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_saxabsatz

Performance mit Silke Eberhard und Chrystel Guillebeaud

Wuppertal, 11.05.2015
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker

Ein hochinteressanter Abend der Improvisationskunst im Ort in Wuppertal – Silke Eberhard ist hier von Mitte April bis Mitte Mai „Artist in Residence“ und gibt in diesem Rahmen eine Doppelvorstellung: ein Solo auf dem Altsaxophon und eine improvisierte Choreographie gemeinsam mit Chrystel Guillebeaud. Das künstlerische Labor in der Luisenstraße ist bekanntermaßen dem Vermächtnis Peter Kowalds verpflichtet und bietet regelmäßig eine Bühne für – auch gemeinsam - improvisierende Künstler. Mit Silke Eberhard hat Ort eine der renommiertesten aktuellen Stimmen der Berliner - und internationalen - Jazzszene nach Wuppertal geholt. Ihr Eric Dolphy-Projekt “POTSA LOTSA PLUS plays LOVE SUITE by Eric Dolphy” hat jüngst den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten.

Um es gleich vorweg zu sagen: Die hohen Erwartungen konnte Silke Eberhard mehr als erfüllen. Ihr Solo beginnt mit einem langen Stück: inspiration – expiration. In Bezug auf ihre Wuppertaler Zeit kann zumindest von Verfall nicht die Rede sein. Jedenfalls dankt die Berlinerin mit schwäbischen Wurzeln den Wuppertalern, dankbar zeigt sie sich auch für die kurzen Wege in Wuppertal. Dass – wie Silke Eberhard sagt - die residence ihr auch viel transpiration abverlangt habe, kann man in dem langen Solo unmittelbar nachvollziehen. Äußerst konzentriert entlockt die Musikerin ihrem Altsax ein wahres Feuerwerk der Holzblaskunst. Flinke Läufe in allen Lagen, fast melodiöse Passagen, die sich in Entropie auflösen, Schreie, Hilferufe, Frage-Antwort-Phrasen, Klappengeräusche, rhythmische Muster, die sich ebenfalls wieder dynamisch ändern, Multiphonics durch Mitsingen, eine geradezu ausufernde Motiv- und Stilvielfalt in schnellem Wechsel – Silke Eberhard zieht alle Register ihrer Blaskunst, ohne dass ihre Musik zu einem bloßen Zurschaustellen ihrer technischen Fertigkeiten auf dem Instrument mutierte. Nein, es handelt sich um hoch verdichtete und komplexe Musik, die dem Zuhörer einiges abverlangt, die auch die Musikerin in den langen und flinken Linien bis zur Atemlosigkeit fordert. Trotzdem hat das Spiel Silke Eberhards eine ansteckende Leichtigkeit, einen gewissen Witz und eine Gewitztheit. Welchen Anteil hier instant composing oder kompositorisch festgelegte Muster haben, kann man nur erahnen. Die meterlange Notation im Panoramaformat mit vielen Farben und kryptischen Zeichen (und auch Noten!) lässt dem Außenstehenden jedenfalls dazu keine eindeutigen Schlüsse zu.

Nach einer kürzeren weiteren Solo-Nummer folgt im zweiten Teil eine Klang-Bewegung-Performance mit Silke Eberhard und der französischen Tänzerin Chrystel Guillebeaud. Letztere war bis zum Jahr 2000 Ensemblemitglied bei Pina Bausch und lebt in Wuppertal, beide Künstlerinnen haben sich offensichtlich während der residence zusammengesetzt und das gemeinsame Projekt verabredet. Die Kombination aus improvisierter Musik und entsprechender Choreographie hat „Schuhe“ zum Thema. So beginnt auch die Performance von Chrystel Guillebeaud in Begleitung von Silke Eberhard an der Klarinette damit, dass sich die Tänzerin mit einem Turnschuh und einem eleganten Abendschuh an den Händen und ebensolchen an den Füßen auf allen Vieren auf das Parkett bewegt. Die Schuhe werden alle aus-, die Tanzschuhe jetzt in ihrer eigentlichen Funktion angezogen, es folgen fließende Bewegungen. Dabei kommt es auch zu einem ersten Kontakt mit der Klarinette, deren Schalltrichter im Tanz kurz zugehalten wird, es folgen weitere Bewegungen der Annäherung, die Klarinette bläst dabei auch einmal ins Haar der Tänzerin. Ein Szenenwechsel wird angedeutet, indem Silke Eberhard zur Bassklarinette greift. In den Bewegungen vollzieht sich jetzt eine Transformation des Nebeneinanders in ein Gegenüber und in parallele Bewegungen der beiden Darstellerinnen. An der Längsseite des Raumes kommunizieren die beiden durch Bewegung, bei der immer wieder der Einsatz der Schuhe wie der der Musik variiert wird. Assoziationsträchtig sind Schuhe ohnehin (Paar, Bewegung, Zivilisation, ….), ebenso ist die Auswahl der beiden Schuhpaare: Eine gewisse Opposition ist in dieser angelegt wie z.B. sportlich – feierlich, alltäglich – festlich etc., eine Opposition, die sich auch in der Choreographie widerspiegelt, indem die beiden Künstlerinnen in ihren Aktionen Dialoge, non-verbale Interaktionen oder einen (Wett-)Streit andeuten. Ihr gesamter pas de deux ist mal als Bewegung im Gleichschritt konzipiert, mal in einem Gegenüber, mal in einem Nebeneinander. Oft ist dies nicht eindeutig, etwa wenn die beiden ihren Dialog aus Musik und Bewegung mit einer Klingel in der Funktion eines Buzzer verwenden, den man aus TV-Spielshows kennt, wenn man als Spieler einen Abbruch oder ein Antwortrecht für sich reklamieren möchte. Dies wirkt in dem Hin und Her trotzig, frech, behauptend und folgt den dramaturgischen Regeln eines Streits. Dieser wird zum Schluss durch eine versöhnliche Geste aufgelöst: Musikerin und Tänzerin verlassen in „beschwingter“ musikalischer Begleitung eng aneinander geschmiedet Rücken an Rücken das Parkett, sie können bei aller Gegensätzlichkeit nicht voneinander lassen, Musik und Tanz sind eben „ein Paar Schuhe“. Peter Kowald hätte es gefallen, dem Publikum im Ort hat _saxabsatz sichtlich Vergnügen bereitet.

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