ACHT BRÜCKEN 2024
Feine Unterschiede rausgestellt
TEXT: Vera Marzinski | FOTO: Vera Marzinski
Nicht nur das Motto des diesjährigen ACHT BRÜCKEN-Festivals in Köln hieß „Feine Unterschiede“, auch in den vielen Konzerten vom 4. Bis 12. Mai konnten die Festivalbesucher „Feine Unterschiede“ finden. Selbst beim ersten der vier Konzerten am Abschlusstag gab es „Feine Unterschiede“. So startete „Liebe Liebe“ mit dem Gürzenich-Orchester Köln in der Kölner Philharmonie mit einer Mozart-Sinfonie und Joseph Haydns „Scena die Bernice“ mit der Mezzosopranistin Anna Lucia Richter und Ammiel Bushakevitz am Flügel. Darauf folgte eine Hommage mit dem Stück „Per Luciano Berio“ an den kürzlich verstorbenen Komponisten Péter Eötvös, der, so Louwrens Langevoort, Festivalgesamtleiter und Intendant der Kölner Philharmonie, viele Menschen zu Konzerten gebracht habe und 2018 Porträtkomponist bei ACHT BRÜCKEN war. Den Vormittag schloss die Uraufführung des Kompositionsauftrages von Porträtkomponist Enno Poppe ab. Der 1969 in Hemer geborene und im Sauerland aufgewachsene Komponist lebt heute in Berlin und ist als Dirigent wie als Komponist einer der wichtigsten Köpfe der Neue-Musik-Szene in Deutschland. Seine Kompositionen tragen meist nur kurze Titel. So hieß diese mikrotonale Partitur „Strom“. Poppe selbst erkläre Titel sehr ungern und fände es schön, wenn sich Menschen selbst ein Bild dazu machen, sagte er dazu in einem Interview. Im Programmheft hieß es: Strom im Sinne eines großen, breiten Flusses oder vielleicht auch die Idee der Elektrizität. In einem Gespräch an diesem Tag mit Poppe, fand er die Verbindung zum Verkehrsstrom auch passend – morgens erst ruhig, bevor der Berufsverkehr startet, über Mittag wieder stark abnehmend und der chaotische Feierabendverkehr geht dann wieder in ruhigere, nächtliche Phasen über.
„Ohrenauf!“ Musikprojekt mit dabei
„Ohrenauf!“ passte zum gesamten Abschlusstag. Während des Konzertes in der Kölner Philharmonie am Vormittag dazu noch ein beeindruckendes „Liebe Liebe“ Statement auf den Rängen der Chorempore in musikalischer Form von jungen Konzertbesuchern, die beim Musikvermittlungsprogramm „Ohren auf!“ des Gürzenich Orchesters teilnehmen. „Schattenwurf“, „In der Bläue der Kachel“ und „Laub“ hießen die Stücke am Nachmittag in der Wolkenburg, vorgetragen vom „Ensemble Recherche“ aus Freiburg. 2023 hatte der aus Taiwan stammende Komponist Po-Chien Liu den ACHT BRÜCKEN-Kompositionswettbewerb gewonnen. In Schattenwurf spürt er den faszinierenden Grenzregionen zwischen Ton und Geräusch nach, was zu einer eigenen Art von Klangästhetik führt. Die Leuchtkraft der Farben wie bei „In der Bläue der Kachel“ fasziniert Farzia Fallah, deren musikalisches Material sich auf wenige Bausteine beschränkt, wobei der Aspekt des melodischen besonders betont wird. Wieder ganz anders die melodischen Möglichkeiten im Konzert am WDR Funkhaus am Wallrafplatz mit dem Ensemble Musikfabrik sowie dem Trio Swaralayaamaaya, Meister der in Südindien beheimateten karnatischen Musik mit der Auftragskomposition „Mahãbhãrata“ von Riccardo Nova.
15.000 Festivalbesucher
Auch zum Abschluss des letzten Tages und des Festivals weitere Uraufführungen mit dem WDR Sinfonieorchester unter dem Gesamttitel „Blut“. Im zweiten Teil des Konzertabends, der von Martin Zingsheim moderiert wurde – seine humoristischen Kommentare kamen aber nicht bei allen gleich gut an – die Uraufführung von Clara Iannottas „The purple fuchsia bled upon the ground“ für Klavier und Orchester sowie ein Beethovenkommentar für Orchester von Arnulf Herrmann. Kein Jagdausflug in der Philharmonie, auch wenn zwei Hörner den Solopart beim Kompositionsauftrag des WDR „Is this us?“ von Miroslav Srnka übernahmen. Von zwei Hörnern zu Zweizeilern. Zumeist humorvolle Zweizeiler der Dichterin Else Lasker-Schüler vertonte Enno Poppe. 25 wählte er aus für seinen 21 Minuten und 15 Sekunden dauernden Liederzyklus „Augen“. Komponiert hat er die teilweise nur wenigen Sekunden dauernden Miniaturen für die Sopranistin Sarah Maria Sun.
Selten konnte das Publikum die Intention eines Komponisten so gut nachvollziehen wie beim diesjährigen ACHT BRÜCKEN Porträtkomponisten Enno Poppe. Poppe äußerte sich im Interview mit der Kölner Rundschau zu seiner Erfahrung mit ACHT BRÜCKEN: „Das war eine wirklich absolut großartige Erfahrung. Es hat einen unheimlichen Spaß gemacht. Ich finde es toll, dass die Philharmonie so wagemutig ist und ihre Türen öffnet, dass sie diese Verbindung zu den verschiedensten Milieus hat.“
Bereits zum Start am Samstag, den 4. Mai, gab es bei der 14. Ausgabe von ACHT BRÜCKEN im Freihafen einen ganzen Tag mit Neuer Musik bei freiem Eintritt, und bei den sieben Konzerten im WDR Funkhaus, im Filmforum und in der Kölner Philharmonie traten eher kleinere Formationen auf, die rund 3.000 Besuchende anzogen. Bezüglich der neu eingeführten Eintrittspreise – dabei entschieden die Besucher bei den Wahlpreisen, wie viel sie für jedes Konzert bezahlen wollten und Unterstützer gaben zudem mehr - lockte nach Einschätzung von Intendant Louwrens Langevoort auch viel neues Publikum zu den Spielstätten in Konzertsälen, Lagerstätten, der Zentralbibliothek und Kirchen. Insgesamt rund 15.000 Festivalbesucher, die an neun Tagen zwischen dem 4. und 12. Mai in 30 Veranstaltungen auch 18 Uraufführungen erlebten, kamen zu ACHT BRÜCKEN 2024.
Die 15. Ausgabe von „ACHT BRÜCKEN - Musik für Köln“ findet vom 9. bis 18. Mai 2025 statt. Von den Kompositionen der Porträtkomponistin Kaija Saariaho ausgehend wird sich eine Welt von Werken und Projekten um die Phänomene Helligkeit und Dunkelheit öffnen.