Altes wieder ganz neu!
Frau trifft Contrabass auf dem Nordsternturm
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Bernd Zimmermann
Die riesige Rolle, über die einst das Stahlseil des Förderkorbs lief, steht seit langem still. In heutigen Tagen rangieren vor allem die akustischen Qualitäten dieses Raumes auf dem Gelsenkirchener Nordsternturm hoch im Kurs. Beim Auftritt des Duos "FrauContraBass" herrschte einmal mehr eine berührend intime Atmosphäre. Das Publikum, das sich an diesem lauen Sommerabend in der wohl höchstgelegenen Konzerthalle des Ruhrgebiets eingefunden hatte, war abwechselnd mucksmäuschenstill oder erging sich in Begeisterungsstürmen.
Frau trifft auf Kontrabass ist die Formel für den kurzen Bandnamen dieses Duos. Barfüßig und in schwarzes Tuch gehüllt umgibt die Berliner Sängerin eine eigenwillige Aura. Ihr instrumentaler Partner Hanns Höhn beackert die Saiten seines großen, namensgebenden Instruments, dass es an diesem Abend in jedem Moment schweißtreibend ist. Denn er ersetzt mit seinem Tieftöner mal eben eine ganze Band inklusive ausgiebiger Schlagzeuggruppe.
Und wie die beiden so aktiv und oft auch verspielt improvisatorisch miteinander umgehen, tragen sie die Botschaften der von ihnen interpretierten Pop-Klassiker und Jazzstandards ganz pur, direkt und ungefiltert nach draußen. Scheinbar bekanntes erstrahlt in neuem, verblüffend authentischem Licht. Dass die beiden schon langjährig in traumwandlerischer Intuition vereint sind, belegte jede Sekunde ihres Auftritts an diesem Abend. Viele große "Hits" der Popmusik sind auf einmal nicht mehr solche, sondern vielmehr, nämlich große, tiefempfundene Songs voller prägnanter musikalischer Ideen. Man muss den tieferen Gehalt solcher Stücke - etwa von Michael Jacksons "Billy Jean" - einfach nur von sämtlicher dick aufgetragener und schon millionenfach totgehörter Studioproduktions-Kosmetik entkleiden - und schon ist alles wieder neu, unverbraucht und berührend! Britney Spears "Poison" entfaltet durch Katharina Debus Gesangskunst alle rohe Direktheit dieser Welt. Schließlich taucht das Duo an diesem Abend ganz tief in ergreifende Wechselbäder hinein. Der alte Lindenberg-Song "Ich lieb dich überhaupt nicht mehr" hat für den Prozess einer emotionalen Loslösung nach einer Trennung eine würdige Melodie und ebensolche Worte gefunden. Katharina Debus kann so viel mit ihrer Stimme - zart, frech, bohrend, beschwörend, impulsiv oder verspielt sind nur einige Attribute für ihren vokalen Facettenreichtum. So bekommen auch die großen Klassiker des Great American Songbooks ganz neues, pralles Leben eingehaucht. Sie werden mit aufrührerischem Humor aus einer gewissen aalglatten Erstarrung herausgerissen, die heute mit der kommerziellen Vereinnahmung solchen Materials nicht selten einher geht. Denn kreativ, humorvoll und empfindsam weiß "FrauContraBass" die eigentlichen Botschaften dieser Balladen, Bluesstücke und anderem wieder "herauszudestillieren" - heraus kommt beredete und zeitlose Musik.
In der nrwjazz-Rubrik "Jazzreports" findest Du ein Interview mit Katharina Debus. Unmittelbar nach dem Konzert geführt von Stefan Pieper.