Bild für Beitrag: Caspar van Meel Quintet | On The Edge  - Livestream und CD
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Caspar van Meel Quintet

On The Edge - Livestream und CD

Köln, 30.11.2020
TEXT: Heinz Schlinkert | 

Kann ein Livestream ein Live-Konzert ersetzen? Nein, aber bei einem Videostream kommt noch mehr rüber als beim Anhören einer wirklich hervorragenden CD. Das ist mir richtig bewusst geworden, nachdem ich mir erst die neue CD On the Edge intensiv angehört, dann aber den Livestream aus dem Kölner LOFT gesehen hatte.

  • Livestream

Beim Livestream am 27. November wurden in einer guten Stunde 6 Stücke und eine Zugabe vorgestellt, ganz ähnlich wie sie auf der CD zu hören sind. Doch es gibt so vieles, was man beim Hören einer CD kaum heraushören kann: die Atmosphäre, die Körpersprache der Musiker, die Interaktion mit ihrem Instrument und die Abläufe in der Band. So sieht man Caspar van Meel sehr konzentriert am Bass, die Augen manchmal geschlossen, dann ein Seitenblick, ein leichtes Lächeln, oft mit expressiver Mimik verbunden. Ein Vorteil ist das Heranzoomen auf Details, die man in einem Live-Konzert nicht genau sehen würde. Ein Blick auf das Griffbrett des Kontrabasses z. B., die Bewegungen der Finger, die Schwingungen der Saiten in Verbindung mit der Mimik – das erweitert die rein auditive Wahrnehmung und man kann die Musik besser im Ablauf verstehen, auch wenn die Tonqualität übers Internet nicht so gut ist.

Caspar van Meel stellte die Stücke kurz vor, gab einige kurze Erklärungen und schien sichtlich erleichtert, dass er endlich mal wieder mit der Band auftreten konnte. Klar, live geht anders, aber immerhin war der Beifall einiger weniger Zuschauer zu hören. Manche Stücke klangen in diesem Rahmen anders. For Erik, gemeint ist Erik Satie, erinnerte mich auf einmal an ‚Julian‘, Nils Landgrens Widmung an Cannonball Adderley.

  • On the Edge

On the Edge kann viel bedeuten: am Rand, am Limit, an der Grenze, auf der Kippe oder gar am Abgrund? Auf jeden Fall geht es um die aktuelle Situation der Welt, die, nicht nur wegen Corona, an einem Punkt angekommen ist, wo es so wie bisher nicht weitergehen kann.

“…In an improvisation we aspire to be open for the ideas of our fellow musicians. ... Improvised music is a synthesis between different points of view und as such inherently democratic. .. SO YES, MUSIC CAN AND SHOULD BE POLITICAL:… The challenges we face can’t be ignored. We are on the edge and should choose direction. Why not let music lead the way?”

Die Musik kann zwar mit diesem Album nicht die Welt rausreißen, aber vielleicht einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten. Einige Stücke weisen in ihren Titeln darauf hin.Der Titel desquicklebendigen Stücks Haeccity geht auf das lateinische Wort Haecceitas zurück und bezeichnet die Einzigartigkeit eines einzelnen Objekts, die Individualität. Weitere inhaltliche Bezüge finden sich in den Titeln Cataclysm und Bokonon’s Dance.

Man merkt sofort, Caspar van Meel ist nicht nur Musiker, er hat auch Philosophie studiert und er hat eine klare Meinung zur Frage, ob Jazz politisch ist.

  • Die Band

Caspar van Meel wohnt in Essen und ist in NRW, besonders im Ruhrgebiet, sehr bekannt für sein melodisches Bass-Spiel in verschiedenen Band-Konstellationen. Seit drei Jahren hat er sein eigenes Quintet mit Denis Gäbel (Saxofon), Tobias Wember (Posaune), Roman Babik (Piano)und Niklas Walter (Schlagzeug). Caspar hat alle Stücke selbst komponiert. Er erzählt, dass er dabei anfangs eine spontane Idee zu einem Lick oder einer Melodie hat, die er dann in seinem Kopf eine Zeit lang bearbeitet, bis dass daraus eine Idee für ein Stück entstanden ist. Wenn er diese dann in die Band hineingibt, verändert sich wieder einiges, es entwickelt sich eine neue Struktur, die bei jedem Konzert immer wieder anders interpretiert werden kann. Dabei lässt er den anderen Musiker viele Spielräume, er drängt sich gar nicht in den Vordergrund, so dass die anderen mit ebenso zahlreichen Soli wie er selbst vertreten sind.

Denis Gäbel an der Posaune hat sein eigenes Quartett, spielt aber auch regelmäßig in Caspars Quintett mit. Tobias Wember an der Posaune gehört u. a. zum Essen Jazz Orchestra, für das er die 3teilige Suite ‚Roadworks‘ komponiert hat. Die beiden Bläser sind sehr gut aufeinander eingespielt, sie ergänzen sich oft im parallelen und abwechselnden Spiel. Um Roman Babik s Band URBAN WEDDING ist es in letzter Zeit ruhiger geworden, seine Piano-Soli sind nach wie vor hervorragend. Niklas Walter ist der jüngste in der Gruppe, für sein Alter ist er schon sehr erfolgreich, er gehört u. a. zum Paul Heller /Roman Schwaller – Quartett und spielt auch im Essen Jazz Orchestra mit. Die anderen Bandmitglieder sind mit vielen Soli dabei sind, Niklas bei Catacylsm und Bokonon’s Dance. In den schnellen Stücken hat er aber die Rolle des ‚Antreibers‘, ähnlich wie in einer Bigband.

  • Die Titel

On the edge beginnt mit einigen Akkorden auf dem Piano, die Drums kommen dazu, der Bassspielt eine Unisono Basslinie. Dazu ein sehr schönes ausgiebiges Solo von Roman Babik am Piano. Cataclysm beginnt nur in der Live-Version mit einem langen Bass-Solo. Die ‚Katastrophe‘, hört sich gar nicht so katastrophal an. Die Bläser sind mit ausgiebigen Soli dabei, Denis Gäbel zeigt die Facetten seines Spiels von ruhig/klangvoll bis schnell/exaltiert.

For Erik - Erik Satie wurde dieses Lied wegen der einfachen Melodie-Führung gewidmet. Es klingt ganz anders als die anderen Stücke. Vor allem Caspar am Bass und Tobias Wember an der Posaune spielen ruhige, melodiöse Soli. Interessant auch das Piano, das sehr dosiert nur kurze Läufe oder einzelne Töne einbringt.
For Erik
muss sich schon in Essen herumgesprochen haben, denn dort hat Caspar gerade ein Stipendium der Stadt für ein Projekt erhalten, es geht um ein Sextett und um die Musik von Eric Satie.

Boca Abajo klingt manchmal, nicht nur wegen des Titels (‚kopfüber‘), spanisch an. Es fallen besonders Denis Gäbel und Tobias Wember auf, die zeitweise synchron spielen, ähnlich wie einst Benny Golson und Curtis Fuller. Ebenso vielfältig wie die kreolische Kultur ist Creole. Hier wechseln sich ungerade Rhythmen nacheinander ab, die Melodie wird durchgängig variiert und in recht schnellem Wechsel der Instrumente weitergeführt, in der Mitte ein langsames, manchmal orientalisch klingendes Bass-Solo.

Bokonon’s Dance, der letzte Titel, bezieht sich auf Kurt Vonneguts satirischen Roman Cat’s Cradle. Bokonon ist darin ein falscher, religionskritischer Priester, der auch Lieder singt. Caspar lässt ihn tanzen, wenn nach einer Art ‚launigem Geplapper‘ der Bläser der Swing einsetzt. Dann ein langes wunderschönes Bass-Solo, Sax und Piano schließen sich an und Niklas Walter bringt sich mit ein paar markanten Breaks ein. Ein krönender Abschluss eines sehr interessanten und anspruchsvollen Albums, das man sich immer wieder gerne anhören, das man aber auch einem Jazzkenner schenken kann ohne sich zu blamieren!

Auch wenn der Live-Stream noch eine Zeitlang verfügbar ist, kann man nur die CD empfehlen, die über Galileo Music , Float Music oder direkt per Mail an www.casparvanmeel.com erhältlich ist.

Echt live kann man die Band – hoffentlich - erleben:

- am 21. Januar in Warendorf im Theater am Wall

- am 25. Mai in Dorsten

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