Das größte Jazzfest der Welt
32. Festival International de Jazz de Montréal
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Montréal Jazz Festival
Die Spannung ist spürbar. Minütlich steigt sie. Aber an diesem, seinem zweiten von zwei Abenden beim Montréal Jazz Festival, lässt er das Publikum 30 Minuten lang warten. Genau bis Mitternacht. Und dann überlässt er weitere 30 Minuten seinen beiden Backgroundstimmen das Rampenlicht und beschränkt sich drauf, im dunklen Hintergrund ein wenig Bass zu spielen.
Prince ist eben ein besonderer, ein unvorhersehbarer Künstler, der dreieinhalb Stunden später, gegen 3.30h in der Frühe, das Metropolis, einen 2.200 Menschen fassenden echten Club, in ein Tollhaus verwandelt hat. So eine Stimmung, so eine Ekstase.
Nach gut einer Stunde knalligem Jazzfunk, nach einigen seiner großen Hits, nach gnadenlos guten Breaks, so schwenkt seine „New Power Generation“-Band vom Groove der 80er Jahre Sheila E.–Nummer „A Love Bizarre“ von einer Sekunde zur nächsten nahtlos in den Riesenhit „Kiss“ um, nach zahllosen Zugaben und dem Versuch, nach „Kiss“ nicht wieder zurück auf die Bühne zu kommen - aber nach zehnminütigem Schreien und Toben der Fans geht das nicht anders, ist nach dem Puls-Runterbringer „Purple Rain“ dann doch irgendwann Schluss. Und man weiß bei einer Sternstunde der Popmusik dabei gewesen zu sein.
Am 28. Juli kommt der US-Superstar übrigens in die Kölner Lanxess Arena! Aber diese intimen, ausgelassenen Gigs wie jetzt in Montréal werden in einer großen Konzerthalle wohl nicht zu wiederholen sein.
Das „Festival International de Jazz de Montréal“ ist nicht nur das weltweit größte Jazzfest mit seinen circa 3.000 Musikern, die in 1.000 Veranstaltungen, davon etwa 2/3 open air und gratis, in diesem Jahr an 10 Tagen circa 2 Millionen Besucher aus aller Welt auf das ein Quadratkilometer große Festivalgelände mitten im Herzen von Kanadas zweitgrößter Stadt locken. In Montreal bemüht man sich wie jetzt mit den Club-Gigs von Prince auch um das Besondere. 28 Millionen kanadische Dollar standen dafür in diesem Jahr zur Verfügung – damit lässt sich was bewegen.
Etwa drei große Damen des Gesangs zusammen auf eine Bühne zu stellen. Unterstützt von einer namhaften Klasse-Band um die Pianistin Geri Allen oder die Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington sangen die Amerikanerinnen Dianne Reeves und Lizz Wright gemeinsam mit Angélique Kidjo aus Benin Songs von Miriam Makeba, Abbey Lincoln oder Janis Joplin. Gemeinsam und auch alleine, aber nie im Wettstreit, sondern als echte Freundinnen. Zauberhaft.
Das gilt nach wie vor auch für die Musik von Milton Nascimento. Körperlich ist die brasilianische Ikone längst gezeichnet, stimmlich war er in Montreal auch nicht bestens drauf. Und Kommunikation mit dem Publikum – untypisch für einen Brasilianer verzichtet Milton Nascimento fast völlig darauf. Und doch steht der Saal am Ende. Weil zeitlose Musikperlen wie „Ponto de Areia“ oder „Maria, Maria“ eben immer noch das Herz beim Hören berühren.
Der französische Trompeter Stéphane Belmondo und sein neues Quartett mit dem Pianisten Kirk Lightsey, Bassist Sylvain Romano und Drummer Billy Hart zeigten mit dem Material des gemeinsamen Albums „The Same As It Was Never Before“, wie aufregend akustischer Jazz klingen kann. Auch der kanadische Pianist John Roney und sein Trio zeigten das. Ein weiterer Kanadier, Steve Amirault, ist ebenfalls Pianist, hat aber seit einigen Jahren auch seine Stimme entdeckt und verzauberte als klavierspielender, jazziger Singer/Songwriter in Montreal mit den gefühlvollen Songs seiner neuen CD „One Existance“. Die beiden Sängerinnen Keren Ann und Gretchen Parlato, aber auch die Partystimmung verströmende Soulstimme von Sly Johnson verzückten in Kanada ebenfalls.
Auf dem Festivalgelände unterhalten währenddessen Artisten, schließlich ist Montreal ja die Heimat des weltberühmten „Cirque du Soleil“. Auffallend beim Festival und überhaupt in der Stadt: die Gelassenheit. Montreal ist ein unglaublich angenehmer, relaxter Ort. Selbst während des größten Jazzfestivals der Welt.