Botschafterin der Emotionen
Christian Thomé und Mariana Sadovska in Dortmund
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Wer leidenschaftlich gerne reist, dem wird klarer, dass Fernsehbilder und Nachrichten immer nur ein Abbild von der Welt sein können. Auch die ukrainische Sängerin Mariana Sadowska blickt gerne tiefer und möchte den Menschen und deren Emotionen so nah wie möglich kommen. Sie ist deshalb schon mit einem Theaterprojekt in Kabul aktiv gewesen und machte sich unlängst in die Kriegsregion ihre Heimatlandes, dem Donbass auf. Hier hat sie die Lieder der Menschen angehört, hat erfahren, wie sehr Gesang und Lieder jeden Lebensaspekt begleiten. Darf erleben, wie Musik gerade in schwierigen Zeiten umso mehr zur Kraftquelle wird.
Mariana Sadovska, die einige Jahre auch in den USA lebte und dort vom Kronos Quartet zu einer Produktion eingeladen wurde, verzichtet in ihrem aktuellen Live-Programm bewusst auf politische Statements. Eine viel unmittelbarere Ebene soll im Zentrum stehen. Im Dortmunder domicil bot die heute in Köln lebende Sängerin eine Performance, die aus tiefster Tiefe kam und auf die die schnöde Definition „Konzert mit einer Sängerin und einem Instrumentalbegleiter“ wohl kaum noch passen konnte.
Zugegeben: Der Abend braucht eine gewisse Anlaufzeit, bis die Köln lebende Stimmkünstlerin und ihre Publikum miteinander warmgeworden sind. Doch dann wird ihre Stimme immer mehr zur durchdringenden Kraft, die wie ein beschwörendes Medium wirkt und sich oft auch als eigenständiges Instrument emanzipiert. Über weite Strecken begleitet sie sich auf einem kleinen Harmonium, bei dem durch Auf- und Zuklappen eines Deckels der Blasebalg in Aktion tritt.
Hinzu kommt der Perkussionspieler und Elektronik-Musiker Christian Thomé. Dessen fragile und oft auch sehr sphärische Klangwelt tut ihr übriges, dass sich dieser Abend zunehmend und schließlich haushoch über alles Folkloristische erhebt. Manchmal hätte man sich mehr Druck von seiner Seite vorstellen können, denn die Ausdruckskraft von Mariana Sadovskas Stimme kann gewaltig sein. Eine düsteres Eröffnungstück lässt dunkle Metaphern wie unheilsschwere Wolken aufziehen und suggeriert die ganze Aktualität einer aus den Fugen geratenen Welt. Es geht um Schiffe auf einem Meer, auf dem großes Unheil droht, verrät sie in den Moderationen. Anspielungen wie diese sind aktuell genug, ohne dass man hier konkreter werden müsste. Aber Mariana Sadovska, die fast immer in ihrer Muttersprache singt, wird an diesem Abend auch zur Botschafterin anderer, nicht minder starker Emotionen. Liebe, Natur, Mystik und der ewige Kreislauf der Jahreszeiten sind auch in schlimmen Zeiten von elementarer Verlässlichkeit: Ekstatisch und mit entfesselter Geste ruft Mariana Sadovska den Frühling an - der irgendwann wieder kommen mag. So viele Höhen und Tiefen hat diese Empfindungspalette, wie sie Mariana Sadovska hautnah miterleben lässt.
Für das westliche Ohr mystisch-fremdartig muten die Melodien mit ihrer bebenden Melismatik an. Oft durchbricht sie die Ebene des Gesangs, steigert sich – einer wildgewordenen Schamanin gleich – in schroffe Lautakrobatik hinein. So überträgt sie so manchen Trancezustand auf ihr Publikum – und machte diesen Abend zu einem eindringlichen Highlight auf den diesjährigen Dortmunder Jazztagen.
CD: Mariana Sadovska & Christian Thomé: Vesna