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Zwei faszinierende Konzertabende

mit Brad Mehldau

Bochum, 20.05.2024
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Zwei Tage hintereinander gab es Gelegenheit, ja man muss sagen: das Glück, den Ausnahmepianisten Brad Mehldau zu erleben. Im Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum konnte man sich mit ganz unterschiedlichem Programm von den Facetten dieses Musikers überzeugen, der neben seiner wegweisenden Arbeit („The Art of the Trio“) in unzähligen Projekten in verschiedenen Besetzungen für ausnahmslos begeisterte Reaktionen sorgte. Im Musikforum in Bochum war dies an beiden Abenden nicht anders.

Der Samstag vor Pfingsten ist gemeinsam mit den Bochumer Symphonikern unter dem Dirigat von Clark Rundell den „Improvisationen zu und über Johann Sebastian Bach“ gewidmet. Bachs Einfluss auf Mehldau ist von Beginn seiner Karriere erkennbar. Den Jazzpianisten fasziniert dabei das besonders enge Verhältnis von Melodie und Harmonie, die darauf basierende Improvisation kennzeichnet sein Schaffen wie das seines Vorbilds.  Zwei Alben von Brad Mehldau (‚After Bach I‘ und ‚After Bach II‘) und eine Reihe von Live-Konzerten belegen die enge Verbindung und auch den besonderen Zugang  zu dem Bach‘schen Oeuvre: Die Fugen und Präludien sind Anlass für eine Anverwandlung des Materials, für eine eigene Interpretation und Weiterentwicklung, für eine ganz eigene Assimilation. Anders als etwa die „klassische“ Aufnahme des „Wohltemperierten Klavier“ von Keith Jarrett oder die ‚Play Bach‘-Übersetzungen ins Jazz-Idiom von Jacques Loussier in den 1960er Jahren und von seinen Nacheiferern bis heute ist Mehldaus Zugang komplexer, eine Trans-Formation in den eigenen Klang- und Spielkosmos.

Im ersten Teil des Bochumer Konzertabends spielen die BoSys vier Bach-Orchestrierungen (im Umweg über die Neuinstrumentierungen von Igor Strawinsky, Max Reger, Anton Webern und dem Dirigenten), die jeweils von Mehldau solistisch in eine eigene improvisatorische Sprache übersetzt werden. Faszinierend zu hören ist, wie der dynamisch fein austarierte Orchesterklang und die thematischen Bögen vom Piano aufgegriffen und in ein Mehldau-typisches Idiom transformiert werden, bei dem die linke Hand eher ostinate Muster spielt und so das rhythmische Gerüst bildet, die rechte in allen Tonhöhen in subtiler Dynamik über die Tasten geht und bis ins Dissonante eine variantenreiche Modulation erreicht.

„Klassisches“ Klavierkonzert

Der zweite Teil des Abends besteht aus dem Klavierkonzert mit Orchester aus der Feder des Pianisten und mit ihm als Solisten. Der Erwartung, dass die Komposition eines Jazzpianisten sich vornehmlich der Jazz-Idiomatik bediene, wird nicht entsprochen: Zu hören ist ein „klassisches“ Konzert ohne Blue Notes, ohne „jazzige“ Rhythmisierung, im ersten Satz eher „romantisch“ geprägt etwa mit Harfen-Arpeggien, im zweiten zwar rhythmisch pointierter und am Ende „bluesiger“. Insgesamt zu hören ist ein Strauß von Stilelementen ganz unterschiedlicher Provenienz: Man hört viel (Spät-)Romantik und den Einfluss von Mehldaus Auseinandersetzung mit Fauré heraus, man vernimmt etwa Anklänge an Schostakowitsch. Vielleicht wird dem geneigten Zuhörer der Zugang durch den zu sehr eklektisch wirkenden Stilmix erschwert. Mehldaus solistische Einlagen jedenfalls überzeugen mit ihrer spieltechnischen und -ästhetischen Brillanz.

Die drei Zugaben des Pianisten – u.a. mit der Interpretation ‚Blackbird‘ von den Beatles – reißen das Publikum von den Sitzen und geben einen Vorgeschmack auf den folgenden Solo-Abend. Standing Ovations.

 

Solo-Konzert mit Stücken aus verschiedenen Quellen

Das Solo-Konzert am Pfingstsonntag ist ein Streifzug durch den Mehldau-Kosmos, durch seine ganz unterschiedlichen Projekte. Die Titel kündigt der Pianist selber an und verweist dabei auf die verschiedenen Alben und Entstehenskontexte. Das Konzert beginnt mit der Mehldau-Improvisation ‚Après Fauré Nr. 1: Prelude‘, später folgen ebenfalls aus dem ‚Après-Fauré‘-Album ‚Nocturne No. 13 in B minor‘ im Orginal und der Mehldau-Interpretation ‚Extract from Piano Quartet No. 2‘ in der Zugabe. Die weiteren Stücke in der Aufzählung: Aus dem Album ‚April 2020‘ – in der Corona-Konzertabstinenz entstanden – mit ‚In The Kitchen‘ ein heiterer zupackender Blues und mit ‚Remembering Before All This‘ ein eher dunkler, melancholischer Schlussakkord in der ersten Zugabe. Drei Songs aus dem ‚Beatles‘-Album: ‚She Said, She Said‘, ‘If I Needed Someone’ und ‘Golden Slumbers’ mit nicht enden wollenden Kadenzen. ‚John Boy‘ und ‚The Falcon Will Fly Again‘ aus dem 2010er Album ‚Highway Rider’. Das nachdenkliche ‘Resignation’ aus dem Jahre 1999, die Ballade ‘Paris’ mit Chanson-Charakter im ¾-Takt.  Die Elliott Smith-Cover-Versionen von ‚Satellite‘ und ‚Independence Day‘, deren einfaches Singer-Songwriter-Material Mehldau mit besonnenem Anschlag raffiniert umspielt. Das Gleiche gilt für Bob Dylans ‚Don’t Think Twice, It’s All Right‘ in der Zugabe.

Und ein Höhepunkt des an pianistischen Glanzpunkten reichen Konzertes: die ‚Goldberg-Variationen‘ aus dem aktuellen Album ‚After Bach II‘ mit einem kaum merklichen Übergang zu einer längeren furiosen Weiterentwicklung des Ausgangsmaterials. Im Anschluss an die ekstatische Bach-Interpretation folgt ein besinnliches neue Stück, das Spiritual ‚There Is Your Grace’.

Die Kunst der Metamorphose

Bei aller Verschiedenheit der Quellen - ob aus der Klassik, dem Pop, dem Songwriting: Mehldaus Tastenkunst eigen ist eine ganz spezifische Art des musikalischen Morphings, der Verwandlung in die eigene Klangwelt, bestehend aus Virtuosität und rhythmischer Präzision, gepaart mit unbegrenzt wirkender tonaler Variationsbreite und Spiellust.

Das mit einer Dauer von eineinhalb Stunden angekündigte Konzert braucht letztendlich zwanzig Minuten länger. Die Begeisterung des Publikums ist für den Pianisten spürbar und animiert diesen offensichtlich zu einem entsprechenden Marathon. Ein faszinierender Konzertabend.

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