Back to the 70s
Herbie Hancock in der Philharmonie Essen
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese
Was würde er an diesem Abend wohl spielen? Das war die Frage. Schließlich hatte Herbie Hancock gerade erst in einem Interview erzählt, dass Konzerte für ihn Ereignisse seien, bei denen man was erlebt, womit man nicht gerechnet hat. Und schließlich sei er ja keine Jukebox, in die man eine Münze werfe, damit sie die gewünschte Musik spiele. Wer also altbekannte Dinge von ihm erwarte, der würde enttäuscht werden, fügte die lebende Jazzlegendenoch hinzu.
Etwas Altbekanntes hört man dann aber doch recht schnell zu Beginn seines Auftrittes in der vollbesetzten Essener Philharmonie. Es ist ein Song aus den frühen 1970ern, aus der Zeit, als der heute 77-Jährige mit funkigen, elektrischen Alben wie „Head Hunters“ und „Thrust“ ein Gegenbild zum akustischen Herbie schuf, der als Mitglied in Miles Davis´ Quintett mit Tony Williams und Wayne Shorter Berühmheit erlangte.
Aber eigentlich zitieren Hancock und seine Band in Essen das Thema von „Butterfly“ nur kurz, um dann abzubiegen in von allen Korsetten befreiten, funkigen Space Jazz. Der Synthesizer spuckt fiepige Klänge aus und Herbie Hancock wechselt hin und zwischen dem Korg und dem Konzertflügel.
Dazu knüppelt Drummer Trevor Lawrence Jr. alias TrevBeats derart muskulös und straight seine Beats, als spiele er gerade mal wieder mit Rappern wie Eminem oder Snoop Dogg, was er ansonsten häufig mal tut. Und James Genus lässt seinen E-Bass immer ein wenig gleichförmig einfach nur wummern.
Filigran geht anders. Aber Herbie Hancock will es an diesem Abend genau so! Gerade mit dem Schlagwerker sucht er den Blickkontakt, bietet ihm immer wieder mit wuchtigen, perkussiven Blockakkorden auf dem Flügel jede Menge Ansporn.
Und dann ist da ja noch der vierte Mann, der oft nur zuschaut - Terrace Martin. Der 38-Jährige aus LA ist ein genialer HipHop-Produzent und zeichnete unter anderem für das Erfolgsalbum „To Pimp A Butterfly“ von US-Rapper Kendrick Lamar verantwortlich. Mit Herbie Hancock ist er ebenfalls gerade im Aufnahmestudio für dessen neue CD.
In der Philharmonie sorgt er für einige abgefahrene Klangteppiche auf seinen Keyboards und ein paar schöne Altsax-Soli. Und er liefert sich ein langes Vocoder-Gesangsduo mit Herbie. Der hat sichtlich Spaß auf diesen lauten, spacigen Funk-Jazz. Etwa in dem Endlos-Jam von „Actual Proof“, auch so einer alten Nummer.
Das Raffinierte gibt es dann gegen Ende zu hören. „Cantaloupe Island“, erstmals vor über 50 Jahren von Herbie Hancock veröffentlicht undals funkige Tanznummer „Cantaloop“ drei Jahrzehnte später von der britischen Jazz-Rapband „Us3“ höchst erfolgreich in die Charts und Discos gebracht, wird aber ebenfalls nur kurz angerissen, um dann abstrakt darüber zu improvisieren und dabei zwischendurch mal ganz kurz und gewitzt das Thema von „Watermelon Man“ für ein paar Takte auftauchen zu lassen.
Und dann greift sich Herbie Hancock zur Zugabe auch schon sein schneeweißes Umhängekeyboard und lässt von mächtigen Sounds vom Band einen weiteren seiner Hits, „Chameleon“, einleiten. Ausgelassen geht es nun zu. Längst steht der Saal.
Fazit: Wer den Fusion-Herbie mag und ein wenig kraftstrotzende Gleichförmigkeit auf Konzertdauer nicht so schlimm findet, der ist sicher auf seine Kosten gekommen. Liebhaber jazziger Feinkost dagegen vielleicht nicht so ganz.