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5. Voicingers

Internationalen Jazztage für singende Musiker

Zory, 31.08.2012
TEXT: Christoph Giese | FOTO: Christoph Giese

Der Mann liebt seinen Heimatort im Süden Polens. Grzegorz Karnas ist in Żory, der ehemaligen deutschen Stadt Sohrau, aufgewachsen. Und auch wenn der eigenwillige Klasse-Sänger viel von der Welt gesehen hat und noch immer sieht auf seinen zahlreichen Reisen rund um den Globus – aus seinem gemütlichen, ruhigen, man könnte auch sagen ein wenig verschlafenen Städtchen mit seinen knapp 70.000 Einwohnern gut 35 Kilometer südwestlich von Kattowitz will er nicht weg. Also veranstaltet Grzegorz Karnas „Voicingers“, die „Internationalen Jazztage für singende Musiker“, wie er sein Festival mit integriertem Gesangswettbewerb und Workshops untertitelt, nun schon zum fünften Mal eben genau in Żory. Auch wenn sich im Ort selbst nicht so viele Leute dafür interessieren. Trotzdem ist der gemütliche und akustisch hervorragende Theater- und Kinosaal in der Nähe des Marktplatzes im Herzen der Altstadt, an fünf Abenden immer gut gefüllt. Überwiegend mit Workshop-Teilnehmern, die aus ganz Polen angereist sind, um tagsüber mit Grzegorz Karnas und anderen Dozenten die Vielfalt des Jazzgesangs kennenzulernen. Abends sitzen die jungen Leute gespannt im Konzertsaal und lauschen jeweils drei Nachwuchsstimmen, die aus mehreren Ländern Europas zu den Finalrunden des „Voicingers“-Gesangswettbewerbs eingeladen wurden. Die Altersgrenze lag in diesem Jahr bei 40 Jahren, aber Grzegorz Karnas überlegt schon, sie ganz fallen zu lassen. Zwei Pianotrios mit renommierten, vor allem polnischen Musikern wie dem Pianisten Michal Tokaj oder den Schlagzeugern Sebastian Frankiewicz und Michal Miśkiewicz standen den Teilnehmern als Begleitbands zur Verfügung für ihre jeweils rund 20 minütigen Auftritte. Sehr hübsch, was die Ungarin Júlia Karosi zu bieten hatte. Einen seelenvollen ungarischen Folksong etwa und überhaupt eine elegante, reife Ausstrahlung. Daran fehlte es dem Polen Pawel Dróżdż komplett. Gekleidet in Dreiviertelhose und mit Flip Flops an den Füßen sah er aus, als käme er direkt vom Strand. Und so wirkte er auch. Betont cool, ein paar Witzchen auf Polnisch reißend. Dumm nur, dass die dreiköpfige internationale Jury des Wettbewerbs mit dem schwedischen Bassisten Lars Danielsson und der US-Pianistin und Sängerin Patricia Barber davon nichts verstand. Dabei hatte der Pole mit seinem Sprechgesang und einem lässigen Blues musikalisch durchaus Interessantes zu bieten. Aber es zählt eben das Gesamtpaket.

So schafften es andere ins Finale. Und da wollten natürlich alle hin und am Ende ganz oben stehen. Gab es schließlich für den Gewinner 2.000 Euro, eine zweitägige Aufnahmesession im renommierten RecPublica-Studio im nur zwei Stunden von Berlin entfernten Lubrza sowie einen Auftritt beim Easy Jazz Festival in Żory im nächsten Jahr zu gewinnen. Darüber freuen konnte sich schließlich der Franzose Loïs Le Van, der sich mit einem unter die Haut gehenden Björk-Song im Finale in die Herzen der Jury sang. Die musizierte dann auch noch. Und vor allem Lars Danielsson verzückte alle im Saal mit seinen durch einen Harmonizer angereicherten Sounds beim Solospiel auf dem Kontrabass.

Dass eine Gesangskarriere Entwicklungszeit braucht, das machten Konzerte von Künstlern deutlich, die Grzegorz Karnas eingeladen hatte, um die Wettbewerbsabende abzurunden. Der Sänger, Stimmen- und Klangtüftler Michael Schiefel hinterließ da beim Publikum einen sehr nachhaltigen Eindruck mit seinem fantastischen Solokonzert voller Loops, Tonhöhenänderungen und weiteren elektronischen Manipulationen. Auch das schwedisch-finnische Trio Elifantree verblüffte mit seiner experimentellen Popmusik, in der sich Pop- und zeitgenössische Jazzstrukturen mit frei improvisierten Teilen und schrillen Punkmomenten ständig mischen. Sängerin und Glockenspielerin Anni Elif Egecioglu, Saxofonist Pauli Lyytinen und Drummer Tatu Rönkkö brachten ihre ganz eigenständige Sounds auf ungewöhnliche Art zusammen und kamen damit derart frisch rüber, dass sich selbst ein schlichtes Wiegenlied zu einem raffinierten Hörerlebnis entwickelte.

In den allabendlichen Jam Sessions im gemütlichen Kellerclub „Spinoza“ am Marktplatz ging es dann munter weiter mit Vocal Jazz. So viel Gesang wie in Żory lässt sich auf anderen Jazzfestivals kaum erleben. Und viel familiärer und ungezwungener kann die Atmosphäre woanders ebenfalls kaum sein als in diesem kleinen oberschlesischen Städtchen zur „Voicingers“-Zeit.

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