20 Jahre Punktfestival
Nils Petter Molvaer Artist in Residence
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Uwe Bräutigam
Die Wettergötter meinten es gut mit dem Punktfestival, an allen drei Festivaltagen herrschte warmes sommerliches Wetter und lockte das Publikum in der konzertfreien Zeit zu Spaziergängen in die umliegende Natur oder in eines der vielen Straßencafes.
Moderiert wurden die Konzerte von der BBC Radiomoderatorin Fiona Talkington, die auch auf dem ersten Festival dabei war. Ebenfalls auf dem ersten Festival dabei war Nils Petter Molvaer, der dieses Jahr Artist in Residence war und an allen drei Tagen ein Konzert gab. Der erste Tag in der alten Cinematek Aladdin war ein Abend ohne ein einziges Remix Konzert. Aber das Eröffnungskonzert mit dem Titel “Love Your Latency“ fand an zwei Orten statt. In Kristiansand waren die Schlagzeugerin Michaela Antalová, Ivar Grydeland bediente Elektronik und Strings und am Mischpult stand Jan Bang. Aus Oslo waren fünf weitere Musiker*innen zugeschaltet. Ein Setting, das sich in der Corona Pandemie entwickelt hatte. Es war ein furioses Eröffnungskonzert mit kraftvoller akustischer Musik und spannendem Einsatz von Elektronik. Mit rein elektronischer Musik ging es weiter, der junge Musiker Egil Kalman aus Kristiansand erzeugte auf dem Synthesizer traditionelle Volksmusik. Neue Technologie trifft auf Tradition.
Das Abschlusskonzert wurde von Nils Petter Molvaer und Alva Noto (Carsten Nikolai) gespielt. Nils hatte mit Alva Noto schon in Hamburg in den legendären Hansastudios zusammen aufgenommen. Alva Noto an der Elektronik ging traumwandlerisch auf das Trompetenspiel von Nils ein und setzte passende eigene Akzente. Mit dieser stimmungsvollen elektro-akustischen Musik mit elegischen Trompetenklängen wurde das Publikum in die laue Sommernacht entlassen.
GRANDIOSE LIVE REMIX KONZERTE
Die Konzerte der beiden folgenden Tage fanden im alten Theater statt, ein paar Schritte neben der Cinematek. In der Cinematek gabe es an zwei Tagen vormittags noch Workshops, in denen Musiker*innen ihre Musik vorstellten und über ihre Arbeitsweise sprachen.
Am zweiten Tag standen nun auch drei Live Remix Konzerte an. Dafür war das Theater gut geeignet. Das Publikum hörte ein Konzert im Hauptsaal und begab sich dann hinunter zur Kellerbühne, wo ein Konzert Remix gespielt wurde. Der karge Kellerbühnenraum war unbestuhlt und ziemlich klein, so das alle Zuhörer*innen eng an eng standen oder vor der Bühne auf dem Boden saßen. Das erste Konzert war ein Album Release von Björn Charles Dreyer, eine Anlehnung an Jon Hassell, mit dem Titel “The Fourth Wave and the Moon“. Den Remix spielten Erik Honoré mit der Geigerin Harpreet Bansal. Erik ist mit Jan Bang zusammen einer der Festivalgründer. Er und Harpreet Bansal schafften einen besonderen Spagat. Ihr Konzert war sowohl ein Remix des Dreyer Konzertes und als auch ein Release Konzert ihres neuen Albums “Triage“. Es war das erste von drei herausragenden Remix Konzerten des Abends. Das zweite Remix Konzert spielte Nils Petter Molvaer mit dem persischen Kamanche (Stachelgeige) Spieler Soheil Shayesteh. Es gelang ihnen mit behutsamen Remix Elementen und ihren Instrumenten aus dem Konzert der Band Abacaxi etwas großartig Neues zu machen. Die Musik von Abacaxi war laut und noisig mit krachenden E-Gitarren. Man konnte sich eigentlich kaum einen Remix vorstellen.
Der Trompeter Arve Henriksen, ein altes Mitglied der Punkt Familie, spielte sein Album “Chiaroscuro“, das mit dem ersten Festival zusammen vor 20 Jahren erschien. Ein eindrückliches Konzert, auf dem Arve nicht nur Trompete und Taschentrompete spielte sondern auch mit hoher Kopfstimme sang. Das Remix Konzert dazu wurde von der Tänzerin Anita Psenitsnikova begleitet.
MICHAELA ANTALOVÁ AUF DER BASSFLÖTE FUJARA
Bevor der Remix Reigen begann gab es ganz besondere Musik, die sich von den anderen Konzerten abhob. Michaela Antalová, die beim Eröffnungskonzert Schlagzeug spielte, stellte ihre Komposition “Sun`s Daughter“ mit einem Quintett vor, bei dem sie die Fujara, eine slowakische Bassblockflöte, spielte. Das Konzert war in dieser Besetzung eine Uraufführung.
Einzelne Stücke hatte sie bereits mit dem Bassisten Adrian Myhr als Duo auf CD eingespielt. Dieses Konzert war rein akustisch, ohne elektronische Bearbeitung und wurde auch nicht weiter als Remix verarbeitet. In dieser Form war es auf dem Festival einzigartig. Die Komposition griff slowakische Volksmusik auf und transportierte sie in zeitgenössische Musik. Wunderschöne Musik, die eine Brücke von der traditionellen Musik zur Neuen Musik schlug. Ein ganz besonderes Highlight des Festivals.
EYOLF DALE TRIO UND REMIX
Der letzte Festivaltag wurde auf der Kellerbühne im Theater von dem Duo Propan (Natali Abrahamsen Garner und Ina Sagstuen) eröffnet. Unglaublich feine und leise Klänge, die auf kleinen selbst gebastelten Geräten erzeugt wurden, verdichteten sich langsam und nahmen Fahrt auf. Leider waren zu Beginn die Geräusche im Raum deutlich lauer als die beiden Musikerinnen.
Danach gab es noch einen letzten Remix im Abendprogramm. Das Eyolf Dale Trio spielte den zweiten rein akustischen Gig des Festivals. Der Pianist Eyolf Dale, der auch in der Band von Daniel Herskedal spielt, ist ein kraftvoll spielender Pianist. Ein Modern Jazztrio mit treibendem Jazz, der dann von Arve Henriksen und David Kollar remixt wurde. Als Eyolf sich vom Publikum verabschiedete, sagte er, dass nun etwas Neues daraus entstehe. Und Arve an Trompete und Elektronik und David an Schlagzeug und Elektronik zauberten mit dem Material des Eyolf Dale Trios ein grandioses Stück Musik. Jan Bang betonte, dass es eine Sache des Vertrauen sei, wenn man seine Musik zum Remix freigebe.. Musik, an der man gearbeitet hat, in die Gedanken und Gefühle eingeflossen sind, die einem durchdachten Prinzip folgte, diese Musik stellt man zur Verfügung als eine Art Steinbruch, aus dem dann Steine geschlagen werden und ein neues Gebäude errichtet wird. Aber mit Remixern wie Jan Bang, Eric Honoré, Nils Petter Molvaer oder Arve Henriksen waren die Musiker*innen natürlich auf der sicheren Seite.
NILS PETTER MOLVAER SPIELT KHMER
Auf dem diesjährigen Punktfestival gab es zwei Konzerte, auf denen klassische Alben neu eingespielt wurden. Das eine war Arve Hendriksen mit seinem Album “Chiarosscuro“ und das zweite war das Bahn brechende Album “Khmer“ von Nils Petter Molvaer, das mehr als fünf Jahre vor dem ersten Punktfestival aufgenommen wurde. Nils verband damals Trip Hop Musik, wie sie von Massive Attack und Portishead gemacht wurde, und Drum and Bass Elemente mit Trompetenimprovisationen, die sich an den Klängen der Bambusflöte Shakuhachi und anderen Flöten orientierten. Auf die Frage wie “Khmer“ nun gealtert sei, antwortete Nils trocken, es sei überhaupt nicht gealtert.
Auf dem Konzert sorgten zwei Schlagzeuge für die harten Beats, Eivind Aarset schickte seine Gitarrenklänge dazu, wie bei der Originalaufnahme, auch DJ Strangefruit war aus der Stammbesetzung von “Khmer“ dabei. Mit Lichteffekten wurde die donnernde Musik noch optisch verstärkt. Damit ging das 20. Punktfestival musikalisch zu Ende und DJ Strangefruit lud noch zur Aftershow Party ein.
AUSBLICKE IN DIE ZUKUNFT
Nils Petter Molvaers “Khmer“ als Abschluss und am Tag zuvor Arve Henriksens Album “Chiaroscuro“ waren Rückblicke in die Anfangstage von Punkt. Was aber sind die Ausblicke in die Zukunft? Jan Bang betonte, dass Nachwuchsförderung, junge Musiker*innen heranzuführen, die dringlichste Aufgabe sei. Nicht nur für das Festival sondern auch darüber hinaus. Jan leistet seinen Beitrag dazu als Professor für Elektronische Musik in Oslo. Die nationale und internationale Vernetzung und Zusammenarbeit mit Musiker*innen müsse ebenfalls weiter ausgebaut werden.
Man kann noch hinzufügen, dass es auch wichtig für die Zukunft ist, das Besondere des Festivals zu bewahren und damit meine ich nicht den Live Remix Gedanken, sondern die intime, freundlich-familiäre Stimmung, das Fehlen von Stars und Hierarchien. Wie Nils Petter Molvaer ausdrückte, statt großer Namen gebe es eine Fokussierung auf die Musik, das macht das Punktfestival aus. Jan Bang, nannte es ein „soziales Projekt“.
punktfestival.no