Bunt und fröhlich
1. JazzCastle Festival Wolfsburg 2013
TEXT: Bernd Zimmermann | FOTO: Bernd Zimmermann
Das jüngste deutsche Jazzfestival begann ganz ruhig. Trotz der großen Behinderungen für Besucher wie Künstler bei der Anreise zum Festival aufgrund der Flutkatastrophe, blieb die junge Crew der Organisatoren erstaunlich gelassen.
Ob futuristische Baukunst, architektonische Meisterwerke, malerisches Fachwerk oder historische Gebäude – all das begegnet dem erstaunten Festivalbesucher in Wolfsburg. Die richtungsweisenden Bauwerke namhafter Architekten wie Alvar Aaltos Kulturhaus, Hans Scharouns Theater, Gunter Henns Autostadt und Zaha Hadids phæno prägen ebenso das Stadtbild wie das über 700 Jahre alte Schloss Wolfsburg, das vom 14.-16. Juni im Mittelpunkt des 1. JazzCastle Festivals stand.
Initiator und Künstlerischer Leiter Wolfgang Beuermann war jahrelang begeisterter Fan des Jazz Baltica in Salzau. Schon früh hatte er die Vorstellung, dass das Schloss Wolfsburg ein Ort für ein Festival à la Salzau werden könnte. Das Schloss, ein Park, ein Campingplatz in unmittelbarer Nähe, ja sogar eine Scheune in Form und Größe der in Salzau unglaublich ähnlich. Perfekte Voraussetzungen für ein solches Event. Und so ganz auf der grünen Wiese würde es auch nicht entstehen, denn bereits in den 1970er Jahren fanden hier erstmalig Jazz- und Folkfestivals statt.
In die hoffentlich lange Geschichte des JazzCastle Wolfsburg wird das Sebastian Studnitzky Trio als erstes Konzert eingehen. Mit chillig gefühlvollen, wohldosierten Kompositionen eröffneten sie das Festival. Ohne Schlagzeuger Tommy Baldu aber dafür mit Gitarrist Andreas Hourdakis präsentierten sie das neue Album "Do Mar".
Trotz der vielen bekannten Namen war sehr viel Neues zu hören. Donny McCaslin, Ausnahmesaxophonist aus den USA, präsentierte mit seinem Quartett sein neues Album. Mehr auf dem Saxophon vermag da kaum jemand in einem Konzert zu bieten, so vielseitig verwendet McCaslin dieses Instrument. Wild, ruhig, melodiös, in einer einzigartigen sich ständig abwechselnden Mischung. Die Zuhöher regelrecht hympnotisiert. Danach Stühle rücken und DanceNight mit Jazzanova. Welch ein spannender Kontrast. Ein erster Tag nach Maß.
Auch der Wunsch des Veranstalters, dass sich Künstler und Publikum im Schloss begegnen ging in Erfüllung. Beide Gruppen fühlten sich im Renaissance-Ambiente sichtlich wohl. Und so konnte man allenthalben das Publikum im intensiven Austausch mit den Künstlern beobachten.
Der zweite Tag begann mit einem Geschenk an die Wolfsbürger. Zur Martinée spielte das Cécile Verny Quartet. Auch hier ein Release der neuen CD "Fear & Face". Frisch, groovig mit neuen überraschenden Elemente. Bernd singt, Cécile spielt auch Keyboards. Guten Morgen Wolfsburg.
Der Nachmittag, vollgestopft mit großen Namen: Joachim Kühn, Majid Bekkas, Ramon Lopez, Ulf Wakenius, Dieter Ilg, Rainer Böhn, Jakob Karlson, Tingvall und Victoria Tolstoy. Das Publikum fast überfordert. Herausragend Joachim Kühn und seine kongenialen Partner. Ein verrückter Entrückter am Flügel. Zwischen explosiv Avangardistischem und Tanzbarem. Aufbrechend, erbrechend und dann wieder wunderschön harmonisch. Ein Dramaturg allererster Güte.
Kühn war es auch, der den Bogen schlug zwischen dem ersten und dem aktuellen Jazzfestival in Wolfsburg. Er war schon 1974 dabei, eher zufällig, wie es damals ebenso war. Da wurde nicht nur auf der Bühne improvisiert. Und dann gab es diese wunderbare Begegnungmiteinem Zeitzeugen. Die beiden nahmen sich viel Zeit in Erinnerungen zu schwelgen.
Die Nighthawks sollten mit ihrem Gute-Laune Jazz einen Kontrapunkt zu den emotionalen und hoch energetischen Darbietungendes Nachmittags setzen, um beim Publikum Platz für den offiziellen Höhepunkt des Festivals zu schaffen.
Auftrag angenommen und glänzend erfüllt als dann kurz nach Mitternacht im Beisein des schwedischen Botschafters zum Anlass des 5. Todestages an Esbjörn Svensson, einem der bedeutensten Jazzmusiker der Neuzeit gedacht wurde, waren alle hellwach. Ihm zu Ehren spielte die ACT-Family gemeinsam mit dem ehemaligen Drummer und langjährigen Freund Svenssons, Magnus Öström, Titel von E.S.T. und Stücke, die zum Gedanken an Esbjörn geschrieben wurden. Eine emotionale Nacht, in der kaum ein Auge trocken blieb.
Auch der dritte Tag hielt einige Überraschungen bereit. Vor allem die Lokalmatadoren Nico Finke und Martin Ehlers wussten durchaus neben den vielen großen Namen mitzuhalten. Vor allem Michael Wollny bewies mit seinem Trio erneut seine Ausnahmestellung in der aktuellen deutschen und europäischen Jazzszene. Zusammen mit Eric Schaefer und dem Bassisten Tim Lefebvre experimentierte er auf allerhöchstem Niveau. Die Wasserfuhr-Brüder verzauberten mit dem Programm ihrer demnächst erscheinenden CD "Running" das Schloß Wolfsburg im wahrsten Sinne des Wortes in ein JazzCastle. Nils Wogram und Dieter Ilg verwandelten mit ihren Trios den Schlossparkmitden extra angeschafften orangenen Liegestühlen in eine Chill-Area der besonderen Art.
Den Abschluss des Festivals bildete das Doppelkonzert mit Lars Danielssons Libretto und dem Iiro Rantala Quartet. Wie nicht anders zu erwarten auch dies allerfeinster Hörgenuss. Die letzten Töne sollten dann aber noch einmal, vor allem bei den Organisatoren und Mitarbeitern des Festivals die Emotionen hochschießen lassen. Nach vielen Wochen der Vorbereitung, drei Tagen intensivstem Musikprogramm, unendlichen Stunden Arbeit und Mühe schlossIiroRantala mit seinem Solo "Tears for Esbjörn" das 1. JazzCastle Wolfsburg.
Wer da glaubte, das Programm des 1. JazzCastle Wolfsburg wäre nur eine Aneinanderreihung bekannter Namen des europäischen ModernJazz, wurde in den drei Tagen eines Besseren belehrt. Mit viel überraschend Neuem, spannenden Formationen und vor allem einer interessanten Dramaturgie der einzelnen Tage war bereits das 1. JazzCastle ein Festival der Extraklasse. Alle die dabei waren, Künstler wie Publikum waren sowohl vom Programm als auch der Location sehr beeindruckt. Aber trotzdem muss sich eine Tradition entwickeln. Das JazzCastle hat allerdings absolut das Zeug dazu ein klangvoller Name in der europäischen Jazzfestival-Landschaft zu werden. Und im weiten Umkreis gibt es kein derartiges Festival.
Neben diesem absolut gelungenen Festival bietet Wolfsburg auch eine erstklassige Kulturlandschaft mit zahlreichen international bekannten Institutionen. Im Herzen der Stadt lädt die phæno zum Staunen, Anfassen und Ausprobieren unglaublicher naturwissenschaftlicher und technischer Phänomene ein. In einem imposanten Bau präsentiert das Kunstmuseum wechselnde Exponate und Ausstellungen und überrauscht die Besucher mit zeitgenössischer Kunst. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss befindet sich der Allerpark mit Hochseilgarten, EisArena, Wasserskianlage, Bowlingcenter sowie Norddeutschlands größtes Freizeit- und Erlebnisbad. Direkt neben dem Allersee,der Campingplatz.
Ein Kultur- und Freizeitangebot, dass während der jazzfreien Zeit an diesem Wochenende gar nicht zuschaffen war.