Das Geheimnis liegt im aktiven Zuhören
Tomeka Reid und Partner improvisierten zum Abschied
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Kalendermäßig sind wir gerade Lichtjahre weit weg vom Moers-Festival, aber der kreative Geist von Moers lebt auch im kalten Winter - zum Beispiel in einem stilvollen Rittersaal im stillvollen im Moerser Schloss. Diesmal war es ein besonderer Anlass: Tomeka Reid, improvisor in residence in 2022 verabschiedete sich mit einem Konzert, das in erster Linie auf kollektive Energien setzte.
Klar ist vom ersten Moment an: Den tiefempfundenen Echtzeit-Improvisationen – zunächst im Duo und später in Quartettbesetzung - steht die kammermusikalische Intimität dieses Raumes ganz hervorragend. Jianma Trujillo, Gitarre und Leonor
Falcón, Viola, machen Instrumente zum Vehikel ihrer eigenen Fantasie werden, wobei es vor allem darum geht, sich auf das jeweilige Gegenüber einzulassen. So geht aktives Zuhören.
Tonfolgen, Glissandi, Klanggesten und subtile Jazzpartikel finden zueinander. Manchmal sich einen melodischen Kern besinnend, aber dann auch mit zunehmender Offenheit, um den Klangdialog durch reale und imaginäre Räume strömen zu lassen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer haben ihre Sinne auf Empfang geschaltet, sind in der Sache drin. So findet auch die Poesie, die in diesen Klangfreiräumen auf Erkundung wartet, ihre dankbaren Empfänger. Was sich hier tut, tut nicht dieses Impro-Duo aus Venezuela, sondern es tut sich. Vor allem, als sich beide immer mehr vom freigesetzten Klangstrom mitreißen lassen. Der aber in jedem Moment empfindsam bliebt, also emotionale Zuflucht in der Dunkelheit bietet.
In 20 Minuten wurde alles gesagt
Erst nach der Pause greift die diesjährige „Improvisor in Residence“, die Chicagoer Cellistin Tomeka Reid selbst zum Instrument. Im Rittersaal wird sie zum gleichberechtigten Glied einer Quartettbesetzung, die im Grunde wie ein neutönerisches Streichquartett funktioniert, wo aber eine Violinstimme sehr raffiniert durch eine E-Gitarre ersetzt wird.
Die „zweite Violine“ übernimmt Gunda Gottschalk, die mal wieder durch eine spontane Zusage den Sprung ins kalte Wasser wagte, was sich schon beim Platzhirsch-Festival ausgesprochen bereichernd ausgewirkt hatte. Denn es ist genau ihr Ding, in solchen Adhoc-Besetzungen etwas Einmaliges, Unwiederholbares zu kreieren und dafür den eigenen Erfahrungsschatz in die Waagschale zu werfen. Das Set, welches die vier hinlegen ist kurz und braucht auch nicht länger sein. Jetzt geht es spürbar forscher und eruptiver zur Sache. Kollektiver Hochspannungszustand als Programm. In den circa 20 Minuten bündelt und komprimiert sich so ziemlich alles, was sich auf den Instrumenten spieltechnisch „sagen“ lässt, wenn sie einmal derart freigelassen worden sind. Jede und jeder einzelne erkundet den Raum, um in jedem Moment den richtigen Platz zu besetzen, mit der richtigen Aktion einzugreifen. Ob es ein Geheimnis dahinter gibt lautet später die Frage an Tomeka Reids. Ihre Antwort fällt klar und direkt aus: „Einfach nur Zuhören!“ Denn nur dadurch wird man fähig zu echtem Reagieren und Antworten. „Das ist wie ein Muskel, der immer wieder neue Spannung braucht.“
Tomeka Reid hat als improvisor in residence für mächtig viel kreative Ausstrahlung gesorgt
Die Cellistin aus Chicago darf zu den prominentesten Figuren gerechnet werden, welche bislang auf Initiative der Kulturstiftung NRW das begehrte einjährige Arbeitsstipendium in Moers erhielten. Auf Anhieb ist es ihr im zurückliegenden Jahr gelungen, mächtig Ausstrahlung zu entfalten. Als wäre es nicht genug gewesen, als „improvisor in residence“ circa ein Dutzend offizieller Konzerte in Moers und zahlreiche Projekte und Sessions zu gestalten, war sie auch in etlichen anderen Kontexten präsent, etwa bei gemeinsamen Auftritten mit „The Dorf“ , im Kunstmuseum Bochum im Trio mit Martin Blume und Frank Gratkowski und last but noch least einem Gastspiel beim Jazzfest Berlin.
Am 22.Januar ist sie nochmal in NRW zu erleben – und zwar beim Übergabekonzert für den neuen Improvisor in Residence, das Kollektiv Recursion.