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Begegnungen groß machen

Ein Fazit vom Visual Sound Outdoor Festival

Dortmund, 18.08.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Kristina Zalesskaya, Stefan Pieper

Das Dortmunder Visual Sound Outdoor Festival ließ sich auch bei seiner sechsten Festivalausgabe nicht von kargen Rahmenbedingungen für die Kultur beirren und hat seine internationale Vernetzung weiter ausgebaut, In nicht weniger als 14 Konzerten wuchsen die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler aus einem Dutzend Ländern künstlerisch über sich hinaus. Das Außengelände des Parzelle-Vereins, ein ehemaliges Straßenbahndepot im Dortmunder Norden, schafft eine besondere Atmosphäre aus Industriearchitektur und spätsommerlichem Grün. Noch entscheidender ist die Lebendigkeit der auftretenden Besetzungen vor einem Publikum, das genau weiß, warum es diesen Ort aufsucht.

Mit geringem öffentlichen Förderungsaufwand ein dreitägiges Festival auf diesem künstlerischen Level zu stemmen, mutet wie ein fast unwirklicher Spagat an. Angelika Hoffmann (Vorständin) und Georg Dierks (Vorstand) vom Parzelle Verein e.V scheint eine besondere Leichtigkeit im Umgang mit strukturellen Herausforderungen im Blute zu liegen. Die beiden haben es einfach drauf, Leute für die gemeinsame Sache zu begeistern. Ein kleines Budget, zusammengeflickt aus städtischen Zuschüssen, Stiftungsgeldern und zurückgehaltenem Preisgeld – mehr braucht es nicht für eine geballte Ladung internationale Spitzenmusik. Zahlreiche Volunteers sorgen dafür, dass sich überhaupt etwas bewegt – für die Stadt Dortmund und den „Dortmunder Norden" ist das ein immenser Mehrwert.

Hypnotisch leise Poesie

VEHICLE/PASSENGER nennt sich ein Trio, das idealtypisch den interdisziplinären Fokus aktueller Gegenwartskultur bündelt. Marc Alberto, der bemerkenswerte Musiker, Poet und Rapper aus Curaçao, kombiniert gesprochene Poesie mit hauchzartem Saxofonspiel, das niemals beliebig wird. Heraus kam eine hochsubtile Kommunikation aus Emotion und Sound, an der Florian Herzog am Bass und Lesley Mok am Schlagzeug teilhaben. Albertos Worte sind pure Emotionen, aber sie transportieren darüber hinaus nachdenkliche, mitunter radikale Poesie über schwarze Erfahrungen von Entfremdung in einer weißen Gesellschaft oder über nicht-binäre Zuneigungen. Oft hypnotisch leise entsteht ein Stream of Consciousness im Zusammenwirken mit Herzogs zarten Bassfiguren und Moks schwereloser Rhetorik auf der Percussion. Das Publikum hing an jedem Wort und Ton – auf einer Open-Air-Bühne so stark fesselnde Kontemplation zu erzeugen, grenzt an ein Kunststück. Beim französisch-niederländisch-italienischen Quartett BRIQUE tobte Sängerin Bianca Iannuzzi ihr Organ in einem wilden Mix aus Chanson, Scat, Opernbelcanto und Punkattitüde aus, vorangetrieben von Luc Ex, der sich seit Jahren auf der Bassgitarre an der Fusion von Jazz und Punk abarbeitet, einer impulsiven Eva Risser auf dem deckellosen Piano und Francesco Pastacaldi am Schlagzeug. Authentische, manchmal widerborstige Energie, um diesem Festival ein Gütesiegel aufzudrücken.

AKTIVES  ZUHÖREN

Aus der Not eine Tugend machen zeigt sich bei den Besetzungen: Weil das Budget begrenzt ist, werden nicht mehr Bands als unbedingt nötig eingeladen, dafür spielen die Musikerinnen in verschiedenen Besetzungen. Das hat mit Nachhaltigkeit zu tun und lässt den kreativen Freiraum vor Ort wachsen. Sich kennenlernen, jammen, spontan neue Ideen entwickeln. Bei dieser Festivalausgabe spannte sich eine erstaunliche Bandbreite zwischen den Generationen auf – zwischen 27 und 82 Jahren. Eine dieser „Magic-Bands" hatte am Freitagabend die Halle im ehemaligen Straßenbahndepot für sich. Selten dürfte man Zeuge eines derart mitreißenden, von gemeinsam gelebter Spielleidenschaft und empathischem Zuhören getragenen Freejazz-Feuerwerks geworden sein. Die argentinische Saxofonistin Camila Nebbia hat mit ihrem brachialen, dann wieder flüsternden Tenorsound vor allem eins nicht: Angst vor Reibung. Die Cellistin Julia Biłat überraschte als spielfreudiges Multitalent, von dem noch viel zu hören sein wird. Hans Peter Hiby am Bass brachte aus Wuppertal sein unmittelbares, körperlich präsentes Free-Jazz-Spiel ein – und der britische Percussionist Paul Hession verkörperte mit seinen rastlosen Texturen maximale Hingabe an den Moment. Die internationale Improvisationsszene ist keine Massenkultur, aber die beteiligten Menschen sind – aktiv partizipierend oder zuhörend. TAUBENFELD feat. BAARS / GOVAERT / OSWALD gehören zu den prägenden Stimmen der europäischen Improvisationsszene aus Amsterdam, Kopenhagen, Lissabon und Portugal, allesamt hochintellektuelle Protagonisten, die zeigen, wie aktives gegenseitiges Zuhören auf höherer Ebene geht. In einem dichten Geflecht aus kammermusikalischen Gesten und ausgereizten Spieltechniken wucherten Mikroprozesse. Bebende Flatterzungen, gellende Flagoletts und der rituelle Atem einer japanischen Shakuhachi verschafften sich Gehör, um echte Freejazz-Spezialisten in ehrfürchtige Andacht zu versetzen.

Direkt und ungefiltert aus dem urbanen Klangdschungel

Weniger spezialistisch, dafür mit allen befreiten Sounds und Ideen aus dem urbanen Klangdschungel schenkte die letzte Band diesem Festival ein charismatisches Finale. Wieder stand Saxofonistin Camila Nebbia mit ihrem Bandprojekt THE HANGED ONE im Zentrum. Die erwies sich als traumwandlerisch versierte Supergroup, die sich von der Tarotkarte des Gehängten inspirieren ließ. Mit Julia Biłat am Cello, Arne Braun an der Gitarre, Andres Marino an der Elektronik, Vinicius Cajado am Kontrabass und Lukas Akintaya am Schlagzeug lebten sie auf der Bühne, als gäbe es kein Morgen.

Schon das kollektive Aufwärtsglissando sämtlicher Instrumente zum Intro machte klar, dass hier große Dramaturgie und prägnant ausformulierte Statements zu erwarten waren. Jazz ging in pulsierendem Post-Rock auf, improvisatorische Freiheiten fanden in Camila Nebbias durchdachten Kompositionen Halt, kreatives Chaos behielt immer wieder die Struktur im Fokus und das Lyrische kam nie zu kurz. Diese Intensität passte zum unruhigen, bewölkten Abendhimmel. Wenn Camila Nebbia auf dem Tenorsax kontrolliert, aber ekstatisch ihre Stimme erhebt, wird klar, warum sie als eine der „interessantesten aufstrebenden Freejazz-Saxofonistinnen der internationalen Musiklandschaft" gelobt wird.

Authentisch sein als gemeinsamer Nenner

Soviel nur zu einigen Konzerten – es begeisterten noch viele mehr an diesen drei Tagen und man könnte hier das Wörtchen „authentisch" als verbindenden gemeinsamen Nenner anführen. Auf diesem Festival treffen sich weder Hipster zum Sehen-und-Gesehen-werden, noch ist der veranstaltende Parzelle-Verein der Versuchung erlegen, in niedrigschwelliger Soziokultur stecken zu bleiben und damit die Chance für Kultur mit Anspruch zu verspielen. Die Folge: Sogar ausländisches Publikum kommt zu diesem einem kleinen Festival. By the way: Es war die „Corona-Zeit“, die einst die Initialzündung lieferte. Damals schossen fantasievolle Open-Air-Konzertlösungen wie Pilze aus dem Boden. Nur wenige überlebten, weil bald wieder der Chor der vielen „Geht nicht"-Einwände laut wurde. Nicht so beim Dortmunder Visual Sound Outdoor Festival. Hier durfte eine zarte Pflanze weiter wachsen darf auch künftig munter gedeihen.

 

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