Frauen vom Fluss ist ein großartiges Stück modernes Musiktheater, für das es sich, auch für „Nicht-Operngänger“, lohnt die Oper Köln zu besuchen.
Musikalische Leitung: Howard Arman
Inszenierung: Carlus Padrissa (La Fura dels Baus)
Bühne und Sound Machines: Roland Olbeter
Kostüme: Chu Uroz
Choreographie: Sandra Marín Garcia
Licht: Andreas Grüter
Video: Fritz Gnad
Fausta: Adriana Bastidas Gamboa
Sopran 1: Maria Kublashvili
Sopran 2: Claudia Rohrbach
Tenor 1: Jeongki Cho
Tenor 2: Martin Koch
Bassbariton: Matthias Hoffmann
Sprecher: Lennart Lemster
Gürzenich-Orchester Köln
Weitere Termine:1.6.; 3.6. und 6.6.17 (letzte Aufführung)
http://www.oper.koeln/en/programm/das-lied-der-frauen-vom-fluss/2151