Ab Baars Solo
Hochkonzentrierte Tour de force der solistischen Blasmusik
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Ein Soloabend mit dem niederländischen Bläser Ab Baars macht neugierig, ist doch die niederländische Szene der improvisierten Musik bekannt, bekannt für ihre Vitalität und Vielseitigkeit - und für ihre herausragenden Musiker.
Die Neugier beim Solokonzert im Evinger Schloss in Dortmund wird bereits vom ersten Ton Ab Baars auf der Shakuhachi zu einem regelrechten Hörsog, in den Baars seine Zuhörer versetzt: Er beginnt sein Konzert auf der japanischen Bambusflöte mit der traditionellen Basisübung für die buddhistischen Mönche, der Honshirabe, die als lebenslanges Training zur Selbstfindung und damit rein meditativer Zielsetzung dient. Und genau diese Ein-Stimmung mit ihrer unglaublichen Vielfalt an Blas- und Toncharakteristiken und an differenzierter Spielweise gelingt Ab Baars mit seiner stupenden Beherrschung des Instruments. Fließende Tonübergänge, Überblasen, Tonhöhenwechsel über drei Oktaven, Creshendo und Decreshendo, wechselnde Dynamik von Flüstern und bloßen Atemgeräuschen bis zu kräftig-schrillen Ausrufen – all diese Spieltechniken wendet Ab Baars souverän bereits in seinem Opener und einer weiteren sehr subtil gespielten Improvisation auf der Shakuhachi an, um bei wechselnder Idiomatik dies zu übertragen auf das Tenorsaxophon (Asor, Poor Wheel) oder auf die Klarinette wie z.B. in der Ballade And She Speaks als wahrhaft kongeniale Verbeugung vor John Carter, dem Lehrer von Ab Baars an der Klarinette. Dessen Spielweise adaptiert der Niederländer mit chromatischen Berg-und-Tal-Reisen, durch einen ständigen Klangwechsel, durch einen markerschütternden Ton gerade in den hohen Registern. Dasselbe trifft auf das Stück Ritratto del mare a Anzio zu, in dem Baars seinem italienischen Zufluchtsort Reverenz erweist: Es beginnt langsam erzählend und steigert sich zu schnellen Läufen, zu Schreien der Klarinette in höchsten Tönen, die mit Vogelgezwitscher oder Zikadengeräuschen den mediterranen Bezug herstellen. In Gommer erlebt man ein ausgelassen-tänzelndes Springen über die Oktaven hinweg als Hommage an Misha Mengelberg. Ebenfalls als Verbeugung vor einem anderen Musiker, vor dem Bläser und Komponisten Tobias Delius, ist ein weiteres Stück gedacht, Stride For T.: ein grandioser Monolog auf dem Tenorsaxophon, der mit gänsehauterzeugenden gehauchten Tönen endet. Überhaupt zeigt Ab Baars' Spiel mit seinem Vintage-Selmer-Tenor eine unglaubliche expressive Wucht. Die Ballade Poor Wheel oder der Konzertschluss mit Coltranes Naima beinhalten sowohl kraftvoll geblasene hymnische Melodieansätze mit einem satt-samtenen Timbre als auch sehr durchdringende präzis geblasene Flageolett-Schreie, eine „flatternde“ Spielweise, die auch Klappengeräusche miteinbezieht und von magmatischen Urlauten zurückfindet zu warmen Subtones. Das Solokonzert erweist sich als hochkonzentrierte meditative Tour de force eines überaus fokussierten Instrumentalisten, der um die Verbindung von Atem und Seele als Konstituenten des Lebens weiß und diese Weisheit in solistische Blasmusik umzusetzen versteht.