15 Jahre Jazzfest Bonn
Ein Querschnitt durch den aktuellen Jazz
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Voigtländer/Fischer
Mit tosendem Beifall endete am 1. Mai das 15. Jazzfest Bonn im Opernhaus mit dem Sänger Thomas Quasthoff und der Monika Roscher Big Band. Die beiden Konzerte waren musikalische Gegensätze, wie sie sich durch das ganze Festival zogen und für eine spannende und interessante Mixtur von unterschiedlichen Musikstilen sorgten. Auch im Jubiläumsjahr 2024 waren so gut wie alle Konzerte ausverkauft, das Jazzfest hatte eine Auslastung von 98% und das obwohl dieses Jahr 2000 Karten mehr als im letzten Jahr im Verkauf waren. Eine bessere Rückmeldung als diese Bilanz kann es wohl kaum geben.
Neben dem Eröffnungsdoppelkonzert, über das wir bereits berichtet haben, besuchteUwe Bräutigam für NRW Jazz noch zwei weitere Doppelkonzerte. Diese Konzerte spannten einen weiten Bogen von Avantgarde Jazz, über aktuellen modern Jazz bis hin zu rockigem Funk und bildeten in der Nussschale die Bandbreite des Jazzfest Bonn ab.
Dieses Doppelkonzert fand am 24.4. in der Veranstaltungshalle des LVR-Landes Museums statt. Die in Deutschland geborene Cymin Samawatie hat familiäre Wurzeln in Persien. Sie ist in der deutschen Jazzszene längst etabliert. 2022 erhielt sie mit dem Trickster Orchestra den Deutschen Jazzpreis, im gleichen Jahr erhielt sie den Jazzpreis Berlin und im letzten Jahr gewann sie den Musikautor*innenpreis der GEMA (mit Ketan Bhatt). Mehrere Alben hat sie bereits auch veröffentlicht. Trotzdem war das Konzert auf dem Jazzfest Bonn Neuland für die Pianistin und Sängerin. Zum ersten Mal spielte sie eine volle Konzertlänge im Duo mit dem Bassklarinettisten, Saxofonisten und Elektronikmusiker Milian Vogel. Cymin Samawatie ließ mit ihrem Pianospiel dem Partner viel Raum. Sie begann sehr langsam mit vielen Pausen und Milian Vogel begleitete sie an der elektronisch veränderten Bassklarinette. Cymin sang dazu in Farsi. Sie bearbeitet die Saiten im Flügel und Milian setzte Klappen- und Luftgeräusche an seinem Instrument ein. Es folgte ein persisches Gedicht, dessen Titel in der Übersetzung “Vergänglichkeit“ hieß. „Von einer Heimat zur anderen, von einer Liebe zur anderen.“ Cymin sang und sprach das Gedicht mit hartem Tastenanschlag begleitet wurde es von elektronischen Klängen. Es folgten weitere Gedichte, die sie sang und die teilweise über Loop mit ihren Akkorden begleitet wurden. Milian Vogel setzte eine elektronisch bearbeitete Kalimba (Daumenklavier) ein. Aber nicht nur als Musiker brachte Milian sich ein, sondern auch als Komponist, die beiden letzten Stücke waren von ihm geschrieben. Die avantgardistische Musik von Cymin Samawatie & Milian Vogel mit ungraden Takten, Tempiwechseln, vielen Brüchen, erweiterten Techniken an den Instrumenten und dazu Gedichte in Farsi forderten dem Publikum viel ab, aber der große Applaus zeigte, dass sich das Publikum auf diese ungewöhnliche und spannende Musik eingelassen hatte.
Gina Schwarz & Multphonics 8 auf den Spuren von Nick Drake
Die Wiener Bassistin Gina Schwarz brachte für das Konzert Kompositionen mit, die vonder Musik des früh verstorbenen britischen Gitarristen und Singer-Songwriters Nick Drake (1948-1974) inspiriert waren. Geschrieben hat sie diese Musik ursprünglich als Kompositionsauftrag für das Multiphonics Festival 2020. Die Kölner Klarinettistin und künstlerische Leiterin des Festivals Annette Maye hatte aus den Musiker*innen des Festivals dann eine Projekt Band geformt, die Multiphonics 8, die Ginas Musik mit ihr zusammen spielte. Bei diesem Projekt ist wunderbare Musik entstanden, die auf dem Album “Way To Blue“ zu hören ist. Nun war Gina Schwarz & Multiphonics 8 zu Gast auf dem Jazzfest und präsentierte diese Musik in Bonn.
Wer nun erwartet hatte, dass Songbearbeitungen von Nick Drake zu hören wären, der lag falsch. Gina hat sich von Nick Drakes Musik inspirieren lassen, d.h. manchmal war es nur eine Textzeile, dann war es die Atmosphäre eines Songs oder bei dem Lied River Man hat sie den Gitarrenpart extrahiert und ihn auf zwei Klarinetten aufgeteilt. So ist ein völlig eigenständiges Werk entstanden, auch wenn es von Nick Drake inspiriert war, hat sie nicht seine Songs neu arrangiert. Das Projekt Multiphonics 8 hatte eine ganz spezielle Instrumentierung. Da es auf dem Multiphonics Festival entstand, das ein Festival rund um die Klarinette ist, bildeten die Klarinetten auch den Schwerpunkt: mit zwei Klarinetten ( Annette Maye und Stefan Dickbauer) und zwei Bassklarinetten (Rebecca Trescher und Peter Joyce). Dazu kamen Piano ( Lucas Leidinger ), Gitarre (Mahan Mirarab), Flöte (Daniel Manrique-Smith) und Schlagzeug (Dirk-Peter Kölsch) und natürlich Gina Schwarz am Kontrabass, sie war die neunte Person.
Ein gutes Beispiel für die Vorgehensweise von Gina Schwarz war das Stück “Sandy Tracks.“ Es bezieht sich auf eine Textzeile von Nick Drake und nun fragte sich Gina, was sagen mir Spuren im Sand? Vielleicht sind es Kamelspuren in der Wüste. So hat sie eine orientalisch anmutende Melodie geformt, die sich aus einem vertrackten Bass-Gitarren Intro herausschälte und von einem Riff begleitet wurde.
Und mit dieser exzellenten Band kamen die Kompositionen von Gina Schwarz wunderbar zur Geltung, exzellente Soli von allen Beteiligten und ein lebendiger Ensembleklang. Besonders bemerkenswert waren die Intros zu den einzelnen Stücken, die phantasievoll und abwechslungsreich waren und sehr schön in die einzelnen Stücke hineinführten. Ein Power Pianotrio und eine Funk Sängerin die das Publikum zum Tanzen brachte
Olga Reznichenko Trio und LiV Warfield
Dieses Doppelkonzert bildete den vorletzten Konzertabend am 30.4. und fand im Pantheon in Beul statt.Das Olga Reznichenko Trio spielte das Auftaktkonzert des Abends. Die junge russischstämmige Pianistin Olga Reznichenko hat in Rostow am Don und in Leipzig bei Richie Beirach und Michael Wollny studiert. Sie gilt als große Hoffnung in der deutschen Jazzszene und hat eine unverwechselbare Stimme am Piano entwickelt. Die Warnung in der Anmoderation, dass dies möglicherweise nichts für schwache Nerven sei, hat sich allerdings nicht bewahrheitet, obwohl das Trio wahrlich keine Easy Listening Music spielte sondern sehr kraftvollen modernen Jazz. Viele Stücke waren aus dem neuen Album “Rhythmic Dissection“, aber es gab auch neue noch nicht veröffentlichte Stücke. Ein Stück war dem großen russischen Filmemacher Andre Tarkowski gewidmet und trug den Titel eines seiner berühmten Filme “Solaris“ eine Verfilmung des gleichnamigen Scifi Romans von Stanislaw Lem. Mit harten Anschlägen am Piano, manchmal unisono mit Bass und Schlagzeug wurden wir in die fremde Welt von Lem geführt. Das Stück steigerte sich zu einer hohen Intensität und Dichte. Olga spielte zum Teil mit großer Geschwindigkeit und arbeitete viel mit ostinaten Strukturen. Besonders eindrücklich war das direkte Zusammenspiel von Piano und Lorenz Heigenhuber am Kontrabass. Während meist Schlagzeug und Bass als Rhythmusgruppe aufeinander bezogen sind, war hier das Bassspiel direkt auf das Klavier bezogen, doppelte es oder umspielte die Akkorde. Maximilian Stadtfeld am Schlagzeug gab sich als eigene Stimme ein oder fiel in die repetitiven Passagen mit ein. So entstand eine energetische spannungsreiche und hoch anspruchsvolle Musik. Das Publikum spendete reichlich Beifall und das Trio musste eine Zugabe spielen.
LiV Warfield brachte das Pantheon zum Kochen
Die afro-amerikanische Sängerin und Komponistin LiV Warfield war fünf Jahre Mitglied in The New Power Generation, der Backing Band von Prince. Ihre Musik unterschied sich allerdings deutlich von der Musik von Prince. Sie hatte einen härter rockigen Stil, obwohl Funk und Soul ihre Grundlage bildet. Begleitet wurde sie von Conrad Boqvist an der Gitarre, Ruben Farias am E-Bass und David Park am Schlagzeug. Mit ihrer ungemein kraftvollen Stimme und ihrer Bühnenpräsenz als Entertainerin hatte LiV Warfield das Publikum im Handstreich gewonnen. Sie lies Mitsingen und Mitklatschen und war in ständiger Kommunikation mit dem Publikum. Ein mitreissendes funkiges Rockkonzert mit viel Soul.
Die Beine wippten im Zuschauerraum mit und als LiV dann zum Aufstehen und Mittanzen aufforderte gab es kein Halten mehr und das Pantheon verwandelte sich in einen veritablen Club. Die Band befeuerte dies mit ihren harten Beats noch zusätzlich. Obwohl sowohl der Gitarrist wie auch der Bassist wunderbare Soli spielten und ihre Instrumente förmlich singen ließen. Der Schlagzeuger Davis Park übernahm auch für ein Stück den Gesangspart, als LiV sich für ein Stück von der Bühne zurückzog und die Band ohne sie spielte. LiV ist eine echte Powerfrau, die das Publikum in Bonn mit ihren souligen Gesangsqualitäten und ihrer musikalischen Energie mitriss.
In diesen vier Konzerten war persische Poesie mit avantgardistischer Musik, modern Jazz in unterschiedlichen Spielarten und wilder Funk zu erleben. Ein Querschnitt durch den aktuellen Jazz und seine angrenzenden Gebiete. Peter Materna , dem künstlerischen Leiter des Jazzfests, ist es wieder gelungen die Jazzszene der Gegenwart in seiner Vielfalt abzubilden. Wir freuen uns schon auf das nächste Jazzfest Bonn. Aber vorher gibt es noch ein Jubliläumskonzert mit dem Rebecca Trescher Tentett und Ute Lemper – Time Traveler am 15.Juni in der Bonner Oper.
www.jazzfest-bonn.de