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Anspruchsvoll in allen Facetten

Bericht vom Vilnius Jazz 2025

Vilnius, 29.10.2025
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Vygintas Skaraitis & Greta Skaraitiene

In manchen Momenten, in den ruhigen, denn auch gibt es bei diesem famosen Quartett, da schwingt das imaginäre Mexiko durch den Theatersaal, der Duft von Zitronen, und die mystische Atmosphäre des Dia de los Muertos. Dann wird es wieder brachial laut, wild und ungezügelt. Da schimmert dann vielleicht auch die omnipräsente Gewalt in dem mittelamerikanischen Land durch. Dann wenn etwa der Portugiese Luís Lopes mit lauten, schneidenden Sounds auf seiner Stromgitarre einen frei improvisierten Soundkosmos durchpflügt. Bonbon Flamme heißt diese Band des französischen Cellisten Valentin Ceccaldi. Und das aktuelle Programm ist inspiriert von einer Mexiko-Reise Ceccaldis. Mit seinem Landsmann Étienne Ziemniak, dem belgischen Tastenmann Fulco Ottervanger und eben Luís Lopes ist eine feurige, vor Energie berstende Band vierer großartiger Individualisten entstanden, die zum Auftakt der 38. Ausgabe von Vilnius Jazz aber eben auch mit wunderschön ruhigen Momenten berührte. Und mit Augenzwinkern auch einen Ragtime vom König des Ragtime, Scott Joplin, in die bandeigene Klangsprache überführte.

Auch das vor fünf Jahren gegründete, litauische Improdimensija Orchestra, entstanden durch die Initiative zweier Meister der improvisierten Musik Litauens, dem Saxofonisten Liudas Mockūnas und dem Pianisten und Perkussionisten Arnas Mikalkėnas, zeigte im Alten Theater von Vilnius große Improvisationsmusik. Die Freiheiten bot, aber auch Struktur hatte. Die Kompositionen von Mockūnas und dem französischen Gitarristen Marc Ducret zeigen die ganze Frische und Ideenvielfalt von moderner Avantgarde. Verstärkt durch den Schweizer Posaunisten Samuel Blaser oder dem französischen Kontrabassisten Bruno Chevillon zog die litauische Großformation das Publikum mit seinen Klangabenteuern unweigerlich in den Bann.

Ist das imaginäre Folklore, Impro-Jazz, moderne Klassik? 

In Kategorien sollte man bei diesen beiden Franzosen nicht denken. Denn Pianist François Couturier und Geiger Dominique Pifarély musizieren in Vilnius in intimen Duogesprächen in ihren Eigenkompositionen und einigen bekannten Melodien, etwa Jacques Brels sehr berührendes „La chanson des vieux amants“, abseits von Hörerwartungen. Ist das imaginäre Folklore, Impro-Jazz, romantische, moderne Klassik? Es ist das alles und auch wieder nicht. Zwei magische Musiker schufen hier emotionale Tongedichte, die tief berührten.

In den fünf Konzertagen des insgesamt neuntägigen Festivals, zum zweiten Mal gab es mehrere Kinoabende mit spannenden Jazzfilmen vor und nach den Konzerttagen, gab es noch so einige memorable Momente. Etwa mit dem Duo der Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisier und der schon 83-jährigen US-Avantgardejazz-Trompetenlegende Wadada Leo Smith und ihren fragmentarischen, dann auch wunderschön fließenden Konversationen, in der Blues, Dunkelheit, Stille, aber auch Komplexität und Sperrigkeit, Harmonie und Dissonanz für schillernde Momente sorgten. Oder mit dem Llaki Trio, drei jungen litauischen Improvisatoren in der Besetzung Bass, Schlagzeug und Saxofon, das sich zwei Gäste einlud mit dem slowenischen Saxofonisten Luka Zabric und der bolivianischen Flötistin und Vokalistin Flavia Huarachi. Kontrolliertes Chaos, wildes Interplay, aber auch richtig schöne Songs, hypnotische Grooves und Melodien, die nach Konzertende einfach nicht aus dem Kopf wollten – diese fünf jungen Künstler waren mit ihrem selbsternannten Punk-Jazz definitiv eine positive Festivalüberraschung.

Perfekter Abschluss nach fünf Festivaltagen

Und mit dem Auftritt von The Young Mothers hatte Festivalmacher Antanas Gustys einen furiosen und perfekten Abschluss nach fünf langen Konzerttagen programmiert. Denn das in Austin, Texas gegründete Sextett des norwegischen Bassisten Ingebrigt Håker Flaten spielt eine mitreißende Musik bei der die Bezeichnung „grenzüberschreitend“ nun wirklich mehr als zutreffend ist. Kann man noch viel mehr in eine Musik hineinpacken als Jazz, funky Grooves, Prog-Rock, Broken Beats, Rap, Elektronik und freie Improvisationen - und dabei trotz teils komplexer Strukturen der Stücke herrlich direkt klingen? Auch das ist einfach genial bei dieser Band.

Der Nachwuchswettbewerb des Festivals, Vilnius Jazz Young Power, feierte in diesem Jahr übrigens sein schon 20-jähriges Jubiläum. Einmal mehr stellten sich junge litauische Jazzbands, teils mit Musikern aus anderen Ländern verstärkt, einem interessierten Publikum vor. Zusammen mit den Konzerten zu später Stunde in einem coolen Musikclub hinterm Bahnhof von Vilnius an drei Abenden sorgt Antanas Gustys immer wieder dafür dass das Interesse an ambitionierter Jazzmusik und an seinem Festival auch bei der jüngeren Generationen hoffentlich nicht nachlässt.

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