Authentische Erzählung
Rob Summerfield kam Joni Mitchell nah
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Ich bin kein Fan von geschmäcklerischem „Verjazzen“ von irgendetwas, egal ob von Beatles oder sonstigen amtlichen Ikonen. Und deswegen auch nicht von dem, was zuweilen der US-Singer-Songwriterin Joni Mitchell angetan wird, die natürlich einen prominenten Platz in der ewigen Hall of Fame beanspruchen darf! Umso verdienstvoller war es, als sich auf dem Gelsenkirchener Nordsternturm der Sänger Rob Summerfield, Keyboarder Lars Duppler und Christoph Möckel mit ihrer Joni-Mitchell-Hommage auf Größeres und Aufrichtigeres besannen.
Rob Summerfield ist als Sänger allein schon eine Überraschung. Seine hell timbrierte Stimme dringt ohne Umwege ins tiefste Innere vor. Und wirkt, selbst wenn sie mal reibeisenmäßige Effekte aufträgt, klar genug, dass jedes Stimmungsbild Facetten und Konturen bekommt. Seine „Band“ beim Auftritt auf dem Nordsternturm ist eigentlich keine, denn Summerfields gesangliche Präsenz braucht nun wirklich keinen von außen unterstützenden instrumentalen Rückhalt. Also haben auch Lars Duppler und Christoph Möckel Größeres im Sinn, wenn sie Joni Mitchells Songlyrik, verkörpert durch Summerfields Stimme beantworten, kommentieren und manchmal auch woanders hin tragen.
Episch
Die Dramaturgie, die daraus hervor geht, ist so einnehmend wie das industrielle Drumherum in dieser ehemaligen Förderturm-Maschinenhalle mit seinen riesenhaften stählernen Laufrädern, die der industrielle Strukturwandel schon vor Jahrzehnten zum Stillstand gebracht hat. Duppler, ohnehin ein heißer Anwärter, zum versiertesten Fender-Rhodes-Spieler auf diesem Planeten gekürt zu werden, eröffnet mit einem wahrhaft epischen Intro. Dies stellt klar, dass es hier um etwas Bedeutsames geht. Möckels Saxofonspiel blitzt wie ein Lichtstrahl auf, der durch ein Kathedralenfenster in einen mystischen Raum hinunterstrahlt. (Die abwechslungsreiche Licht und Farbregie durch den Lichtmagier Lothar tat ihr übriges für solche Assoziationen in diesem Moment.)
Vorhang auf für Joni Mitchells Ballade „Blue“, die einem ihrer wichtigsten Alben den Titel gab: Summerfields Gesang zieht von nun an hinein in alle Sehnsüchte des American Dream und entfaltet dabei so viel Sprechendes, weil es hier ja so viel zu erzählen gibt. Die authentische Wucht dieser Darbietung gründet vor allem in ihrer Sensibilität. Rob Summerfields Gesang mühelos alle Hochglanzoberflächen und kommt den Erzählungen, Träumen, Charakteren aus dem Kosmos dieser amerikanischen Künstlerin umso näher.
Eine sorgsam durchdachte Essenz
Die Auswahl der Songs an diesem Abend will eine Essenz widerspiegeln und geht auf sorgsame Recherchen und Empfehlungen eines Zeitgenossen, der Joni Mitchell persönlich begegegnet ist, zurück. Bei jedem weiteren Stück für diesen Abend bekräftigt sich, dass hier nicht einfach Nummern gecovert, sondern auf tiefer Ebene verstanden werden. Etwa in der Ballade von der Weltumfliegerin „Emilia“, die aber von ihrer großen Reise nie zurückgekehrt ist. „Song to a seagull“, damals fast schon ein Hit der pionierhaften Singer-Songwriterin zelebriert das Trio ähnlich „episch“ wie die Opener Nummer. Wie relevant Joni Mitchell für den Jazz wurde, wird durch ihre Begegnungen (und auch Reibungen!) mit den großen Innovatoren ihrer Zeit deutlich. Joni Mitchell hat sich schließlich für die Übername einer Nummer von Charles Mingus hergegeben und ihr sogar noch einen Text hinzugefügt. Rob Summerfield, Lars Duppler und Christoph Möckel steigen auf dem Nordsternturm in eine der wohl sinnlichsten Bluesnummern der Geschichte ein, nämlich „Goodbye Pork Pie Hat“. Joni Mitchell hat einen Text dazu verfasst, der einen traurigen Moment der Jazzgeschichte erzählt, nämlich den Tod des Saxofonisten Lester Young.
Ja, nach vielen weiteren Stücken musste man erstmal wieder nach der Fahrstuhlfahrt aus der 11. Ebene des Nordsternturms hinunter auf dem Boden „landen“ - nach so viel Horizonterweiterung, die zugleich emotional berührte.