Bild-Klänge von abstrakt bis lyrisch
Klare, Vatcher, Ex feat. Achim Kämper
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Wie eine kleine Kathedrale mutet der hohe Rechteckige Raum der „Künstlerzeche Unser Fritz“ in Herne an. Die Mischung aus Künstlern und Publikum, aus Protagonisten der aktuellen improvisierten Musikszene und deren aufgeschlossenen Freunden und Anhängern verlieh dem Auftakt-Abend der Bildklang-Reihe etwas Intimes, Familiäres. Ein Glücksfall, dass dann auch noch das künstlerische Resultat dieses Abends bestechend, ja berührend wurde! Denn berührende Momente kamen auf - etwa als Jan Klare, Saxofon, Michael Vatcher, Schlagzeug und Luc Ex aus dem freien Klangmaterial heraus eine melancholisch Ballade aus den Zeiten von Four Walls formten. Dies war eine der berühmten Bands, wo Vatcher, Ex und vor allem auch der Vokalist Phil Minton wieder auf früheren Moers-Festivals Berge versetzten – man erinnere sich! Jetzt spielen sie zusammen mit Jan Klare, der seit einigen Jahren lebendigen Kontakt zu den beiden pflegt.
Die drei hören und schwören sich aufeinander ein an diesem Abend, um damit in der Herner Künstlerzeche „Unser Fritz“ die Bildklang-Reihe auf eindrücklichste Weise zu eröffnen. Sie alle favorisieren den assoziativen Austausch von Klängen, Gesten, Versatzstücken, Ideen. Da ist Vatcher mit seinem überquellenden, hyperaktiv und extrem punktgenau treffenden Spiel mit Schlagzeugimpulsen, Geräuscheffekten, rhythmischen Aktionen . Und der Niederländer Luc Ex mit seinem voluminösen Klangflächen, Drones und Riffs aus seinem halbakustischen „Zwitter“ aus E-Bass und akustischem Bass – also der Vereinigung von knallhartem Druck und rockiger Rasanz mit warmer, körperhaften Fülle eines akustischen Jazz-Basses. Und Jan klare schwört sich auf seinen Hörnern auf tiefe Klangflächen und hohe expressive Läufe ein– mal tendiert das ganze zu rockigen Riffs, die zerrieben und hinterfragt werden, dann pochen energetische Impulse, reiben sich brachiale Klangflächen miteinander – aber all dies strahlt in jedem Moment so viel sensible Empfindung aus. Und dieses dichte Spiel setzt mittendrin immer wieder Phasen von intensiver Lyrik frei. Zusätzlich zu den Bildern im Kopf, die solche Klänge zwangsläufig evozieren, hat der Auftritt eine visuelle Ebene - denn das soll bekanntlich die Intention von Bildklang sein, nämlich aktuelle Musik mit modernem Dokumentarfilm, Industriefilm und hochwertigen Stummfilmen zu verknüpfen. Achim Kämper, der für seine Musikfilm-DVD „kuhzunft“ schon mit dem jazzwerkruhr-Preis ausgezeichnet wurde, lässt abstrakte Farbflächen und Muster oszillieren und rotieren. Zum Teil entstehen diese durch eine kleine Kamera, die Kämper in einer kleinen Box hin und her bewegt, die mit Reflexionsflächen und allerhand Leuchtmitteln ausgestattet sind. Doch es wird auch konkret, eben „dokumentarisch“ , als eine Hochhaussprengung auf der Leinwand stattfindet. Langsam, sehr langsam kollabiert der hohe Bau und windet sich einige Male, bevor alles in ihm zusammenbricht. Klares Saxofon schreit und gellt - eine Art urbane Todesagonie? Dann sehen wir Menschen, die vor den sich ausbreitenden Staubmassen die Flucht ergreifen - Bilder, die ebenfalls durch zeitgeschichtliche Bilder verstörend symbolbehaftet sind. Klare, Ex und Vatcher geben auf ihren Instrumenten das äußerste, um die Emotionalität solcher Bilder akustisch zu verdichten – bis zum finalen Showdown in der Zugabe: Jetzt hämmern die drei Instrumentalisten im harschen, peitschenden Stakkato. Hektische Bilder. Alles rast und rennt im Zeitraffer. Autos, Menschen. Aber auch Lichtstimmungen, Wolken, Himmel, Meeresbrandung, Schatten von der wandernden Sonne. Alles ändert sich rasend schnell. Noch mehr Autos. Noch mehr Menschen. Verkehr, Baustellen, Zivilisation. Alles tausendfach beschleunigt gegenüber der Wirklichkeit. Oder ist diese tatsächlich so schnell und wir verdrängen diesen Umstand nur im „normalen“ Erleben? Wo bekommt man das Filmmaterial her, um solche extremen Zeitraffersequenzen herzustellen? Achim Kämpers Antwort ist verblüffend: “Ich habe mit einem speziellen Programm ganz viele Webcams von überall auf der Welt aufgezeichnet, und das Material zu diesen Sequenzen zusammen montiert.“ Kämper ist sich durchaus bewusst, dass er damit sehr stark an den zivilisationskritischen Film Kooyanisquatsi anspielt. Im Unterschied zu diesem Filmklassiker aus den frühen 80ern will Kämper zusammen mit den improvisierenden Live-Musikern keine moralische Botschaft transportieren: „Jeder kann sich seine eigenen Gedanken machen und seine Fantasie anregen.“
Diesen Anspruch löst der Abend in der Herner Zeche allemal ein. Schon nächste Woche gibt es weitere „Bild-Klänge“ in der Kokerei Hansa – mit einem Trio bestehend aus Frank Gratkowski, Dieter Manderscheid und Martin Blume . Dazu präsentiert Paul Hofmann die Kinematik im Ruhrgebiet – anhand von historischen Filmen aus dem Revier.