About Aphrodite im Kulturrat Bochum-Gerthe
Endlich wieder Jazz live!
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Reiner Skubowius
Das erste Jazz-Konzert in Bochum seit einer gefühlten Ewigkeit. Es ist jetzt genau ein Vierteljahr her, dass im Kulturrat Bochum-Gerthe Jazz live zu hören war. Und nun am 13. Juni ist es wieder soweit. Einiges ist anders. Man musste sich vorher anmelden, es gibt feste Plätze und wegen der vorgeschriebenen Abstände können nur 24 Sitze belegt werden. (s. Foto links). Das fühlt sich anders an, aber die Angst vor Corona ist der Vorfreude auf das Konzert gewichen. Das gilt auch für die Musiker (‚immer nur online macht auch keinen Spaß‘) und nicht zuletzt für die Veranstalter.
Vielleicht ist zu Beginn des Konzerts nicht allen Zuhörern klar, was nun auf sie zukommt, denn About Aphrodite ist keine normale Jazzcombo. Das sieht man schon auf der Bühne: neben Drums und Sax viele technische Geräte, ein Notebook, viele Kabel. Kein Zweifel, hier wird elektronischer Jazz gespielt. Gilda Razani und Hans Wanning haben About Aphrodite 2012 gegründet, der Drummer Jaime Moraga Vasquez kam später dazu.
Die Band betritt die Bühne und nach kurzen einleitenden Worten geht es los mit einem virtuosen Saxofon-Solo von
Gilda Razani
. Protection Zone heißt dieses Stück, das sich zu einer gewaltigen Klangkulisse entwickelt, die den ganzen Raum erfüllt ohne die Zuschauer zu erdrücken. Diese Musik ist nicht mehr klar einem Genre zuzuordnen, es mischen sich Jazz und Klassik, Soundscapes und Improvisationen, Filmmusik und elektronische Musik zu einer Klang-Universum, das die Zuhörer total vereinnahmt.
Dies gilt auch für die nächsten Stücke, unter 10 bis 15 Minuten geht hier gar nichts. Gilda spielt dabei oft mit dem Theremin, das schon 1920 erfunden wurde (s. Foto oben). Die Töne erscheinen gleichsam ‚aus der Luft gegriffen‘, wenn sie mit ihren Händen kontaktlos über ein Magnetfeld stufenlose Klänge erzeugt. Manchmal klingt es, als ob sie singen würde. Dann wieder, unter Verwendung eines Verzerrers, erklingt ein lupenreines Rockgitarrensolo. Und sie setzt auch ein bisher unbekanntes Instrument ein, die Soma Pipe, die es erst seit zwei Jahren gibt. (s. 1. Foto) Dieser ‚elektronische Blaswandler‘ ist eine Art Synthesizer, der aus geblasenen Luftströmen elektronische Klänge kreiert und moduliert.
Gilda Razani
ist ein Kind des Ruhrgebiets, sie wohnt in Bochum und ist im letzten Jahr u. a. im Bochumer Planetarium, bei ‚Jazz am Hellweg‘ und im ‘Domicil‘ aufgetreten. Sie spielt Theremin, Soma Pipe und Sopran Saxofon, das Sax manchmal auch mit Effektgeräten. Sie ist weltweit für ihr Spiel mit dem Theremin bekannt und unterrichtet dieses Instrument an der Bochumer Musikschule.
Hans Wanning ist an Klavier und Synthesizer nicht nur für den Groove zuständig. Immer wieder ist man überrascht Sequenzen klassischer Musik herauszuhören, die sich fast unbemerkt in die Stücke einfügen. Er ist sehr experimentierfreudig und nutzt die Möglichkeiten der Klangsynthese und hat mit Gilda auch Filmmusiken komponiert.
Jaime Moraga Vasquez ist gebürtiger Chilene, 2014 war er Folkwang-Preisträger. Er ergänzt die Band mit komplizierten Rhythmen und Percussion-Elementen, die im elektronischen Sound gut erkennbar bleiben.
Das "zweite Set" – die Pause fiel wegen Corona aus – beginnt mit Syria, einem Lied, das aus Solidarität für syrische Freunde entstand. Es soll deren Situation darstellen und klingt ganz anders, traditionell-melodisch, traurig, elegisch.
Way Out klingt wieder anders, es beginnt mit einem Sax-Solo, ähnlich wie in Doldingers Passport-Sound, und geht dann wieder in den Stil der ersten Stücke über.
Mich hat beim Konzert irritiert, dass man manchmal nicht genau wusste, wer was spielt. Normalerweise kann man jedem Musiker ein Instrument zuordnen, nicht so bei About Aphrodite. Vergeblich versucht man manchmal Rhythmen bei einem Instrument ‚wiederzufinden‘, weil die elektronische Verzerrung Töne unkenntlich macht. Vom Keyboard ist man das noch gewohnt, bei der Soma Pipe kann man es kaum einschätzen. Außerdem werden vom Pianisten manchmal Sounds eingespielt, die schon vor oder während des Konzerts entstanden sind. Verblüfft war ich, als mir Gilda zeigte, dass sie über ein Touchpad auch die Sounds des Pianisten verändern kann (s. 3. Foto links). So entsteht dabei – weit über das ‚normale‘ assoziative Wechselspiel von Improvisatoren hinaus - ein Gesamt-Kunstwerk, das in einer sehr engen Vernetzung eine umfassende Klangwelt erzeugt. In diese Welt kann man eintauchen, man kann sie aber nicht mehr so gut in ihrer Entstehung nachvollziehen.
Dann plötzlich Schluss, das 75-Minuten-Corona Limit ist fast erreicht. Eine Zugabe geht aber noch: Future Memoriesvon der gleichnamigen neuen CD, die im Herbst erscheinen wird. Ein Wiedersehen – hoffentlich – im September in Dortmund und im November in Witten.
link aboutaphrodite.de
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