Asphalt Festival 2023
Eines der wichtigsten Festivals für zeitgenössische Kultur
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Ralph Puder, Nana Franck
Das Asphalt Festival fand in diesem Jahr zum elften Mal statt. Christoph Seeger-Zurmühlen und BojanVuletíc haben 2013 ein kleines anspruchsvolles Festival für Theater, Musik und Kunst an ungewöhnlichen Orten in Düsseldorf gegründet. Ein Off Festival mit einem Hauch von Underground. Das Ungewöhnliche, Überraschende, Kritisch-kontroverse, die besonderen Orte, Tanz, Theater, Musik und Kunst jenseits des Mainstreams und das Anspruchsvolle, all das ist geblieben, aber das Asphalt Festival ist mittlerweile ein bedeutendes großes Festival mit 60 Veranstaltungen an fünf Spielstätten geworden. nrwjazz hat im Laufe der Jahre immer wieder über einzelne Konzerte des Festivals berichtet. Auch dieses Jahr haben wir das Festival besucht. Neben einem Bericht über eine Stippvisite auf drei Veranstaltungen soll auch das Festival als Ganzes in den Blick genommen werden.
Omer Klein & Aris Quartett eröffneten das Festival
Auf dem Eröffnungskonzert spielte der international erfolgreiche Pianist Omer Klein mit einem Streichquartett, dem Aris Quartett. Ein Konzert zwischen Jazz und Klassik, neben Eigenkompositionen von Omer Klein waren ebenso Stücke von Wayne Shorter und Sidney Bechet, wie klassische Werke für Streichquartett im Programm. Das Konzert fand als Kopfhörerkonzert auf einer Seebühne auf dem Düsseldorfer Schwanenspiegel statt.
Ein weiteres Jazzkonzert gab es unter dem Titel Akkordeon Affairs. Der blinde Pianist und Akkordeonspieler Jörg Siebenhaar spielte meist mit der rechten Hand auf dem Akkordeon und mit der linken auf dem Piano. Begleitet wurde er von dem Folkwang Preisträger in der Sparte Jazz Konstantin Wienstroer am Bass und dem vielseitigen Schlagzeuger Peter Baumgärtner, der auch künstlerischer Leiter der Hildener Jazztage ist. In einem weiteren Jazzkonzert auf der Seebühne traf das britische Alexander Hawkins Trioauf den Elektronikkünstler Matthew Wright. Diese Konstellation wurde speziell für das Asphalt Festival zusammengestellt (1.7.).
Chiva Gantiva – Latin, Cumbia, Funk und Punk
Eine Stippvisite führte zu der international besetzten Band Chiva Gantiva aus Belgien, die auch auf der Seebühne ein Kopfhörerkonzert spielte. In der Band sind Musiker*innen aus Kolumbien, Chile, Belgien und Vietnam. Chiva Gantiva spielen eine Mischung aus kolumbianischer Cumbia, Latin, jamaikanischem Ska und Reggae und mitteleuropäischerMusik mit rebellischer Punkattitüde. Der Sänger Rafael Espinel aus Kolumbien hatte eine Angina, deshalb gab es keine Pause, um einen Energieabfall zu vermeiden. Das tat nicht nur dem Sänger gut, sondern auch dem Publikum, das mit Kopfhörern bei hochsommerlichen Temperaturen am Ufer des Schwanenspiegels saß. Die mitreißende, temperamentvolle Musik ohne Pause zu hören brachte lateinamerikanisches Flair an den See. Als die Band das Publikum aufforderte aufzustehen und zu tanzen, lies sich das niemand zweimal sagen. Tuan Ho Duc tanzte Saxophon spielend durch die Publikumsreihen und feuerte die Stimmung an. Die belgische Gitarristin Alice Vande Voorde lieferte sich mit dem Sänger, der auch Cogas und Gitarre abwechselnd spielte, das ein oder andere musikalische Battle. Nach einer Zugabe ging es beschwingt in die tropische Nacht auf der Düsseldorfer Rheinpromenade. Ein solches Glück mit dem Wetter hatte die Latin Jazz Band Los Pipos nicht. Ihr Konzert konnte wegen Unwetter nicht auf der Seebühne stattfinden und wurde in die Farbwerke verlegt.
La Re-sentida: Oasis de la Impunidad (Oase der Straffreiheit)
Am gleichen Abend trat auch eine andere Gruppe aus Lateinamerika auf, La Re-sentida, eine Tanzkompanie aus Chile. Während Los Pipos Musik voller Lebensfreude zelebrierte, beleuchtete La Re-sentida die dunklen Seiten der Gesellschaft. Gewalt und Unterdrückung wurden in drastischen Bildern thematisiert. Folter und Gewalt des Pinochet Regimes, aber auch die gewaltsame Unterdrückung der Massenproteste von 2019 in Chile sind aus der Choreographie herauszulesen. Die Straffreiheit der Mörder und Folterer in Chile sind aber nur der Ausgangspunkt für Regisseur Marco Layera, der die Kompanie 2008 gründete. Er stellt weitergehende Fragen, nach der Ursache von Gewalt, deren Auswirkung und nach den Menschen, die bereit sind diese Gewalt gegen andere Menschen auszuüben. Die Tänzer*innen, die sich in spastischen Bewegungen durch den Bühnenraum bewegten, wirkten wie Marionetten oder gebrochene Menschen. Die einzelnen Szenen des Tanztheaters waren ein Frontalangriff auf alle Sinne des Publikums, überlaute Musik, groteske Bewegungen, realistisch inszenierte Selbstverletzungen, die nackt von den Tänzer*innen vorgeführt wurden. „Oasis de la Impunidad“ riss das Publikum aus seiner Komfortzone förmlich heraus und lies Folter und Gewalt nahezu am eigenen Leib erlebbar werden. Keine Aufführung für schwache Gemüter. Es passte zu diesem Tanztheater, dass Starkregen auf das Dach prasselte, Sturm peitschte und selbst der Weg zum nahen Auto einen völlig durchnässt hinterließ.
Auch das Theaterstück Heil – Eine energetische Reinigung von Stephanie Sargnagel gespielt vom Rabenhof Theater aus Wien, hatte einen aktuellen gesellschaftlichen Bezug. Es knüpft an die esoterische Querdenkerszene an, die während der Corona-Proteste auf die Straße ging. Stephanie Sargnagel schaute in ihrem Theaterstück mit einem kritisch-satirischen Blick auf diese Bewegung. Von der österreichischen Regisseurin und Schriftstellerin Stephanie Sargnagel gab es auch noch eine Lesung aus ihrer Kurzprosa.
I hear you – Konzertinstallation von Bojan Vuletíc
Es gehört zur Tradition des Asphalt Festival, dass der Komponist, Klangkünstler und Gitarrist Bojan Vuletíc, einer der Leiter des Festivals, die Uraufführung eines seiner Werke vorstellt. Dieses Jahr war es die Klanginstallation „I hear you“. Der Titel bezieht sich auf den zynischen Spruch der nationalistischen Rechten in den USA: „Sorry, I can`t hear you over the sound of my freedom“. Andere Meinungen werden damit ignoriert und in übler Weise verspottet, ein Niedergang demokratischer Kultur. Bojan Vuletíc entnimmt diesem Spruch nur den Teil „I hear you“ und wandelt ihn so ins Positive. Er benutzt in seiner Klangkollage Aussagen von kleinen und großen Diktatoren und trennt auch daraus Elemente heraus, bis aus der brutalen Sprache eine neue Poesie entsteht. Ausgrenzung verwandelt er in Offenheit. Schon in einem Werk zur Reichspogromnacht 1933 benutzte er einen ähnlich positiven Ansatz, in dem er die Musik erklingen ließ, die in den Musikinstrumenten jüdischer Mitbürger steckte, die die Nazis zerstörten. So konnte die Musik weiter erklingen und das Vernichtungswerk der Nazis hatte keinen Erfolg.
Die in Deutschland lebende rumänische Pianistin Alina Bercu, der polnische Bratschist Rafael Zalech, der New Yorker Trompeter Nate Wooley und Bojan Vuletíc an Elektronik, Klangschale, Teremin und anderen Klangerzeugern waren an verschiedenen Stellen im Raum platziert und das Publikum saß um sie herum. Die Komposition bewegte sich zwischen tonalen Melodien und avantgardistischen Passagen zeitgenössischer Musik. Nate Wooley setzte an seiner Trompete erweiternde Techniken ein, in dem er in schnellen kurzen Stößen in sein Instrument sprach oder mit der Trompete gegen ein Stück Blech blies. Auch Rafael Zalech nutzte Techniken aus der Neuen Musik auf seiner Bratsche. Bojan Vuletíc, der elektronische Elemente einsetzte, sprach die verfremdeten Texte der Diktatoren in verschiedenen Sprachen ein. Die Musiker*innen standen in ständigen Dialogen miteinander und die Klänge ertönten aus unterschiedlichen Orten im Raum.
Die Klanginstallation „I hear you“ war sowohl musikalisch als auch inhaltlich ein anregendes Werk, das einlud anderen (musikalischen) Positionen zuzuhören, mit ihnen in einen Dialog und eine konstruktive Auseinandersetzung zu gehen. Ein Konzertereignis, das noch lange nachwirkte und zu anschließendem Gespräch und Austausch anregte.
Bojan Vuletíc, der in den Niederlanden Jazzgitarre studierte, war auch noch an dem Projekt Tango del Sur als Musiker beteiligt. Die Musiker interpretierten jüngere Tangomusik von Osvaldo Pugliese, Lalo Schifrin oder Astor Piazolla. Sie ließen mit ihrer Musik wieder spüren, dass Tango Nuevo in der Klassik und im Jazz seine Wurzeln hat.
Schwerpunkt Russischer Angriffskrieg auf die Ukraine
Ein besonderer Schwerpunkt des Festivals war Musik, Literatur, Performance und bildende Kunst aus der Ukraine. Die Grafikkünstlerin Alisa Gots, war Artist in Residence. Sie wohnt insgesamt sechs Wochen im Weltkunstzimmer und ließ sich zu neuen Werken anregen, die den russischen Angriffskrieg thematisieren (30.6.-2.7.). Von der Gruppe Dakh Daughters and Vlad Troitskyi gab es die Musik Performance Dance Macabre, mit Geschichten aus dem Alltag des Krieges in der Ukraine. Unter dem Titel Zero Tolerance fand eine Digitale Installation statt, die sich mit den Ereignissen in Mariupol beschäftigt. Prominente ukrainische und deutsche Autor*innen traten in der Abschlussveranstaltung: Erzähl mir von mir miteinander in Dialog über den Krieg in der Ukraine, seine Auswirkungen auf die Menschen vor Ort und in den Nachbarländern (2.7.).
Das Asphalt Festival bildet mit seinem Programm einen breiten Ausschnitt aus dem aktuellen internationalen Kulturschaffen ab und hat sich zu einem der wichtigsten Festivals für zeitgenössische Kultur in Deutschland entwickelt.