Ambitionierte Forschung
Hyperactive Kid in den Flottmannhallen Herne
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Durchaus treffend hat das Berliner Trio "Hyperactive Kid" seinen Namen gewählt. Christian Lillinger, Drums, Ronny Graupe Gitarre und Philipp Gropper, Saxofone setzen ihre musikalische Botschaften mit unverblendeter Fantasie und fröhlichem Spieltrieb um. Und es stehen extrem durchdachte Konzepte dahinter. So sehr sich beim Auftritt dieses Trios in den Flottmannhallen die oftmals recht langen Stücke frei, exzentrisch und labyrinthisch gebärdeten, so sind sie in der Regel stringent durchkomponiert.
Notenständer, die das Leid jedes Fotografen sind, fehlten dennoch auf der Bühne in der Flottmann- Halle. Denn die drei gleichberechtigten Parts dieses imaginären hyperaktiven Spielkindes sind in einer mittlerweile zehnjährigen Bandchemie vereint und können sich auf der Bühne auch ohne Noten über das Material (welches durchaus ausführlich festgeschrieben ist) verständigen. Und zwar auf bestem Energielevel – auch wenn die Energieströme aus dem Zuschauerraum mangels Publikumsmasse eher schwach zurückkamen an diesem Abend. (Man muss sich auf der Website der Flottmannhallen ja auch gründlich durchklicken, um in der Unterrubrik "Ambitionierte Konzerte" überhaupt den Auftritt dieses künstlerisch höchst relevanten Trios aus Berlin ausfindig zu machen. Wenn man einfach nur auf "Musik" klickt, taucht es nicht auf….)
Klangflächen, bei denen einem die Luft weggbleibt
Wer dennoch kam, der tauchte tief ein. Das Spiel dieses basslosen Trios lädt sich an diesem Ort auf Anhieb mit rasender Intensität auf. Klangflächen entstehen, bei denen einem die Luft wegbleibt. Sounds reagieren miteinander und Spielfiguren werden assoziativ verschaltet. Die Gitarre taucht das ganze immer wieder in futuristische Klangfarben. Und die orgiastischen Ströme und Kaskaden des Saxofons liegen druckvoll darüber. Trotz extrem ausgewogener Symbiose zwischen den dreien scheint Lillingers Schlagzeugspiel manchmal latent die Richtung vorzugeben. Der nicht zuletzt durch Günther Baby Sommer künstlerisch geprägte Berliner ist wie kaum sonst ein anderer Drummer seiner Generation in der Lage, in alle möglichen Richtungen vorzudringen. In hellwacher Überlegenheit vermittelt dieses Schlagzeugspiel zwischen linearer Gestaltung und pulsierendem Effekt, switcht zwischen Ausfüllen, Antreiben und Anführen der Combo hin und her. Vor allem huldigt dieses Spiel Lillingers Anspruch, dass es swingen soll. Dies ist nach seinem Bekunden das wichtigste Anliegen von Jazz.
Jazz ist Ideenforschung
Und da Jazz gemäß dem Credo dieses Trios vor allem eine permanente Forschungsaufgabe in Sachen neuer musikalischer Ideen darstellt, bekommen entsprechende Diskurse neue Nahrung – etwa in Gestalt von verqueren Breakbeat-Texturen und den vielen mannigfaltigen Elementen aus der Neuen Musik, diesem unerschöpflichem Reservoir. Eben daher ist das energetische Spiel von "Hyperactive Kid" auch nicht einfach nur "freier" Jazz, sondern ein hochkomplexes Verhandeln von Ideen in Echtzeit. In den Flottmann Hallen erlebte man dies an diesem Abend mit der ganzen Spontaneität, dem ganzen wilden Draufgängertum, wie es uns hyperaktive Kinder immer wieder vormachen!
Im Gespräch nach dem Auftritt kommt das Thema auf einschlägige prägende Erfahrungen, die dieses Trio machen durfte. Lillinger, Graupe und Gropper konnten mehrfach schon dank der Unterstützung des Goethe-Instituts den Globus bereisen. Die menschliche Erfahrung und der damit einhergehende kreative Input fürs Musikmachen ist nach dem Bekunden der Band immens. Die Begegnung in der Musik führte zur gegenseitigen Öffnung mit anderen Menschen und Kulturen – noch viel unmittelbarer, als es über Sprache möglich wäre!