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Aufwachen aus dem spirituellen Koma

"Unsere Kinder der Nacht" wurde in Linz uraufgeführt

Monheim, 25.01.2025
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Reinhard Winkler

Helmut Jasbar ist Gitarrist, Komponist, Schriftsteller und Rundfunkjournalist - vor allem aber ist der Wiener ein bekennender Freigeist. Also gibt es von ihm folgerichtig immer wieder neue Überraschungen zu hören oder zu lesen. Umso mehr aufhorchen ließ, dass sein aktuelles Projekt "Unsere Kinder der Nacht" nichts geringeres als eine abendfüllende Opern-Produktion werden sollte, auf der großen Bühne im stilvoll-modernen, großräumigen Landestheater Linz. Was dann auch die weite Anreise vom Ruhrgebiet nach Oberösterreich allemal rechtfertigte, um bei dieser Uraufführung dabei zu sein...

Gesellschaftskritisch und empfindsam, aber zum Glück von jedem moralischen Zeigefinger befreit ist dieses Werk allemal. Die Uraufführung von Jasbars dritter großen Musiktheaterproduktion verband geschickt die Welten von Jazz, zeitgenössischer Moderne und klassischer Oper, heraus kam eine Parabel über gesellschaftliche Erstarrung und jugendlichen Aufbruch. Dass Libretto und Musik aus einer Hand stammen, erwiest sich dabei als besonderer Glücksfall. Jasbar selbst zog beim Gespräch am Morgen nach der Uraufführung einen Vergleich, wie er auf diesen Musiker einfach passt: Für ihn gleicht der Schaffensprozess einer großen Oper dem Improvisieren eines Jazz-Solos. Da lebt ein spontaner, intuitiver Fluss, der sich dennoch in einer klaren Form verdichtet. Eine solche Sensibilität spürte man bei der Uraufführung in jeder Facette des Werks: Nämlich in der flexiblen Behandlung des musikalischen Materials, in den fließenden Übergängen zwischen den Szenen und nicht zuletzt in der Freiheit, mit der verschiedene Stilebenen ineinandergriffen.

Befreiung aus der Gemütsstumpfheit

Die Geschichte passte zu den bevorzugt dunklen Farben des Bühnenbildes: Ein Kind erwacht aus einem Albtraum und findet seine Eltern in einem seltsamen Dämmerzustand - gefangen in den unerfüllten Träumen ihrer Vergangenheit. Als die Kinder mit einem kollektiven "Streik" gegen die Verblendungen und Erstarrungen der Erwachsenengesellschaft protestieren, führt ihr Weg in die surreale Unterwelt von Hades Inc., wo sie Hypnos überzeugen mussten, ihre Eltern endlich aus dem metaphorischen Schlaf der Konventionen und einer allgemeinen Gemütsstumpfheit zu befreien.

Jasbar, literarisch gebildet, pflegt hier einen spielerischen Umgang mit Elementen aus dem antiken Drama. Hermann Schneider, zugleich Intendant des Linzer Landestheaters, inszenierte diese vielschichtige Geschichte mit sicherem Gespür für atmosphärische Dichte. Die Eröffnungsszene in der Schulklasse wurde zum Sinnbild einer entmenschlichten Gesellschaft. Dieter Richters Bühnenbild spielte virtuos mit dem Kontrast zwischen nüchterner Realität und surrealer Traumwelt. Die Gesangsdarstellerinnen und -darsteller begeisterten, einzeln wie auch in reibungsvollen Duetten. Vaida Raginskytė als Nyx, die Göttin der Unterwelt, war eine echte Entdeckung - ihr Mezzosopran hatte genau jene geheimnisvolle Qualität, die diese Figur brauchte. Gotho Griesmeier und Christian Drescher überzeugten als gefühlskaltes Elternpaar, während Daniel Morales Pérez mit seiner artistischen Performance für wohlkalkulierte Momente der Leichtigkeit sorgte.

Jasbars Musik suggerierte in jedem Moment eine souveräne Überlegenheit, wirkte im ganzen wie ein kluger Kommentar und zugeich als psychologische Unterströmung, welche die Handlung mal subtil untermalte, ironisch kontrapunktierte und sich auch oft über die Handelnden auf der Bühne erhob - zumindest wenn es um das Verhalten und der Befindlichen der Erwachsenen geht. Die enge Verbindung der Komposition zum eigenen Libretto zeigte sich in jedem Detail. Stilistisch war alles dabei und unmittelbar auf die Sprache der Texte bezogen: Minimal-Music traf auf spätromantische Gefühlswallungen, atonale Strukturen verwoben sich mit jazzigen Rhythmen. Vor allem das Schlagwerk spielte hier eine Hauptrolle - von filigranen Percussion-Passagen bis zu kraftvollen rhythmischen Sequenzen. Das Bruckner-Orchester bewegte sich souverän durch diesen musikalischen Parcours, wobei es sich sicher bezahlt macht, dass in Linz regelmäßig Uraufführungen auf dem Spielplan stehen.

Der junge Chor agierte sensationell

Das alles wäre nichts gewesen ohne den wirklich sensationellen Auftritt des Kinder- und Jugendchores des Landestheaters Linz. Die jungen Stimmen meisterten Jasbars anspruchsvolle Chorpartien mit erstaunlicher Präzision, glasklarer Intonation und emotionaler Tiefe. Auch hieraus ergab sich ein Mehrwert für die musikalische Zukunft der jungen Generation: Diese jungen Menschen im Alter von 8 bis 17 Jahren stellten ihre Stimmen in den Dienst eines fantasievollen Abenteuers aus Chromatik, rhythmischen Vokalisen und repetitiven Figuren der Minimal Music. Wer einmal solche musikalischen Abenteuer mitgestaltet hat, dürfte für den seichten Mainstream schon mal „verloren“ sein. Auch damit wurden die proklamierten Ideale dieser neuen „Kinder-Oper“ faktisch eingelöst: Nämlich junge Menschen zur freien Entfaltung zu ermutigen, ohne irgendwelche gutgemeinten Formschablonen seitens der Erwachsenen, mit denen die kindliche, unverstellte Kreativität nur zu oft chronisch unterfordert wird.

Das Ende? Wunderbar uneindeutig! Hölderlins "Wir kommen zu spät" bekam im Kontext der erwachenden Eltern eine neue, bittere Note. Das gleichzeitg fast übertrieben optimistische Schlussbild erinnerte in seiner ästhetischen Ambivalenz an David Lynch - eine weitere fantasievolle Brechnung in Jasbars faszinierendem Musiktheater-Experiment, die zeigte, wie lebendig zeitgenössische Oper sein kann, vor allem wenn ein Musiker mit der offenen künstlerischen Haltung agiert, wie sie der Jazz einfordert.

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